Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


65. Kapitel: Josephs Mahnung zur Nachtruhe. Des Kindleins Wachgebot wegen des bevorstehenden Sturmes. Josephs Zweifel und der Ausbruch des Orkans. Die Ankunft des flüchtenden Cyrenius mit Gefolge. (10.11.1843)

01] Die Söhne Josephs aber wollten nicht mehr die Wiege verlassen; denn zu mächtig ergriff sie die Liebe zu ihrem göttlichen kleinen Bruder.

02] Da es aber schon ziemlich spät geworden war, da sprach Joseph zu den Söhnen:

03] »Ihr habt nun hinreichend gezeigt, daß ihr das Kindlein liebt.

04] »Es ist schon spät in der Nacht geworden, und morgen wird es wieder früh Tag werden; daher mögt ihr euch im Namen des Herrn zur Ruhe begeben!

05] »Das Kindlein schläft nun bereits, stellt behutsam die Wiege an das Bett der Mutter, und begebet euch dann in euer Schlafgemach!«

06] Solches hatte Joseph noch kaum ausgeredet, da schlug das Kindlein die Augen auf und sprach:

07] »Bleibt für diese Nacht alle hier und behaltet die Schlafstube für Fremde, die heute hier noch die Zuflucht nehmen werden!

08] »Denn bald wird ein allgewaltigster Sturm diese Gegend heimsuchen, desgleichen noch nie in dieser Gegend erhört ward.

09] »Aber niemand von euch fürchte sich; denn es wird darum niemandem ein Haar gekrümmt werden!

10] »Versperret aber darum ja keine Türe, auf daß die Flüchtlinge sich in diesem Hause zu retten vermögen!«

11] Joseph erschrak über diese Voraussage des Kindes und eilte sogleich hinaus, um zu sehen, von woher das Gewitter kommen würde.

12] Als er aber draußen war, bemerkte er nirgends ein Wölklein; der Himmel war rein, und kein Lüftchen regte sich.

13] Eine Grabesstille war über die ganze Gegend verbreitet, und von einem herannahenden Sturme war ewig nirgends eine Rede.

14] Joseph kehrte darum alsbald zurück, gab Gott die Ehre und sagte:

15] »Das Kind wird vielleicht geträumt haben; denn von einem Sturme ist nirgends eine Rede!

16] »Der Himmel ist rein nach allen Seiten, und kein Lüftchen regt sich; woher sollte da ein Sturm werden?«

17] Kaum hatte Joseph noch diese Worte ausgesprochen, da geschah auf einmal ein Knall wie von tausend Donnern; die Erde erbebte so gewaltigst, daß in der Stadt mehrere Häuser und Tempel zusammenstürzten.

18] Gleich darauf fing ein so heftiger Orkan zu wüten an, daß er das nahe Meer ellenhoch in die Stadt trieb; und alles Volk, durch den gewaltigen Erdstoß geweckt, eilte hinaus aus der Stadt auf die höher liegenden Orte.

19] Und Cyrenius selbst mit Maronius und seinem ganzen Gefolge kam bald eiligst fliehend in die Villa zu Joseph und erzählte ihm flüchtig die Schauderszenen, die das Erdbeben und der Sturm bewirkte.

20] Joseph aber beruhigte den Cyrenius dadurch, daß er ihm sogleich kundgab, was das Kindlein ehedem geredet hatte. Hier fing der Cyrenius leichter zu atmen an, und das Toben des Sturmes erschreckte ihn nicht mehr; denn er fühlte sich wie wohlgeborgen.



voriges Kapitel Home  |    Inhaltsverzeichnis  |   Werke Lorbers nächstes Kapitel