Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 131


Der römische Hauptmann findet seine Geschwister.

01] Sagte der Riese, höchst gerührt: ”O du göttlichster und erhabenster Freund der Menschen! Wir alle zehn waren Kinder eines reichen Fürsten am großen Kaspischen Meere. Wir lebten im Frieden, und unser Volk war vielleicht eines der glücklichsten auf der Erde. Da kamen auf einmal wilde Horden vom tiefen Norden her, raubten, sengten und mordeten alles, was ihnen unterkam. Da sagte unser Vater: ,Kinder, da ist an keinen Gegenkampf zu denken, sondern fliehen wir, sonst sind wir verloren!' Des Vaters Wille war uns heilig, und wir flohen in die Gebirge und entkamen also den wilden Horden. Wir zogen über die Gebirge und kamen endlich diesseits der hohen und breiten Gebirge. Unser Vater starb vor fünf Jahren, und der Euphrat war sein Grab; denn wir konnten ihm kein anderes Grab geben und reiten.

02] Im ganzen haben wir zehn lange Jahre hindurch nur unterirdische Höhlen am Strome bewohnt und uns notgedrungen von Kräutern und - leider - von einer Art unschädlichen Raubes gar elend erhalten. Das Silber und Gold und die Perlen und Edelsteine waren zumeist noch das in der Eile mitgenommene Kleinod aus unserem königlichen Schatze, obwohl wir in der letzten Zeit es auch gar nicht mehr verschmähten, anderen Reichen ihren Überfluß abzunehmen. Aber was wir in unseren Höhlen verborgen hatten, das haben wir, o Herr und Meister, dir abgetreten, als wir erfahren die nie besiegbare Macht deines Wortes und deines Willens.

03] Wir baten dich nur um die Gnade, dir folgen zu dürfen und von dir als eifrigste Jünger etwas zu erlernen, das uns unseren großen Verlust sicher ersetzen wird. Und so können wir wohl sagen: Des Lebens gar entsetzlich bitterste Erfahrungen haben wir durchgemacht und kennen des Lebens elendst bittersten Ernst, und es kann uns nun treffen, was da wolle, so werden wir vor nichts erbeben, und am wenigsten vor dem, was uns das erstemal in unserem Leben ein wahres Licht auf den weiteren Pfaden dieses unseres Erdenlebens verspricht, mit so untrüglichen Zeichen, wie ähnliche noch kein sterbliches Auge je gesehen hat.

04] Ja, Herr, an uns sollst du Schüler haben von dem unbeugsamsten Willen und Ernste! Oh, gib uns nur bald bekannt, was wir tun sollen, und wir werden danach handeln mit solch einem unerschütterlichen Mute, wie er nur in jenen Menschen sich findet, die dem Tode zu jeder Zeit mit der größten Kaltblütigkeit ins Gesicht zu schauen gewohnt sind!“

05] Sagte Ich: ”Bleibt getreu solchem eurem Grundsatze, und ihr werdet endlos Größeres gewinnen, als ihr je verloren habt!“

06] Als aber der Hauptmann solches von den zehn Männern vernommen hatte, da traten ihm die Tränen, und er sagte: ”O Brüder, das alles hat der bekannte Gott also wunderbar gefügt! Könnt ihr euch nicht erinnern, einmal einen Bruder noch als einen Knaben von kaum zehn Jahren Alters verloren zu haben? Seht, euer Vater war auch der meinige! Man fing mich einmal, als ich ganz sorglos in einem Haine Blumen pflückte. Da half kein Bitten; die Kinderdiebe schleppten mich übers Gebirge, und ich wurde in Sidon an ein römisches Schiff als Sklave verkauft. In Rom wurde ich wieder an einen edlen Römer als Sklave verkauft; diesem aber gefiel ich, und da er keine Kinder hatte, so setzte er mich an Kindesstelle, schenkte mir die volle Freiheit und ließ mich erziehen und ausbilden zu einem Krieger. Ich wurde nach und nach das, was ich nun bin, freilich mehr durch mein Geld als durch meine Verdienste, und wurde vor ein paar Jahren hierher als Kommandant gestellt.

07] Ja, ich möchte nun schon behaupten, daß dieser nun unser wunderbarster Heiland heimlich bei sich in seinem göttlich hellsehenden Gemüte auch um alles das gewußt und es also weise eingeleitet hat, daß wir Brüder uns hier finden mußten. So mußte ich auch hierher als Kommandant kommen, weil ihr als meine unglücklichen Brüder euch in meiner Nähe - leider traurig genug - aufhieltet; denn wärt ihr als Räuber von meinen Soldaten eingefangen und mir zum Gerichte vorgestellt worden, so hätten wir uns so wie jetzt sicher erkannt, und ich hätte dann offenbar Mittel und Wege gefunden, um euch von allen Übeln frei zu machen. Und das haben wir alles dem einen, wahren, uns noch unbekannten Gott zu verdanken, der uns höchstwahrscheinlich nun in diesem Heilande einen Apostel zukommen ließ, daß er uns von den toten Göttern befreie und uns dafür zeige den einen, wahren Gott. - Ist es nicht also, meine lieben, edlen Brüder?“

08] Sagte der Große: ”Ja, edelster Bruder, genau also ist es! Was haben wir um dich geweint und was dich gesucht in unserem ganzen großen Lande, und alle Ufer des großen Meeres wurden durchsucht, - doch alles vergebens! Bis zu dieser Stunde vernahmen wir nichts von dir. Nur unserer einzigen Schwester, die oft so recht sonderbare Träume hatte, träumte einmal, daß sie dich in einer großen, wunderschönen Stadt gesehen und sogar gesprochen habe und du ihr eigens aufgegeben habest, daß wir um dich nicht so sehr trauern sollen; denn du lebest und seiest gut aufgehoben. Diesen Traum konnte sie uns nicht oft genug erzählen. Oh, welche Freude hätte sie jetzt, wenn sie noch am Leben wäre! Aber sie wird schwerlich mehr am Leben sein; denn bei dem Überfall und bei der großen Flucht ging sie, die einzige, samt der Mutter uns verloren und ist höchstwahrscheinlich in die Hände der wilden Horden gefallen. Der große, uns noch unbekannte Gott allein wird es wissen, wie es den beiden Armen ergangen ist! Vielleicht leben sie noch irgendwo im großen Elende?!“

09] Sagte Ich: ”O nein, Meine Freunde, auch für diese ward von dem euch noch unbekannten Gott gesorgt! Sie kamen auch glücklich über das Gebirge in die Gegend des Euphrat und kamen mit Hilfe einer zurückreisenden Handelskarawane nach Chotinodora. Eure Schwester ist dort nun das brave Weib des euch bekannten Zöllners Jored. Er hatte zwar schon ein paar Weiber, aber er nahm auch diese damals arme Person wegen ihrer Schönheit zum Weibe; sie ist nun sein Liebling, obwohl sie ihm noch kein Kind gebar. Aber er hat Kinder von den andern Weibern, die aber eure Schwester ebenso liebt, als wären sie ihre eigenen. Ich war über drei Tage in seinem Hause, und das ganze Haus hat Meine Lehre angenommen; aber Ich wollte ihm nichts von dem sagen, was alles hier noch seiner harrt. Es wird ihm um so mehr Freude machen, wenn er in Kürze durch dich, Mein Hauptmann, das alles erfahren wird. Bis jetzt weiß er noch nicht, wer sein liebstes Weib ist, und woher sie stammt; denn weder das Weib noch eure schon sehr bejahrte Mutter, die ganz stille bei ihm lebt, haben - aus Furcht vor irgendeinem Verrat - es ihm irgend eröffnet, wer und woher sie sind.

10] Daher, so du hinkommen wirst, teile das vorerst bloß dem Jored unter vier Augen mit, und sage ihm auch, wie Ich solches alles also bewerkstelligt habe! Da werden er und sein Sohn Jorab eine übergroße Freude haben und eine noch größere deine Schwester und deine Mutter. Kurz, wenn du jüngst dahin kommen wirst, so wirst du Wunder über Wunder sehen, die da während Meiner dortigen Anwesenheit geschehen sind. - Aber nun lassen wir das; denn wir haben uns hier noch um ganz andere und wichtigere Dinge umzusehen.

11] Vor allem aber gehen wir nun ein wenig ins Freie, und da wird sich gleich etwas vorfinden, durch das Ich euch mit dem euch noch unbekannten Gott in eine nähere Bekanntschaft werde setzen können, und das ist sicher mehr wert als tausend derartige romantische Lebensbegebenheiten der Menschen, an denen es auf dieser Erde wahrlich keinen Mangel hat.

12] Ich habe das alles schon lange vorgesehen und kannte euch und alle eure diesirdischen Lebensverhältnisse; aber Ich wußte auch darum, daß Mein Wort bei euch einen guten Boden finden wird und kam darum zu euch, um euch allen Trost zu bringen. Aber der allergrößte Trost für euch sei der, daß in Mir das Reich des euch noch unbekannten Gottes zu euch gekommen ist und mit ihm das ewige Leben eurer Seelen!

13] Denn seht: Was nützen dem Menschen alle Schätze dieser Erde, so er sie dennoch in Bälde für immer und ewig verlassen muß? Ist es denn da nicht unberechenbar klüger für den Menschen, sich solche Schätze zu sammeln, die für ewig bestehen und der menschlichen Seele für ewig das seligste und wonnevollste Leben sichern, und zwar also, daß der Mensch schon in diesem Erdenleben die klarste und ungezweifelte Überzeugung erlangt, daß bei ihm das wahre, vollkommenste und freieste Leben erst nach dem Tode des Fleisches seinen vollsten und wahrsten Anfang nimmt?“

14] Sagten alle, sogar die Priester: ”Ja, Herr, das wäre freilich wohl das Höchste und Beste, was der Mensch auf dieser Erde erreichen könnte! Aber da ist eine Wand, die bis jetzt noch niemand hat durchbrechen können, und der höchst fatale Isisschleier, den bis jetzt noch kein Sterblicher völlig gelüftet hat. Es gab wohl hie und da sehr weise Menschen, die dieser Sache wenigstens insoweit auf die Spur gekommen sind, daß daran allerdings etwas sei. Aber über das Wo, Wenn und Wie liegen noch alle die vielen tausendmal tausend Fragen völlig unbeantwortet. Wenn du so glücklich bist und diese Fragen für den menschlichen Verstand wohleinsichtlich beantworten kannst, dann gehörten dir der größte Ruhm und die höchste Dankbarkeit aller Menschen.“

15] Sagte Ich: ”So Ich dazu nicht imstande wäre, so wäre dann auch in Ewigkeit kein Wesen mehr dazu imstande, und es wäre ohne solche Meine Fähigkeit auch kein Leben im ganzen, endlosen Weltraume mehr denkbar möglich; aber weil Ich alles dessen wohl fähig bin, so ist und lebt alles im endlosen Weltenraume und veredelt sich durch mannigfache Seinsänderungen von der Mücke bis zum Menschen und von dem Sonnenstäubchen bis zur Sonne hinauf. Aber nun gehen wir ins Freie und sehen, was uns irgend unterkommen wird!“

16] Darauf erhob sich alles und begab sich mit Mir ins Freie.



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