Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 160. Kapitel: Glauben und Schauen. Der geistige Entwicklungsgang des Oberägypters.

01] Sagte Petrus: »Ja, Freund, wenn du das weißt, was wir wissen, was willst du dann noch mehr? Ist denn "Fest und ungezweifelt glauben" nicht ebensoviel wie "Schauen im Geiste"?«

02] Sagte der Oberägypter: »Du hast da zum Teile wohl recht, aber ganz vollkommen dennoch nicht! Der feste und ungezweifelte Glaube der Seele erweckt im Menschen wohl ein volles Bestreben mit der zuversichtsvollen Hoffnung, daß er das, was er glaubt, auch einmal in der Wirklichkeit schauen möchte und auch schauen werde; mit der Zunahme des Glaubens an Kraft und Festigkeit aber wächst auch die Begierde und die Sehnsucht, das Geglaubte auch einmal in seiner Vollkommenheit zu schauen und dadurch im höchsten Lebensmaße zu genießen. Und siehe, Freund, demnach steht das Schauen wohl um gar unbeschreibbar vieles über dem puren Glauben; denn das Schauen ist ja eben die ewige Krone des Glaubens!«

03] Sagte Petrus: »Ja, da hast du wohl schon ganz vollkommen recht; aber der Herr ist eben nicht sehr freigebig mit der Gabe des Schauens. Auf Augenblicke hat Er uns dann und wann auch das Schauen vergönnt; aber vom Bleiben dieses beseligendsten Vermögens der Seele war bis jetzt noch keine Rede.«

04] Sagte der Oberägypter: »Ah, das meine ich auch! Er hat es euch aber doch schon zu öfteren Malen verheißen. Das Vermögen werdet aber auch ihr erst dann überkommen, wenn ihr im Geiste aus Ihm völlig wiedergeboren werdet. Und dann müssen wir hier als noch im Fleische Umherwandelnde das auch nicht also annehmen, als ob wir dann nichts anderes tun sollen, als nur in einem fort die Wunder Seiner endlosen Schöpfungen betrachten; denn wir haben auf dieser Erde aus Liebe zu Ihm und aus Liebe zum Nächsten noch gar manche Pflichten zu erfüllen, und da heißt es dann, nicht in einem fort schauen. Doch der Mensch soll sich auch von Zeit zu Zeit eine Sabbatruhe gönnen, und da kann und soll er schauen oder sich wenigstens im inneren geistigen Schauen üben. Das bleibende, volle Schauen überkommt der Mensch erst nach der Ablegung des Leibes. - Bist du nicht auch dieser meiner Ansicht?«

05] Sagte Petrus: »Nun sicher wohl ganz vollkommen; mich nimmt es nur im hohen Grade was der, wie du in eurer Wildnis zu solch einer inneren, wahren Lebensweisheit gelangt bist! Wer war dein Lehrer?«

06] Sagte der Oberägypter: »Zumeist ich selbst durch mein rastloses Suchen und Forschen! Doch war mein Vater Feldmesser zu Memphis, Theben und Diadeira (Diathira), welche Kunst auch ich von ihm erlernt habe. Als ich aber diese Kunst schon vollkommen innehatte, da fing er an, mich in die großen und verborgenen Geheimnisse des Tempels zu Ja bu sim bil einzuweihen; aber er starb, noch ehe ich in alles eingeweiht war.

07] Sein Tod war für mich ein Verlust von tausend Leben. Ich zog darum mit meinen Gefährten nilaufwärts so weit, als es nur möglich war. Da fanden wir Grotten, die uns hinreichenden Schutz vor den glühenden Sonnenstrahlen gaben. Die Grotten lagen knapp am Nil, der sich zwischen den mächtigen Felswänden in tausend Wasserfällen durchwindet. Weiter als bis dorthin war am Strome nicht mehr möglich fortzukommen, außer wir hätten vom Strome viel weiter unten nach rechts in die große Wüste einbiegen und den Weg der Nubier fortziehen müssen; aber unsere mitgenommenen Ziegen wären da samt uns ohne Wasser bald verschmachtet. Kurz, bei unseren Grotten fanden wir noch ein letztes Plätzchen mit einigem Rasen leidlich bewachsen, an dem unsere Tiere ein ganz erkleckliches Futter fanden. Und so beschlossen wir, mit unseren kleinen Familien da zu bleiben.

08] Als ich die erste Nacht in der Grotte, mich dem Schutze des großen Gottes anempfehlend, übernachtete, da erschien mir im Traume mein dem Leibe nach verstorbener Vater und belehrte mich, was ich tun solle und wie mich verhalten, um allda fortleben zu können. Er zeigte mir auch an, daß es in dieser Gegend eine Menge Raubtiere, Löwen, Panther und gar riesig große Aare gäbe und belehrte mich, wie ich auch ohne Waffen bloß durch das feste Vertrauen auf den großen Gott und durch den festen, völlig furchtlosen Willen ein Herr aller solcher Tiere werden könnte.

09] Als ich am Morgen erwachte und aus der Grotte ins Freie trat, da auch kam ein mächtiger Löwe ganz behaglich auf die Grotte zu, die sicher seine Wohnung war. Als er meiner ansichtig wurde, da hielt er inne und fing mit seinem Schweife an, ganz gewaltig die Luft zu peitschen. Ich kam ihm mit meinem unerschrockenen, festen Willen entgegen und gebot ihm festen Blickes, daß er für immer diese Gegend verlasse. Und siehe, der Löwe kehrte um und verlor sich irgendwohin in die Wüste! Dasselbe geschah bald darauf mit zwei Panthern und am selben Tage mit einem Riesenaar, dem unsere weidenden Ziegen in die Augen stachen.

10] Ich hatte mich sonach schon an diesem ersten Tage überzeugt, was ein Mensch im wahren Vertrauen auf den einen, wahren, großen Gott und durch seinen unerschrockenen, festen Willen alles zu bewirken vermag. Ich stellte mich am Abend vor die Grotte, empfahl alles dem Schutze des allmächtigen, großen Gottes und gebot der gesamten Natur, uns in der Ruhe zu lassen. Solches geschah denn auch.«



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