Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 106


Begrenzte Einsicht der Engel in das Denken Jesu.

01] Sagt Roklus: ”Mein allerschätzbarster Stahar, es hätte dazu so vieler Worte wahrlich nicht bedurft; denn ich habe mich mit dir ja ohnehin gleich ausgekannt, und ich bin der lebendigen Meinung und vollsten Hoffnung, daß wir beide, einem und demselben Zwecke dienend, die sicher gesegnetsten Erfolge zustande bringen werden. Der Herr wird uns mit Seiner Hilfe nicht verlassen, und somit gehen wir einer sicher schönsten Zukunft entgegen, die, wenn hier auf Erden nie völlig, aber doch jenseits auf das glänzendste erfüllt wird. Aber nun begeben wir uns wieder auf unsere Plätze! Der etwas fatale Wind läßt nach, und dennoch bleibt das Firmament mit seinen unzählbar vielen Sternen völlig rein. Wenn ich mich nicht irre, so macht der Herr Miene, wieder etwas zu tun oder eine neue Lehre uns zu verkünden, und da heißt es ganz Aug und Ohr sein!“

02] Stahar bemerkt solches auch und sagt: ”Ja ja, du hast recht, da geschieht etwas, und wie ich's merke, so weiß auch Seine nächste Umgebung nicht, wie sie daran ist! Cyrenius fragt Ihn wohl heimlich, was Er vorhabe; aber diesmal scheint der Herr mit der rechten Antwort nicht recht herauszuwollen! Ja, ja, mein liebster Cyrenius, ein Gott ist noch ein bißchen mehr denn so ein Cäsar Roms!“

03] Sagt Roklus: ”Ein bißchen hast du die Römer, wie es mir so vorkommt, noch immer im Magen! Aber es macht das nichts; denn hie und da haben sie wohl übertrieben die Herren der Welt gespielt! Aber nun auf unsere Plätze!“

04] Beide begeben sich nun zu ihren Tischen. Als Stahar wieder seinen Platz einnimmt, fragen ihn gleich mehrere, was er etwa doch mit dem Griechen alles verhandelt habe; Stahar aber verweist ihnen solche weibische Neugierde und sagt vorderhand nichts.

05] Den Roklus aber nimmt Raphael ein wenig in die Arbeit und sagt: ”Nun, geschieht es dir nun leichter?“

06] Sagt Roklus: ”Allerdings; denn nun weiß ich doch auf dem Wege der eigenen Erfahrung, wie ich mit dem alten Stahar daran bin, und es freut mich ganz ausnehmend, auch mit dem Stahar dahin meine Meinung vollständig bestätigt gefunden zu haben, daß nahe kein Priester, von welcher Lehre er auch immer sein mag, für seine Person das glaubt, was er die andern Menschen mit Feuer und Schwert glauben macht! Denn auch der Stahar war gleich mir ein vollkommener Atheist und ist erst hier, samt mir, ein wahrer Gottesgläubiger geworden. Aber nun kein Wort mehr davon! Du Freund aus den Himmeln, merkst du nicht, daß der Herr etwas vorhat? Entweder kommt eine Tat, oder Er wird etwas reden!“

07] Sagt Raphael: ”Allerdings; denn der Herr ruht nimmer und hat stets unendlich vieles vor! Warum sollte Er jetzt auf einmal irgend weniger etwas vorhaben als sonst immer?!“

08] Sagt Roklus: ”Mein himmlischer Freund, das weiß ich so gut als du; es handelt sich hier aber nun nur darum, ob Er nun nicht etwas ganz Besonderes vorhat!“

09] Sagt Raphael: ”Nun ja, du wirst es schon sehen, was da zum Vorscheine kommen wird. Allzeit offenbart uns der Herr denn auch nicht, was Er zu tun willens ist, obwohl wir der personifizierte Ausdruck Seines Erzwollens sind. Wir sind als Ausfluß Seines urgöttlichen Lebens, Wollens und Seins Ihm am nächsten und sind im Grunde nichts als der Ausdruck des göttlichen Willens und der göttlichen Kraft, aber nicht in Seiner persönlichen Wesenheit, sondern außerhalb derselben seiend und wirkend. Wir sind um Gott herum so ungefähr das, was das aus der Sonne ausfließende Licht ist, das auch überall, wohin es nur immer kommt, alles belebt, bildet, erzeugt, reift und vollendet.

10] Wenn du der Sonne eine Spiegel entgegenhältst, so ersiehst du im Spiegel das Abbild der Sonne genau, und der aus dem Abbilde der Sonne dir zuströmende Lichtstrahl wird dich so gut erwärmen wie der unmittelbare Strahl aus der Sonne selbst, und fängst du den Sonnenstrahl mit einem Alexandrinischen Spiegel auf, der auch ein Hohlspiegel genannt wird, so wird der zurückgeworfene Strahl eine viel größere Licht- und Wärmeentwicklung äußern als das aus der Sonne unmittelbar ausfließende Licht. Und das sind wir Erzengel geistig; ein jeder geistig vollendete Mensch wird dasselbe in einem noch viel höheren Grade sein.

11] Aber wie alles dessen ungeachtet dennoch kein Spiegel, auch kein Alexandrinischer, das in sein Abbild aufnehmen kann, was alles in der gesamten inneren Sonne ist und geschieht, so kann auch ich nicht in mir das wahrnehmen, was der Herr in Sich denkt und beschließt. Zur rechten Zeit wird dann Sein Wille schon nach außen hinaus zu strahlen anfangen, und ich und alle meinesgleichen werden denselben alsogleich in uns völlig aufnehmen und ihn befördern in alle Unendlichkeit hinaus; darum führen wir auch eigenschaftlich den Namen 'Erzboten', weil wir die Austräger und die Auswirker des göttlichen Willens sind. Und siehe, du mein allerschätzbarster Freund Roklus, eben jetzt beschließt der Herr auch irgend etwas in Sich; aber ich weiß nicht, worin es besteht, weil daß der Herr noch in Sich festhält und nicht ausfließen läßt!

12] Oh, es gibt im Herrn noch gar endlos vieles, das wir nicht kennen und auch nie kennen werden aus unserem Forschungstriebe heraus! Wenn aber Er es wollen wird, dann werden wir dessen inne und danach vollauf tätig werden. Übrigens habe nur auch du selbst acht darauf! Kommen wird etwas Tüchtiges; aber was, das wird die sicher baldige Folge zeigen!“

13] Roklus verstand die Worte Raphaels und bewunderte dessen Bekanntschaft auch mit den Alexandrinischen Spiegeln, von denen er bei seinen Reisen in Ägypten einige gesehen und erprobt hatte und einen auch für das Institut anschaffte.



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