Jakob Lorber: 'Kindheit und Jugend Jesu'


53. Kapitel: Josephs und Marias Angst und Fluchtgedanken auf dem Paradeplatze. Das Zusammentreffen mit Cyrenius und Maronius Pilla. Das Ende der Truppenbesichtigung und die Heimkehr der heiligen Familie in Begleitung des Cyrenius. (26.10.1843)

01] Darauf machten sich Joseph und Maria sogleich auf den kurzen Weg; und der älteste Sohn Josephs begleitete sie, ihnen den nächsten Weg zur Burg zeigend, in der sich Cyrenius aufhielt.

02] Als sie aber auf den großen Platz gelangten, siehe, da war derselbe mit Soldaten angefüllt, so daß nicht leichtlich zum Eingange in die Burg zu gelangen war.

03] Und Joseph sprach zu Maria: »Geliebtes Weib, siehe, was für uns Menschen unmöglich ist, das bleibt uns unmöglich!

04] Also ist es auch jetzt rein unmöglich, durch alle diese Soldatenreihen zur Burg zu gelangen; daher sollten wir geradezu wieder umkehren und eine günstigere Zeit abwarten!

05] Auch das Kindlein blickt diese rauhen Kriegerreihen ganz ängstlich an! Es könnte leicht erschrecken und darauf krank werden, und wir hätten dann die Schuld; daher kehren wir zurück!«

06] Maria aber sprach: »Geliebtester Joseph! Siehe, so mich meine Augen nicht täuschen, so ist jener Mann, der soeben da vor dieser letzten Reihe mit einem glänzenden Helm auf dem Kopfe dahergeht, ja eben der Cyrenius!

07] Warten wir daher ein wenig, bis er daher kommt: vielleicht wird er unser ansichtig und wird uns dann sicher einen Wink geben, was wir zu tun haben, - ob wir zu ihm kommen sollen, oder nicht!«

08] Und Joseph sprach: »Ja, geliebtes Weib, du hast recht; es ist offenbar Cyrenius selbst!

09] Aber siehe einmal den andern Helden, der neben ihm einhergeht so recht fest ins Gesicht! Wenn das nicht der berüchtigte Landpfleger von Jerusalem ist, so will ich nicht Joseph heißen!

10] Was tut dieser hier? Sollte seine Gegenwart uns gelten? Sollte uns Cyrenius schändlichst also an den Herodes ausgeliefert haben?!

11] Das Beste an der Sache ist, daß er dich und mich persönlich sicher nicht kennt; und so können wir uns noch durch eine neue Flucht tiefer nach Ägypten hinein retten.

12] Denn kennte er mich oder dich, so wären wir schon verloren; denn er ist nun kaum mehr zwanzig Schritte von uns entfernt und könnte uns sogleich ergreifen lassen.

13] Daher ziehen wir uns nur schleunigst zurück, sonst ist es mit uns geschehen, so der Cyrenius unser ansichtig wird, der uns sicher noch gar wohl kennt!«

14] Hier erschrak Maria und wollte sogleich zurückfliehen. Aber das Volksgedränge gestattete hier keine Flucht; denn die Neugierde trieb so viele Menschen auf den Platz, daß durch sie es wohl unmöglich war, sich hindurchzudrängen.

15] Joseph sagte daher: »Was unmöglich ist, das ist unmöglich; ergeben wir uns daher in den göttlichen Willen! Der Herr wird uns auch diesmal sicher nicht verlassen!

16] Stecken wir aber doch zur Vorsicht so hübsch die Köpfe zusammen, auf daß wenigstens der Cyrenius uns nicht von Angesichte erkennt!«

17] Bei dieser Gelegenheit aber kam auch der Cyrenius so ziemlich knapp an den Joseph und schob ihn ein wenig vom Wege. Joseph aber konnte des Gedränges wegen nicht weichen; daher sah Cyrenius seinen hartnäckigen Mann sich näher an und er kannte alsbald den Joseph.

18] Als er aber des Joseph ansichtig ward und der Maria und des ihn anlächelnden Kindes, da wurden seine Augen vor Freude voll Tränen; ja, so erfreut ward Cyrenius, daß er kaum zu reden vermochte!

19] Doch aber faßte er sich sobald als möglich, ergriff mit Hast die Hand Josephs, drückte sie an sein Herz und sprach:

20] Cyrenius: »Mein erhabenster Freund! Du siehst mein Geschäft!

21] O vergib mir, daß ich noch nicht dich habe besuchen können; aber soeben ist die Musterung zu Ende! Ich werde sogleich die Truppen abziehen lassen in ihre Kasernen,

22] sodann dem Obersten meinen kurzen Befehl erteilen für morgen und dann alsogleich hier umgekleidet bei dir sein und dich geleiten in deine Wohnung!«

23] Hier wandte er sich noch voll Freude zu Maria und zum Kinde und fragte, gleichsam das Kindlein kosend:

24] »O Du mein Leben, Du mein o Alles, kennst Du mich noch? Hast Du mich lieb, Du mein holdestes Kindchen Du?«

25] Und das Kindlein hob Seine Händchen weit gebreitet gegen den Cyrenius auf, lächelte ihn gar sanft an und sprach dann deutlich:

26] »O Cyrenius! Ich kenne dich wohl und liebe dich, weil du Mich gar so sehr lieb hast! - Komme, komme nur zu Mir; denn Ich muß dich ja segnen!«

27] Das war zuviel für das Herz des Cyrenius; er nahm das Kindlein auf seine Arme, drückte Es an sein Herz und sprach:

28] »Ja, Du mein Leben, mit Dir auf meinen Armen will ich das Kommando zum langen Frieden der Völker erteilen!«

29] Hier rief er den Obersten zu sich, erteilte ihm seine volle Zufriedenheit und befahl ihm, die Truppen abziehen zu lassen und drei Tage lang auf Kosten des eigenen Beutels (d.h. des Cyrenius Beutels) verpflegen zu lassen, und lud dann den Obersten zu einem guten Mahl nebst mehreren Hauptleuten auf die Villa Josephs ein.

30] Er aber zog, wie er war, geleitet von dem sich stets mehr wundernden Maronius Pilla, sogleich, das Kindlein selbst tragend, mit Joseph und der Maria hinaus auf die Villa und ließ dort durch seine Diener sogleich ein festlich Mahl bereiten. Das aber machte ein großes Aufsehen in der Stadt; denn alles Volk ward entflammt mit Liebe für den Cyrenius, da es in ihm einen so großen Kinderfreund ersah.



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