Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 175


Jesus versorgt armen Schlauchmacher mit Wein und Lebensmitteln. Echte und falsche Lehrer und Propheten.

01] Während die etlichen vorangesandten Jünger sich mit der Auskundschaftung der Gegend und der Menschen um Cäsarea Philippi beschäftigten, blieb Ich noch bis nahe gen Abend in der Bucht am Berge; aber etwa ein paar Stunden vor dem Untergange verließ Ich mit den übrigen Jüngern die Bucht, a kam auch gen Abend hin in die Gegend von Cäsarea Philippi und fand die vorangesandten Jünger bei einer ärmlichen Hütte, deren höchst schlichte Einwohner gerade damit beschäftigt waren, den schon müde und hungrig gewordenen Jüngern ein Abendmahl zu bereiten. (a Matthäus.16,13a*: =Markus.08,27; = Lukas.09,18)

02] Die Hausleute aber fragten sogleich die schon dort seienden Jünger, wer wir wären, und diese entdeckten es ihnen auch ohne Anstand, daß Ich eben derselbe Jesus sei, von dem sie früher so manches gesprochen hätten.

03] Als der Hausherr solches vernahm, da ließ er förmlich alles von sich fallen und fiel vor Mir nieder und sprach: »Was habe ich armer, sündiger Mensch denn je Gutes getan, darum du mir nun solch eine unschätzbarste Gnade erweisest? O du heilig großer Mann aus den Himmeln, zu uns armen Sündern auf diese Erde gesandt! Wie soll ich als ein armer und höchst einfacher Mensch dich darum würdigst ehren und preisen? Was soll ich dir tun, daß es dir wohlgefiele?«

04] Sage Ich: »Lieber Freund, stehe auf und siehe, daß auch wir ein Abendmahl bekommen, bestehend aus Brot, Fischen und etwas Wein; dann sorge für ein leidliches Lager, und du hast alles getan, was Ich von dir wünsche!«

05] Hier erhebt sich sogleich der arme Hausherr und sagt mit einer etwas traurigen Miene: »Guter Meister, was ich habe, gebe ich her, da meiner Hütte eine solch große Ehre und Gnade widerfahren ist; denn ich weiß es, daß du ein Sohn Davids und dazu noch ein großer Prophet bist. Brot und Fische habe ich wohl noch im Vorrate für heute und morgen, aber mit dem Weine sieht es etwas schlecht aus, nicht nur bei mir, sondern in dieser ganzen Gegend; auch in der nicht weit von hier liegenden Stadt Cäsarea Philippi sieht es mit dem Weine sehr erbärmlich aus. Etwas Himbeeren- und Brombeerensaft besitze ich wohl, aber er ist schon etwas alt und darum sauer; wir trinken ihn nur mit Wasser und etwas Honig gegen den Durst.

06] Aber einige Töpfe voll gestockter Ziegenmilch habe ich; wenn dir vielleicht davon etwas genehm wäre, so brächte ich gleich einige hierher. Mit Brot ist das wahrlich eine gute Speise!«

07] Sage Ich: »Nun, so bringe, was du hast! Aber Ich sehe, daß du mehrere Weinschläuche in deinem Hause birgst; so du keinen Wein je erntest, wozu sind dann die Schläuche?«

08] Sagt der arme Hüttenbesitzer: »Ja, ja, Schläuche habe ich wohl, weil ich ein Schlauchmacher bin; aber es war noch in keinem je ein Tropfen Wein darin! Ich habe deren nun bei fünfzig für den kommenden Markt in der Stadt fertig und verkaufe das Stück um einen guten Groschen.«

09] Sage Ich: »So geh und nimm die Schläuche, und mache sie alle voll mit Wasser!«

10] Fragt der arme Hüttenmann: »Guter Meister, wofür wird denn das hernach gut sein?«

11] Sage Ich: »Freund, frage nicht, sondern was Ich dir sage, das tue, dann wirst du glücklich sein zeitlich und ewig!«

12] Auf diese Worte berief der arme Hüttenmann sogleich sein Weib und seine schon erwachsenen acht Kinder, darunter sechs Töchter und zwei Söhne, und ging und machte am Brunnen die fünfzig Schläuche bald voll. Als die Schläuche alle vollgefüllt waren, da fragte er Mich, was er damit nun anfangen solle.

13] Da sagte Ich zu ihm: »Bringe sie alle in die kühle Steingrotte, an deren Eingang der Hinterteil deiner Hütte angebaut ist!«

14] Der arme Hüttenmann, der in dieser Grotte sein Stroh hatte, breitete es am Boden aus und legte die mit Wasser gefüllten Schläuche in guter Ordnung nacheinander auf das Stroh, und als er mit der Arbeit fertig war, kam er wieder hervor und sagte: »Herr und Meister, es ist alles geschehen, wie du es anbefohlen hattest! Ist vielleicht noch etwas Weiteres zu besorgen?«

15] Sage Ich: »Nun ist schon alles in der besten Ordnung. Gehe und nimm aber nun etliche deiner besseren Steinkrüge und fülle sie von einem der fünfzig Schläuche, von welchem du willst, verkoste aber auch von den gefüllten Krügen, wie sie dir schmecken; bringe sie dann hierher und sage es uns, wie dir das Wasser, also zubereitet, schmeckt!«

16] Der Arme geht sogleich, nimmt zwölf Krüge und läßt sie voll an. Schon beim Anlassen kommt ihm ein ausgezeichneter Weingeruch in die Nüstern, und als er erst den flüssigen Inhalt verkostet, da weiß er sich vor lauter Verwunderung ordentlich gar nicht mehr zu helfen und sagt zu seinen ihm helfenden Kindern: »Höret, das faßt keines Menschen Verstand! Das Wasser, mit dem wir die Schläuche gefüllt haben, und von dem ich nun die Krüge vollgelassen habe, ist zum alleredelsten, besten Weine geworden! Kostet es und überzeuget euch selbst!«

17] Die Kinder kosteten und konnten sich auch nicht genug verwundern über dieses Wunder; und der älteste Sohn sagte: »Vater, du weißt es, daß ich in der Schrift gut bewandert bin. Ich kenne alle die Propheten und ihre Taten; aber eine solche Tat hat von ihnen keiner verübt! Dieser sonderbare Mensch muß offenbar mehr denn ein Prophet sein!«

18] Sagen auch die Tochter: »Ja, ja, Vater, es kommt uns auch also vor! Das ist am Ende gar der Elias, der noch einmal auf die Erde kommen soll, um die Menschen auf die Ankunft des großen Messias vorzubereiten! Oder am Ende ist das etwa gar schon der große Messias Selbst?«

19] Sagt der Vater: »Da ist eins wie das andere möglich! Hm, hm, wie aber das doch so plötzlich und unerwartet gekommen ist!«

20] Während der arme Hüttenmann noch so simulierend spricht, kommt sein Weib herbeigeeilt und sagt, fast ganz außer Atem vor Entzückung: »Kommet, kommet und sehet, was da geschehen ist in unserer Hütte! Unsere Speisekammer ist von allerlei guten Speisen und des besten Brotes ganz voll geworden! Das kann niemand anders getan haben als derselbe Meister, der vor einer Stunde zu unserer Hütte kam und von uns eine Unterkunft und ein Nachtmahl verlangte!«

21] Sagt der Mann: »Das liegt wohl außer allem Zweifel! Aber wie? Wer gibt uns darüber einen Aufschluß? Was ist er? Wer ist er? Sagen wir: >Er ist ein Prophet!<, so sagen wir offenbar zu wenig. Sagen wir: >Er ist ein Engel!<, so haben wir damit nicht viel mehr gesagt. Sagen wir aber: >Er ist ein Gott!<, da dürften wir denn doch zuviel sagen; denn ein Gott ist ja nur ein Geist; der aber hat Fleisch, Blut und Knochen, und es ließe sich da erst fragen, ob er am Ende denn doch nicht so etwa ein griechischer Zeus oder Apollo sei. Aber nun heißt es, in aller Demut, Liebe und Dankbarkeit den Wein hinaustragen und Brot und Fische, und was wir nur immer Eßbares haben; denn diese Wohltat ist unbezahlbar groß!«

22] Nun kam der arme Mann mit den gefüllten Krügen und sein Weib und seine Kinder mit Brot, Fischen und noch andern eßbaren Dingen. Und der Mann, sich tiefst vor Mir verbeugend, sagte mit einer höchst demütig klingenden Stimme: »O Herr und Meister! Wer bist du denn, daß du solche Dinge allein durch den Willen vermagst? Ich bebe vor höchster Ehrfurcht vor dir! Ein Mensch wie unsereiner kannst du nicht sein; wer und was aber bist du hernach denn, auf daß wir dich würdig ehren könnten?«

23] Sage Ich: »Sieh, Mein Freund, Ich will dir etwas sagen, und daraus kannst du dir dann selbst ein Urteil schaffen! Wenn du am frühen Morgen merkst, daß es heller wird im Aufgange und sich nach und nach der Himmel zu röten beginnt, so sagst du: >Die Sonne wird bald aufgehen!< Es wird aber auch heller am Aufgange, wenn der Mond sich dem Aufgange nahet; aber der matten Helle folgt keine Morgenröte, und so der volle Mond endlich aufgeht und die Erde matt beleuchtet mit seinem halben Lichte, so öffnet dennoch kein Blümchen den zarten Kelch, um einzusaugen den kalten, matten und nicht belebenden Strahl!

24] Die schon mit starkem Lichte umflossenen Boten, der Sonne nahen Aufgang verkündenden lichten Wölkchen sind wohl schon um sehr vieles heller denn der Mond in seinem Vollichte; aber würde diesen Boten keine Sonne folgen, so sähe es bald auf der ganzen Erde also aus wie in der eigentlichen starren Mitternachtgegend dieser Erde, dahin neun volle Monde hindurch kein Sonnenstrahl gelangt. Und so, sieh, geht es entsprechend auch in der ewigen Welt des Geistes zu, durch die allein diese materielle entstand und nun fortbesteht.

25] Es tauchen allerlei Lehrer und Propheten auf und lehren die Menschen so und so; es ist hie und da auch etwas Wahres daran, aber neben einem Funken Wahrheit wandeln stets Tausende von Lügen einher und geben sich neben dem einen Wahrheitsfunken das Ansehen, als wären sie selbst Wahrheit. Und sieh, alle solche Lehrer, Propheten und ihre Lehren gleichen dem Scheine des Mondes, der sein Licht stets wechselt, und oft dann, wenn zur Nachtzeit sein Licht am nötigsten wäre, gar nicht scheint.

26] Aber es gibt neben den falschen Lehrern und Propheten auch echte und wahre, aus deren Augen, Herzen und Mund Gottes Licht strahlt. Diese gleichen den lichtumflossenen Wölkchen, die der Sonne nahen Aufgang verkünden; bliebe es aber nur bei den, wenn auch noch so strahlenden Wölkchen, den echten und wahren Propheten nämlich, so würde es in den Herzen der Menschen mit der Zeit dennoch also auszusehen anfangen, als es aussieht auf der eigentlichen Mitternachtgegend der Erde, nämlich eisstarr, kalt und tot. Aber den echten Lichtwölkchen, die der Sonne vorangehen, folgt die Sonne selbst, und bei ihrem ersten Lichtstrahle, den sie über die grauen Gebirge auf die Fluren der Erde fallen läßt, wird altes wach, voll Freude und voll Lebens: Die Vöglein singen der aufgehenden Mutter des Lichtes und der Wärme ihre reinen Psalmen entgegen, die Mücken und Käferchen erheben sich in die lichtdurchdrungene Luft und summen der herrlichen Tagesmutter ihre Begeisterung zu, und die Blumen der Felder heben ihre königlich geschmückten Häupter empor und öffnen ihren balsamreichen Mund, um der großen Welterwärmerin den herrlichsten Duft entgegenzuhauchen.

27] Aus dieser höchst wahren Darstellung aber kannst du nun schon so viel herausfinden, um in dir zur Klarheit zu gelangen, auf daß du Mich auf den Standpunkt in deinem Herzen setzest, der Mir gebührt! Weder das Licht der Sterne, noch das des Mondes und für sich ebensowenig der goldne Glanz der Morgenwölkchen ist imstande, dem in der Materie dieser Erde gefangen Leben die Fesseln zu lösen und es dann hervorzulocken in die selbständig tätige Freiheit; solches vermag allein das Licht der Sonne.

28] Wer aber kann dann unter den Menschen Der sein, dessen Stimme und Willen alle die in der Materie gefangenen Geister gehorchen und sich fügen in alles, was Er will, - und wer Der sein, von dessen Ankunft alle echten Propheten geweissagt haben?«

29] Hier stutzt der arme Mann gewaltig und geht sehr nachdenkend mit den Seinen in die Hütte, um uns ja nicht beim Abendessen zu genieren.


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