Jakob Lorber: 'Himmelsgaben', Band 2


05] Ganz vorne vor dem Allerheiligsten brachte ein gar vornehmer Pharisäer dem Herrn sein Dankgebet dar, indem er laut also sprach: »O Herr! Ich danke dir, o Herr, daß Du mir solche große Stärke verliehen hast, derwegen ich seit meinen Kinderjahren dir allergetreuest dienen konnte und habe mich noch nie an einem Gesetze versündigt gegen Dich, o Herr! Denn ich habe die Gesetze Mosis gehalten bis auf ein Häkchen. Ich verrichtete meine Standespflichten genau, ich opferte Dir allezeit reichlichst und gab von allem den Zehnten pünktlich genau. Ebenso auch verunreinigte ich mich nie, weder am Morgen, noch am Mittage, noch am Abende. Und den Sabbat habe ich ebenfalls noch nie mit einem Finger entheiligt.

06] O darum danke ich Dir, mein Gott, nun mit vollster, überzeugender Inbrunst aller meiner von Dir mir gütigst verliehenen Kraft, derwegen ich stets gerecht gewandelt habe vor Dir und bin gerechtfertigt vom Scheitel bis zur Zehe und bin nicht ein Sünder gleich den gemeinen Juden, gleich den Landstreichern, gleich den Tagdieben, Räubern und Mördern, gleich den Hurern und Ehebrechern, gleich den Sabbatschändern und Schweinefressern und nicht im geringsten gleich all den öffentlichen Sündern, Gauklern, Tänzern, Komödianten, Zauberern, Zöllnern und niedrigen Wucherern und nicht im geringsten gleich den Samaritern und dergleichen mehr!« - Das war so etwa das Dankgebet des gerechten Pharisäers.

07] Aber ganz im Hintergrunde des Tempels stand auch ein sündiger Zöllner. Dieser getraute sich kaum seine Augen aufzuheben und sprach in der völligen Zerknirschung seines Gemütes:

08] »O Herr! Ich armer, schwacher Sünder bin nicht wert, Dein Heiligtum zu schauen, nicht wert, euch nur am letzten Platze Deines Tempels zu stehen! Sei, o Herr, mir armem, schwachem Sünder aber gnädig und barmherzig, wenn ich je noch einer Erbarmung im allergeringsten würdig bin!« - Hier schlug der Zöllner sich auf die Brust und verließ weinend den Tempel!

09] Wer von diesen beiden ging nun wohl gerechtfertigt aus dem Tempel? - Ich sage dir jetzt, wie Ich es damals gesagt habe: Keineswegs der prahlerische Pharisäer, der Mir seine Gerechtigkeit vorrechnete und sich für viel besser hielt als alle andern; sondern der schwache, sündige Zöllner, der sich für schlechter hielt als alle andern. Darum kam Ich später auch in sein Haus und aß und trank mit ihm und nahm ihn als einen Bruder zu Mir und Meinen Brüdern auf.

10] Nun siehe, wenn demnach der Zöllner Mein Freund wurde, der Pharisäer aber gerade das Gegenteil, so wird es doch etwa klar sein, warum Paulus spricht: »Auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich ein Engel Satans (d.i. fleischliche Liebe oder fleischliche Lustbegierde), damit er mich mit Fäusten schlage.« - Desgleichen spricht auch Hiob:



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