Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 3, Seite 079


14] Allein, ihr wißt die Begebenheit, als Ich in dem Garten Gethsemani an dem sogenannten Ölberge zu Gott, von dem Ich Mich der Welt wegen getrennt habe, betete. Seht, da erst erwachte vollends die große Blindheit Meiner Liebe und sah mit dem entsetzlichsten Grauen zwischen Sich und Gott die unendliche Kluft; allda bereute Ich im Ernste, daß Ich Gott verließ und zum toten Werke Meiner eitlen Lust Mich gewendet habe, - und damals stand die ganze Schöpfung in der großen Schwebe zwischen Sein und dem ewigen Nichtmehrsein. Denn entweder trinke Ich den Kelch, so besteht die Welt und alles, was auf ihr ist - oder Ich setze den Kelch zur Seite und die Welt und alles unter ihr wird zunichte in dem Augenblick, da Ich den Kelch zur Seite setze.

15] Aber seht, eben da, wo die Liebe und das Leben in der unendlichen Entfernung von Gott schwach geworden ist, da erbarmte sich Gott Seiner Liebe selbst, stärkte Sie und gebot Ihr, den vorgesetzten Kelch zu leeren, und sprach insgeheim zu Ihr: "Noch sind zwischen Mir und Dir die Extreme der Unendlichkeit nicht berührt; daher senke Dich hinab in die äußerste Tiefe des Todes, welcher ist die äußerste Grenze im Gegensatze zu Meiner Heiligkeit, damit Ich Dich da wieder erfassen kann, da der ewige Kreis Meiner Heiligkeit sich schließt." - Seht, so ging Ich dann geduldig diesem Ziele entgegen, allwo Ich in dieser unendlichen Entfernung von Gott am Kreuze ausrief: Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?" - und ferner: "Es ist vollbracht!" und "In Deine Hände empfehle Ich Meine Seele" - oder die Seele alles Lebens, oder die Seele, aus der alles, was da ist, hervorgegangen ist. -

16] Seht, nun werdet ihr, so ihr dieses ein wenig bedenkt, wohl einsehen, wie Ich bei euch Sündern der Sehr Schwache bin, und wie Ich Mir noch immer muß von der Heiligkeit Gottes an eurer Statt in irgend einer vorgestellten menschlichen schwachen Beschaffenheit Vorwürfe machen lassen, um euch jeden sonderheitlich neuerdings wieder zu erlösen und einzuführen lebendig in die Heiligkeit des Vaters. Seht, ein solcher Mensch, dessen Ich Mich bediene und gewisserart seine Wesenheit anziehe, um dadurch eure Mängel verhüllt zu tragen, gleicht dem Simon von Cyrene und könnte ebenfalls großen Lohn erreichen, so er Mir willig auf eine kurze Zeit nur hätte das Kreuz ein wenig tragen helfen. Allein der Mensch ist schwach und fürchtet jede Last, am allermeisten aber die Last des Kreuzes; und daher bleibt Mir denn wieder nichts anderes übrig zu tun, als was Ich dereinst tat, nämlich für alle das Kreuz Selbst zu schleppen.



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