Jakob Lorber: 'Die Haushaltung Gottes' (Band 1)


Kapitelinhalt 72. Kapitel: Sethlahems und Asmahaels Weisheit.

01] Und als der Sethlahem solche Rede vernommen hatte, fiel er vor dem Henoch nieder und sprach: »O Henoch, deine

große Weisheit hat mich zunichte gemacht, daß es mir nun vorkommt, als wäre ich nimmer vorhanden; aber ich merke, daß ich dich in meiner Vernichtung nun mehr verstehe als zuvor in meiner Weisheit! Und so nimm hin meinen Dank für solche deine große Geduld, die du mit mir hattest und wurdest nicht ärgerlich über meine große Torheit, die mich frech genug werden ließ, daß ich mich darob unterfing, dir unter dein liebeerhelltes Antlitz zu treten und mit dir zu rechten, der du ein lebendiges Werkzeug in der Hand des allmächtigen, heiligen Vaters bist!

02] Siehe, meine Augen hast du zwar blind gemacht, und ich sehe noch nicht, was des Rechtens ist; aber ich nehme nun ein anderes Licht in mir wahr, das mir zeigt eine neue Bahn, zwar matt erleuchtet noch, aber eine Bahn, die mich in einem Augenlicke

weiterbringen wird, als mich das fruchtlose Licht meiner Augen in vielen, ja schon in sehr vielen Jahren gebracht hat.

03] O Henoch, sollte auf dieser neuen Bahn mein Fuß auf irgendeine sehr lockere Stelle treffen, dann lasse mich zu dir kommen, auf daß du mir zeigen möchtest, ob ich rechten Weges wandle.

04] O Henoch, rufe mir zu, wenn du mich in meiner Blindheit wirst einen Irrtritt machen sehen! Amen.«

05] Und Henoch erwiderte ihm, sagend: »O Sethlahem! Siehe, du hast einen redlichen Willen und bist voll guten Eifers, daß dir darob ein Lob gebührt; aber eines noch ist zu tadeln an dir, und das ist, daß du das, was nur allein Gott, unser aller heiligster Vater, Seinen Kindern geben kann, bei mir, einem ebenfalls nur schwachen Menschen, suchst und so auch das Werkzeug statt des Meisters lobst!

06] Meinst du denn, ich sei erbittlicher denn die unendliche Liebe und Erbarmung des ewigen, heiligen Vaters?! O Sethlahem, lasse dich nimmer betören von der geheimen Torheit deines Herzens, und wende dich nie eher zu den Menschen, als bevor du dich im innersten Grunde gewendet hast voll Liebe und Reue zu Gott! Und solltest du unerhört bleiben längere Zeit, sodann denke erst, daß alle allerbesten Menschen gegen Gott eitel böse und lieblos sind, und daß Gott dir doch lange eher alles geben wird, bevor dich das mitleidigste Menschenauge auch nur eines Blickes würdigen wird.

07] Was aber uns betrifft, so sind wir ja ohnehin auf Geheiß Gottes, unseres allerheiligsten, besten Vaters zu euch gekommen und werden zufolge Seiner Liebe in uns unsere Augen nimmer von euch wenden. Daher erhebe dein Herz nach oben und liebe den heiligen Vater aus allen deinen Kräften, so wirst du leben; denn solche Liebe wird dich in einem Augenblicke mehr lehren als alle besten und weisesten Menschen in vielen hundert Jahren. Siehe, nun hast du alles, was dir vorderhand not tut; handle und wandle in der Liebe zu Gott! Amen.«

08] Nach solcher Rede aber verneigte sich Sethlahem vor den Vätern und trat dankbar zurück und fing an, viel Freude in sich zu empfinden, und pries Mich darob im Herzen.

09] Nach dem aber wendete sich Henoch zum Adam, sagend: »Lieber Vater, sei nicht ungehalten, daß ich dich länger hier aufhielt, als du für mich vorgesehen hast; allein, siehe, der Herr richtet Seine Liebesgaben nicht nach unserm Zeitmaße, sondern, wann Er's geben will, gibt Er es, und allzeit sei Ihm, dem großen, heiligsten Geber, unser vollster Dank, Preis, Lob und Ehre! Amen.«

10] Adam aber erwiderte: »O lieber Henoch, des sei ohne Kummer; wir wissen ja alle, daß das, was der Herr tut, allzeit wohlgetan ist! Amen.«

11] Und der Seth stimmte gleich laut ein und setzte endlich noch hinzu: »Und allzeit zu der allerrechtesten Zeit! Amen.«

12] Adam aber erhob sich abermals und sagte, sich zum Henoch wendend: »Henoch, nun lassen wir alsbald den Asmahael beginnen, auf daß auch er fürs erste seine Zahl erfülle und fürs zweite uns daraus kundgebe seine Ansicht über dieser Gegend schöne Form und endlich, wie er alles dieses aufgefaßt hat. Nach dem aber wollen wir uns alsbald zur Weiterreise anschicken und noch eine kurze Einladung an die Kinder des Abends und die der Mitternacht ergehen lassen und uns endlich nach Hause verfügen. Amen.«

13] Und der Henoch hieß den Asmahael, zu beginnen seine Sache.

14] Und alsbald trat das Tier mit seinem Reiter vor. Es sprachen aber die Kinder des Mittags verschiedenes etwas laut durcheinander; das Tier aber brüllte sogleich dreimal so heftig hintereinander, daß darob alle ein gewaltiges Bangen ergriff und ihre Stimmen in das tiefste Schweigen versanken.

15] Nachdem alber solche Ordnung hergestellt war, verstummte alsbald das Tier, und Asmahael begann, folgende überaus merkwürdige Rede gar fein klingend von sich zu geben, sagend nämlich:

16] »O würdigste Väter der Väter der Erde! Was soll und was könnte ich, der finsteren Tiefe des Todes vor kürzlicher Frist kaum entronnen, nun rede aus diesen so heiligen Höhen, da alles - voll Wunder, voll Gnade, voll Lebens - das kräftigste Wort auf der bebenden Zunge erstarren mir machet?!

17] Die herrliche Form dieser Gegend, o wahrlich, wer heilige Worte des Lebens aus sich nicht zu reden vermag, o wie sollte der Formen wie diese so wunderbar herrlich und schön, mit der stotternden Zunge zerlegend, darstellen?!

18] O Väter der Erde, ich habe noch kaum mich getraut, mein Auge erst vollends zu öffnen, daß mir zu schauen die Fähigkeit würde zuteile die Wunder der heiligen Höhen; nun sollte dieselben darzustellen ich Armer, ich Blinder, ich Toter vor euch, die voll Gnade, voll Lebens, voll Macht und voll Stärke die Dinge von seltsamsten Formen schon lange durchschauet vom innersten Grunde wohl haben?!

19] Was sind diese grasreichen Flächen, umrungen von himmlelanragenden felsigen Wänden und Spitzen, wenn ihre gar große Bedeutung verborgen dem Scheine von Leben muß bleiben?! Stünde ich nicht ein verwerfliches Steinchen unendlichmal höher im heiligen Range für mich und für jeden, der solches vom Grunde verstünde, denn alle Gebirge und Höhen der Erde und diese mit ihnen?!

20] Wie leicht ist zu sagen: ,Man darf es ja nur sehen, daß dorten im Morgen ein dampfender, himmelanragender König der Berge, als müßte er die Erde beherrschen, gar kühn sich erhebet!' O wahrlich, das Auge der Tiere mag solches sehen! Doch wenn ich mich frage: ,Verstehst du Asmahael, solches gar mächtige Gebilde?', da spricht es in der Nacht meines Herzens: ,Wie sollte der Tote den Toten begreifen?! Dein Leben ist Schein nur und Trug deiner Sinne! Die beugsame Zunge ist alles, daß du unterscheiden dich magst von den Tieren!'

21] O Väter, wenn solches ich habe empfunden, da denket, wie gar unerforschlich die Formen der heiligen Höhen sind!

22] Sehe ich dort zwischen Morgen und Mitternacht auch einen noch herrlicher strahlenden Berg denn die Sonne am Himmel gar selbsten, das sie uns einfarbig die Strahlen nur spendet und dieser das Licht aller Sterne und Blumen in mächtigen Strömen, die Sonne beschämend, ausbeutet - doch wenn ich mich frage: ,Wie das und woher und warum?', o dann ruft mir das Gras wie auch alle die Steine mit wohl zu verstehenden Zeichen ins Ohr: ,O du Tor, warum sinnest du mühsam den Wundern des Lichtes wohl nach?! Ist das Licht denn zu schauen, geflossen aus Gott?!

23] O du Tor, siehe, zum Leuchten nur schuf einst die Allmacht des Schöpfers die Sonne und nimmer, zu schauen dieselbe; und hast du empfangen die Fähigkeit, reiflich zu denken, so denke nicht über das Denken, was gleichet der Torheit, die Sonne zu schauen.

24] Gedanken sich Lichter der Seele, erleuchtend das lose Gewirre des leiblichen Lebens, doch nimmer, als daß du sie einzig allein dazu nehmen und nützen sollest! Wie möchtest du die außen entstehenden Wunder begreifen, solange du dich selbst als das nächste Wunder mußt fliehen?!'

25] O sehet, ihr würdigsten Väter der Väter der Erde, o wenn man denn solches notwendig erfährt von der stummen Natur, o dann ruhet sich hart auf den Höhen des Lichtes!

26] Ich ward nicht beschieden hierher, um zu leuchten, nein, nur um erleuchtet zu werden ward ich von dem glänzenden Ahbel (Abel) zu euch hergeführet! Darum laßt nun hören mich eure Reden voll Licht und voll Leben; zu reden ist lang noch die Zeit nicht für mich! O wer könnte auch Worte noch finden, die heiliger klängen als jene voll Kraft und voll Leben von oben, der Zunge des Henoch enttriefend, da eines gewichtiger ist als der Erde schwer lastendes Wesen von Grunde zu Grunde! Denn wo das gesprochene Wort nicht nur einzig allein als wohltönender Schall zu vernehmen sich bietet gar üppiglich, sondern reichlich das Leben den tödlich verborgenen Tiefen im Menschen erfolglich und segnend entwindet, - o höret mich Armen: solch Wort ist wohl schwerer und größer denn alles, was möglich das Auge zu schauen vermag und zu wägen der leibliche Sinn!

27] Und so lasset, ihr würdigsten Väter der Väter der Erde, mich Armen, mich Toten nun schweigen; denn es ist nicht füglich, als Toter zu reden zu denen, deren Brüste im Leben aus Gott in dem hellsten Licht in sich bergen, von da jedes Wort mit gesegneter Zunge das Leben ausstreuet also wie die Sonne ihr zitterndes Licht.

28] Sonach lasset, o Väter der Väter der Erde, mich enden mein nichtig nur schallendes Wort; denn die Zeit ist für Besseres gemacht denn für leeres Geplapper!

29] Ist schön auch die Gegend als Rückstrahl des Lebens, - doch schöner ist, selbst nach dem Leben zu trachten! O wahrlich, wie ich es empfinde, ist schöner ein Tropfen des Lebens, im engsten Raume verschlossen, für den, der es treu hat gefunden, als wenn er mit schärfesten Blicken hinaus in die endlosen Räume voll Sonnen und Todes möchte starren!

30] O Henoch, mein weisester Lehrer durch Gnade und Liebe von oben, entschuldige mein leeres Geplauder und halte dem Toten die Blindheit zugute! Der Tote und Blinde bin ich, höre! Amen.«


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