Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


181. Kapitel: Jonatha und Cyrenius im Gespräch. Josephs Verwunderung über das fremde Schiff und Jonathas Erklärung. Des Lebensretters abergläubische Vorsicht und seine Belehrung. Das ergreifende Wiedersehen zwischen dem Kindlein und Cyrenius. (03.04.1844)

01] Joseph aber ging nicht alsogleich in die Hütte, sondern er sandte einen Boten hinein und ließ es dem Jonatha melden, daß er hier sei.

02] Jonatha erhob sich bald und sprach zu Cyrenius:

03] »Kaiserliche, königliche, konsulische Hoheit! Ich bitte noch einmal um Vergebung, so ich etwa irgend mich an dir vergangen habe durch eine gutgemeinte Grobheit!

04] Denn wie sonst bei mir alles massiv ist, so ist's auch bei manchen Gelegenheiten meine Zunge!

05] Jetzt aber muß ich wieder hinaus; denn mein Nachbar und mein allerwürdigster Freund hat mich heute heimgesucht!«

06] Und Cyrenius sprach zu Jonatha: »O Freund, du mein teuerster Lebensretter, tue nach deinem Wohlgefallen, und sieh nicht auf mich, deinen Schuldner!

07] Ich werde mich jetzt hier nur etwas besser ankleiden und dann alsbald selbst dir nachkommen!«

08] Nun verließ Jonatha den Cyrenius und begab sich schnell hinaus um den Joseph zu empfangen.

09] Joseph aber ging unterdessen etwas uferwärts, wo das Schiff war um es näher zu betrachten.

10] Und Jonatha eilte dem Joseph und seiner Genossenschaft nach und holte sie auch bald ein.

11] Als sich die beiden begrüßt hatten und Jonatha das ihm zulaufende Kindlein auf seine Arme nahm und Es liebkoste,

12] da fragte Joseph ganz verwundert den großen Freund:

13] »Aber Bruder, sage mir doch, - woher hast du das Schiff?

14] Oder sind im selben Gäste Reisende angekommen?

15] Fürwahr, das ist ein Prachtschiff, wie man solcher Art Schiffe nur aus Rom kommen sieht!«

16] Und Jonatha sprach: »O Freund, siehe, darum mußte ich gestern noch deine Villa verlassen!

17] Ein Sturmwind hatte gestern ein römisches Schiff auf eine Sandbank außerhalb der Bucht gesetzt.

18] Meiner Mühe - durch die Gnade dieses deines Kindchens - ist es gelungen, das Schiff vor dem sicheren Untergange zu retten.

19] Die Geretteten, bei hundert an der Zahl, befinden sich noch in meiner Wohnung, die glücklicherweise für sie hinreichend geräumig ist;

20] und ich denke, sie werden heute noch abfahren, da der Ort ihrer Bestimmung glücklicherweise ohnehin unsere Stadt selbst ist, wie sie mir sagten.

21] Sie wissen zwar noch nicht, wo sie sich befinden - denn das muß man den Geretteten ja nicht sogleich kundtun -,

22] wenn sie aber fortreisen werden, dann werde ich ihnen schon ohnehin den Wegweiser machen!«

23] Und Joseph fragte den Jonatha ob die Geretteten nicht kundgaben, wer und woher sie wären.

24] Jonatha aber antwortete: Du weißt ja, daß man nichts aus der Schule schwätzen darf;

25] denn solange die Geretteten nicht fort sind, dürfen ihre Namen nicht verraten werden, weil ihnen das bei einer künftigen Reise schädlich sein könnte!«

26] Hier sagte das Kindlein zu Jonatha: »O Mann, du hast wohl ein edles Herz, in dem keine Falschheit wohnt;

27] aber was da so manchen alten Aberglauben betrifft, da bist du noch sehr reich daran!

28] Hier aber ist's dennoch besser zu schweigen, als zu reden; denn in wenig Augenblicken wird sich die Sache ohnehin aufklären!«

29] Als das Kindlein aber solches geredet hatte, da auch trat Cyrenius mit seinem Gefolge aus der Hütte und begab sich gegen das Schiff, also genau an die Stelle, da (an der) sich Joseph befand.

30] Als er nun dahin kam, da sprach er zur Tullia: »Weib! Da sieh einmal hin! Ist die Gesellschaft dort bei unserm Retter nicht ganz derjenigen gleich, deretwegen wir nach Ostrazine reisten?

31] Bei Gott, dem Lebendigen! Ich habe noch nie etwas Ähnlicheres gesehen! Und siehe, unser Wirt hat auch soeben ein Kindlein auf den Armen, das dem heiligen völlig gleicht, das unser himmlischer Freund in Ostrazine hat!«

32] Hier verlangte das Kindlein auf die Erde gesetzt zu werden und lief, als Es frei war, sogleich dem schon sehr nahe kommenden Cyrenius entgegen.

33] Und Cyrenius blieb stehen und betrachtete mit großer Aufmerksamkeit das ihm zulaufende Kindlein.

34] Das Kindlein aber sprach, als Es etwa drei Schritte noch von Cyrenius abstand:

35] »Cyrenius, Cyrenius, Mein lieber Cyrenius, siehe, wie Ich dir entgegeneile; warum eilst du denn nicht auch also Mir entgegen?«

36] Hier erkannte Cyrenius das Kindlein, fiel sogleich auf die Knie samt der Tullia nieder und schrie förmlich:

37] »O mein Gott, o mein Herr! Wer - - wo bin ich denn, daß Du - o mein Gott! - Du mein Schöpfer, mein Leben, der Du allein mir alles, alles bist, in diesem mir noch fremden Orte mir entgegenkommst?«

38] Das Kindlein aber sprach: »Mein lieber Cyrenius, du bist schon am rechten Orte; denn wo Ich bin, da ist schon der rechte Ort für dich! Siehe, dort kommt ja schon der Joseph, die Maria, die Eudokia, Meine Brüder und deine acht Kinder!«

39] Hier sprach Cyrenius: »O Du mein Leben, das ist zuviel Seligkeit auf einmal für mich!« Darauf fing er an zu weinen vor Seligkeit und konnte nicht reden vor zu heiliger Empfindung.



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