Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


62. Kapitel: Cyrenius und Joseph im Liebeseifer ums Wohl einer Menschenseele. Josephs Worte über Bruder- und Menschenliebe. Warum wir Menschen 2 Augen, 2 Ohren, aber nur 1 Mund haben. (07.11.1843)

01] Am Abende aber sprach Cyrenius zu Joseph: »Mein Freund, mein göttlicher Bruder, wie sehr leid ist es mir, daß ich heute nicht bei dir übernachten kann!

02] »Und wie leid ist es mir, daß ich den morgigen Tag bis Nachmittag dem Staatsgeschäfte widmen muß!

03] »Aber um die dritte Stunde des Nachmittags werde ich mit Maronius wieder zu dir kommen, und du wirst ihm dann auf meine Unterweihe die heilige Überweihe geben!

04] »Denn siehe, es liegt mir sehr viel daran, daß dieser sonst so kenntnisreiche Mensch gerettet werde durch die heilige Lebensschule deines Gottes, die ich für die allein wahre und lebendige halte!«

05] Und Joseph sprach: »Ja, du hoher Freund, das ist recht und billig; denn nichts ist dem Herrn angenehmer, als so wir unsere Feinde mit Liebe behandeln und sorgen für ihr zeitliches und ewiges Wohl!

06] »Betrachten wir jeden Sünder als einen irrenden Bruder, so wird uns auch Gott als Seine irrenden Kinder betrachten,

07] »im Gegenteile aber nur als böswillige Geschöpfe, die da allzeit Seinen Gerichten unterliegen und werden getötet gleich den Ephemeriden (Eintagsfliegen).

08] »Denn siehe, darum hat der Herr uns Menschen zwei Augen gegeben und nur einen Mund zum Reden, auf daß wir mit dem einen Auge die Menschen nur als Menschen, mit dem andern aber als Brüder betrachten sollen!

09] »Fehlen die Menschen vor uns, so sollen wir das Bruderauge offen haben und das Menschenauge schließen;

10] »fehlen aber die Brüder vor uns, da sollen wir das Bruderauge schließen und das Menschenauge auf uns selbst richten und uns alsonach selbst gegenüber den fehlenden Brüdern als fehlende Menschen ansehen.

11] »Mit dem einen Munde aber sollen wir alle gleich einen Gott, einen Herrn und einen Vater bekennen, so wird Er uns alle als Seine Kinder an erkennen!

12] »Denn auch Gott hat zwei Augen und einen Mund; mit dem einen Auge sieht Er Seine Geschöpfe - und mit dem andern Seine Kinder.

13] »Beschauen wir uns mit dem Bruderauge, da sieht uns der Vater mit dem Vaterauge an;

14] »beschauen wir uns aber mit dem Menschenauge, da sieht uns Gott nur mit dem Schöpferauge an, und Sein eben auch nur ein Mund kündet den Kindern Seine Liebe, oder aber den Geschöpfe Sein Gericht!

15] »Also ist es recht und billig, daß wir also für unseren Bruder Maronius sorgen!«

16] Hier segnete Joseph den Cyrenius und den Maronius; die beiden begaben sich dann in die Stadt mit ihrer Suite (Gefolge) und Joseph bestellte sein Hauswesen.



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