Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 2)


Kapitelinhalt 61. Kapitel: Demut und Gotteskindschaft.

(Am 19. August 1843 von Nachm. 5 1/2 - 7 1/2 Uhr.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1976 Lorber-Verlag

01] Der Aelteste erhebt sich nun wieder, und wie ihr in euerem Gemüthe leicht bemerken könnet, so schickt er sich wieder an, mit mir zu reden. Es sei! Ich habe ihm Solches gestattet; also soll er auch reden, und so spricht er denn:

02] Allererhabenster unter den Gesandten des großen Gottes! Darum du ein Zeitgenosse nach deinem Zeugnisse warst auf jener Erde, auf welcher es dem großen Gott gefallen hatte gleich Seinen Geschöpfen ein Mensch zu sein, um dadurch aller Creatur die Pforten zum ewigen Leben zu öffnen, - dir sage ich, daß ich deinen Worten auf den möglichen Grund des Grundes nachgespürt, sie sämmtlich als recht befunden und meine Weisheit angestrengt habe, um irgend einen Widerspruch zu finden; allein ich vermochte auch nicht auf einen Punkt zu stoßen, der mir die große Wahrheit deiner Aussage nur im Geringsten hätte verdächtigen können.

03] Ich sehe es nun klar ein, daß man nach deiner Lehre auf jeder Welt die Kindschaft Gottes überkommen kann, so man nur darnach handelt und sein inneres Leben sucht in dem Namen des Gottmenschen frei zu machen. Ich sehe auch ein, daß das Händeauflegen auf den flammenden Altar nur vielmehr ein äußeres Bild dessen ist, was das menschliche Geschöpf im Grunde des Grundes geistig in sich thun solle.

04] Also in Dem wäre nirgends auch nur ein allerleisester Zweifel vorhanden; aber ein ganz anderes Ding steckt hier im Hintergrunde, und in dieser Hinsicht bin ich noch trotz dieser lichten Welt in einer bedeutenden Dunkelheit, und dieser mir dunkle Punkt lautet also:

05] Du hast gesagt, die Demuth ist die Grundbedingung zur Erlangung der Kindschaft Gottes; denn aus dieser ausschließend die Liebe zum alleinigen Gott hervorgeht. Nun aber kann doch Niemand ewig je in Abrede stellen, daß da „ein Kind Gottes sein" doch sicher unendlich mehr sagen will, als wenn man hier auf dieser Welt auch das allerhöchste und allervollkommenste geistige Wesen ist. - Hier weiß ich mir nicht zu bescheiden und aufzuklären, ob beim „unter was immer für eine Handlungsbedingung mehr werden wollen" irgend von einer wahren Demuth die Rede sein kann.

06] Ich setze den Fall, ich will als Kind Gottes auf der allergeringsten und allerletzten Stufe stehen, und will durchaus keine Kraft und keine Macht, sondern allein nur die selige Fähigkeit, Gott den Allmächtigen stets mehr und mehr zu lieben aus allen Kräften eines geistigen Lebens, das wäre doch sicher die geringstmöglichste Forderung im Zustande der Kindschaft Gottes.

07] Wenn ich aber dagegen bedenke, daß ich in meinem gegenwärtigen Zustande auch nicht ein Atom gegen die sichere Größe solch' eines allergeringsten Kindes Gottes ausmache, so will ich ja doch offenbar in der Erlangung solcher geringsten Kindschaft Gottes nothwendiger Weise mehr werden. Bei uns heißt eine solche Demuth, durch welche ein Mensch Irgend mehr werden will, eine schwächliche Kriecherei; wie ist dann solche geistige Demuth vor Gott zu nehmen, wo man doch nothgedrungener Maßen entweder im schlimmeren Falle mehr werden will, als man vom Urbeginn der göttlichen Ordnung her war, oder wo man im besseren Falle wenigstens alleroffenbarlichst mehr werden muß. Wenn das Mehrwerden nicht voranstünde, so wäre dein mir vorgezeichneter Weg in jedem Punkte als vollgiltig anzunehmen. Da sich aber dieses verhängnißvolle „Mehr" weder auf die eine, noch auf die andere Art hinwegschaffen läßt, so kann ich die Demuth nicht als diejenige Tugend betrachten, welche zur Erlangung der Kindschaft nothwendig sein soll; da sie, nämlich diese Tugend, am Ende zufolge des Mehrwerdens doch nur als eine Gleißnerei, Kriecherei und Heuchelei betrachtet werden kann.


08] Zu diesem Punkte gesellt sich aber noch eine andere Fraglichkeit, und diese besteht darin: Hat irgend ein freidenkendes, sich selbst bewußtes und freithätiges Geschöpf das Recht, unter irgend einem Vorwande mit der Stellung unzufrieden zu sein, welche ihm die allerhöchste Güte und Weisheit Gottes vom Uranbeginn an ertheilt hatte? - Was ist die Unzufriedenheit? Sie ist für's Erste die Ungenügsamkeit an dem Gegebenen, und eben darum auch der Undank für das Gegebene.

09] Nun fragt es sich: Wenn ich durch Liebe und Demuth ein Kind Gottes, also um's Unaussprechliche mehr werden will, als ich jetzt bin, wie sleht es da mit meiner Zufriedenheit und Dankbarkeit für das aus, was ich durch die unendliche Gnade Gottes allhier bin?

10] Ist die Demuth und die Liebe unter solchem Anbetracht wohl genügend, solchem Undanke als Aequivalent entgegen zu stehen, besonders wenn nicht einmal Gott Selbst mir das unaussprechliche Mehr im Zustande der Kindschaft Gottes hinweg räumen kann?

11] Ich meine, du erhabenster Gesandter wirst mich wohl verstehen, was ich damit, wenn schon abgerissen, im klaren Ideengange habe sagen wollen. Ja, wenn du sagst: Ich werde als Kind Gottes um's Außerordentliche geringer, schwächer, unvollkommener, als ich hier bin, so ist die Demuth ein rechter Weg, die Kindschaft Gottes zu erlangen; aber mit dem Bewußtsein, mehr zu werden in jeder Hinsicht, ist die Demuth offenbar, wenigstens für diesen meinen gegenwärtigen Begriffszustand, der unpassendste Weg;

12] denn siehe, bei uns, wie du es sicher aus der Weisheitskraft des Herrn wissen wirst, ist solche unwandelbare Sitte, daß da nie ein Mensch etwas thun darf, sondern das gegenseitige Bedürfniß und die gegenseitige gleiche Bruderliebe muß für alle Zeiten der Zeiten der alleinige Beweggrund zu handeln bleiben. Wenn ich aber meinen Bruder liebe, auf daß er mir dann einen Dienst erweisen möchte, oder mich wenigstens auch lieben solle; wenn ich also durch meine Bruderliebe auch nichts als bloß nur die Gegenliebe verlange, oder für eine geleistete Handlung auch nur den kürzesten Dank, so ist das bei uns eine grobe Untugend.

13] Wenn ich mich vor Jemanden demüthige, auf daß er mir nur ein freundliches Gesicht zeigen möchte, so bin ich schon ein Heuchler im ersten geringeren Grade. Kurz und gut, wir kennen kein anderes Handlungsmotiv, als das gegenseitige Bedürfniß. Da es Noth ist, da wird gehandelt, ob darauf Dank oder Undank erfolgt; ohne Noth aber wird keine Hand gerührt und kein Fuß um eine Linie vorwärts gesetzt. Dadurch bleibt ein jeder Mensch fortwährend gleich in seinem Range, und Keiner kann auf eine andere Weise den Andern überbieten, als allein nur durch eine tiefere Weisheit, durch welche er in den Stand gesetzt wird, alle möglichen Bedürfnisse in seinen Brüdern zu erkennen und nachher also auch die Handlungen einzurichten, daß sie seinen Brüdern ohne das allergeringste Entgeld zu Gute kommen. - Wenn nach solchen Handlungen die bewohlthätigten Brüder dem Handelnden entgegen kommen, und erweisen ihm da Dankbarkeit und Liebe, so kann er diese der Seligkeit seiner Brüder wegen wohl annehmen; aber ja nicht im Geringsten darum, als möchte er selbst darin irgend einen Lohn für seine Handlung überkommen wollen. - Wenn du nun diese unsere Sitte ein wenig durchachtest, so wirst du, und stündest du noch endlos höher als du stehst, sicher finden, daß sich's mit der Demuth und Liebe zur Erlangung der Kindschaft Gottes durchaus nicht thut.

14] Laß mich nichts erlangen, und ich will dir im nächsten Augenblicke all' diese großen Herrlichkeiten hier zerstören und in einem Loche, das ich mir in das Erdreich bohren werde, gleich einem Wurme wohnen, der da auf unserer Welt geschaffen ist, das Erdreich bis zu einer bestimmten Tiefe zu lockern; - aber um mehr zu werden, will ich gerade den entgegengesetzten Weg einschlagen, und will nicht scheinbar abwärts steigen, um aufwärts zu kommen, sondern ich will aufwärts steigen, und soll vor Gott ein jeder Schritt, den ich thue, ein vollkommen wahrer, aber auch nie selbst dem Anscheine nach ein gleißnerischer sein.

15] Wer zu mir kommt und will mehr werden, den prüfe ich, ob er für das Mehr Fähigkeiten besitzt; besitzt er sie, so werde ich ihm eine höhere Stelle einräumen, darum er mit aufrichtigem Herzen zu mir gekommen ist. Wer aber zu mir kommt, fällt sogleich auf sein Angesicht nieder, und spricht: Höre mich an, Aeltester! Ich will glückselig sein, so du mich nur hinaus in die entlegensten Baumreihen als den letzten Platzreiniger anstellst. - Da spreche ich zu ihm: Hebe dich hinweg! Du bist eines schleichenden und kriechenden Gemüthes; als Letzter wolltest du hier angestellt werden, um dich nach und nach herein zu schleichen bis in's oberste Stockwerk. Hier aber kann kein kriechendes Gemüth seine Stelle finden; daher demüthige dich ganz und verlaß ohne je eine Aussicht, hier eine Stelle zu bekommen, sogleich diesen meinen Wohnort. Denn warum wolltest du nicht aufrichtig und der Wahrheit gemäß handeln? - Hättest du dieses gethan, so hätte ich dich geprüft; also aber sei dir, so lange du ein Gleißner bleiben wirst, auch der entfernteste Zutritt zu diesem meinem Wohnhause untersagt.

16] Ich meine, gegen diese Handlungsmaxime kann der vollkommenste Weise nichts einwenden; denn die Wahrheit ist der Grund aller göttlichen Ordnung, und wider diese soll kein freithätiges Wesen sich verstoßen, so lange es seines Gottes würdig bleiben soll.

17] Ich will mit diesen meinen für mich klaren Ansichten dir freilich wohl nicht vorgreifen; aber das Recht hat auf dem Grunde der innern Wahrheit ein jedes von Gott freidenkend und freiwollend erschaffene Wesen, Demjenigen seine innere Ordnung aufzuschließen, der es auf den Weg einer anderen Ordnung zu überbringen und zu übersetzen den guten Willen hat. Daher wirst du denn mir diese meine Aeußerung sicher zu Gute halten, und wirst mir darüber, wie ich es erwarte, auch sicher einen genügenden Bescheid geben.

18] Es ist möglich, daß ich das Wesen der Kindschaft Gottes noch zu wenig aufgefaßt habe. Ohne dem aber, meine ich, dürfte es wohl schwer halten, hier einen zu billigenden Mittelweg zu finden: denn die Wahrheit ist überall nur Eine und diese ist der sich selbstbewußte Grund eines jeden geschaffenen Menschen. Zwei Wahrheiten aber können ewig nie neben einander bestehen, da die eine die andere aufheben sollte; daher kannst auch nicht du und ich zugleich Recht haben. Soll aber dieses der Fall sein, so ist nur mein Unverstand noch dazwischen, daß ich deine Wahrheit nicht alsogleich als die meinige anzuerkennen vermag; daher wird es für mich nothwendig sein, daß du dich deutlicher ausdrückest, und zwar für's Erste, was da im Grunde des Grundes ist die Demuth, dann die wahre Liebe und die dadurch zu erlangende Kindschaft Gottes. Solches also thue mir kund, und ich werde nach vollkommen erkannter Wahrheit ein jedes Häkchen deines Wortes allergetreust in diesem meinem ganzen Hause beobachten, darum bitte ich dich für mich und für mein ganzes Haus!

01] Der Älteste erhebt sich nun wieder, und wie ihr in eurem Gemüte leicht bemerken könnt, so schickt er sich wieder an, mit mir zu reden. Es sei! Ich habe ihm solches gestattet; also soll er auch reden und so spricht er denn:

02] Allererhabenster unter den Gesandten des großen Gottes!  darum du ein Zeitgenosse nach deinem Zeugnisse warst auf jener Erde, auf welcher es dem großen Gott gefallen hat, gleich Seinen Geschöpfen ein Mensch zu sein, um dadurch aller Kreatur die Pforten zum ewigen Leben zu öffnen, - dir sage ich, daß ich deinen Worten auf den möglichen Grund des Grundes nachgespürt, sie sämtlich als recht befunden und meine Weisheit angestrengt habe, um irgendeinen Widerspruch zu finden. Allein ich vermochte auch nicht auf einen Punkt zu stoßen, der mir die große Wahrheit deiner Aussage nur im geringsten hätte verdächtigen können.

03] Ich sehe es nun klar ein, daß man nach deiner Lehre auf jeder Welt die Kindschaft Gottes überkommen kann, so man nur darnach handelt und sein inneres Leben in dem Namen des Gottmenschen freizumachen sucht. Ich sehe auch ein, daß das Handauflegen auf den flammenden Altar gleichsam nur ein äußeres Bild dessen ist, was das menschliche Geschöpf im Grunde des Grundes geistig in sich tun soll.

04] In dem allso wäre nirgends auch nur ein allerleisester Zweifel vorhanden; aber ein ganz anderes Ding steckt hier im Hintergrunde, und in dieser Hinsicht bin ich noch trotz dieser lichten Welt in einer bedeutenden Dunkelheit, und dieser mir dunkle Punkt lautet also:

05] Du hast gesagt, die Demut ist die Grundbedingung zur Erlangung der Kindschaft Gottes; da aus dieser ausschließlich die Liebe zum alleinigen Gott hervorgeht. Nun aber kann doch niemand ewig je in Abrede stellen, daß da »ein Kind Gottes sein« doch sicher unendlich mehr sagen will, als wenn man hier auf dieser Welt auch das allerhöchste und allervollkommenste geistige Wesen ist. - Hier weiß ich mir nicht Bescheid und aufzuklären, ab beim »unter was immer für einer Handlungsbedingung mehr werden wollen« irgend von einer wahren Demut die Rede sein kann.

06] Ich setze den Fall, ich will als Kind Gottes auf der allergeringsten und allerletzten Stufe stehen und will durchaus keine Kraft und keine Macht, sondern allein nur die selige Fähigkeit, Gott den Allmächtigen stets mehr und mehr zu lieben aus allen Kräften eines geistigen Lebens, das wäre doch sicher die geringstmögliche Forderung im Zustande der Kindschaft Gottes.

07] Wenn ich aber dagegen bedenke, daß ich in meinem gegenwärtigen Zustande auch nicht ein Atom gegen die sichere Größe solch eines allergeringsten Kindes Gottes ausmache, so will ich ja doch offenbar in der Erlangung solcher geringsten Kindschaft Gottes notwendigerweise mehr werden. Bei uns heißt eine solche Demut, durch welche ein Mensch irgend mehr werden will, eine schmähliche Kriecherei. Wie ist dann solche geistige Demut vor Gott zu nehmen, wo man doch notgedrungenermaßen entweder im schlimmeren Falle mehr werden will, als man vom Urbeginn der Göttlichen Ordnung her war, oder wo man im besseren Falle wenigstens alleroffenbarlichst mehr werden muß. Wenn das »Mehrwerden« nicht voranstünde, so wäre dein mir vorgezeichneter Weg in jedem Punkte als vollgültig anzunehmen. Da ist aber dieses verhängnisvolle »Mehr« weder auf die eine, noch auf die andere Art hinwegschaffen läßt, so kann ich diese Demut nicht als diejenige Tugend betrachten, welche zur Erlangung der Kindschaft notwendig sein soll, da sie, nämlich diese Tugend, am Ende zufolge des Mehrwerdens doch nur als eine Gleißnerei, Kriecherei und Heuchelei betrachtet werden kann.

08] Zu diesem Punkte gesellt sich aber noch eine andere Fraglichkeit und diese besteht darin: Hat irgendein freidenkendes, sich selbst bewußtes und freitätiges Geschöpf das Recht, unter irgendeinem Vorwande mit der Stellung unzufrieden zu sein, welche ihm die allerhöchste Güte und Weisheit Gottes von Uranbeginn zuerteilt hat? Was ist die Unzufriedenheit? Sie ist fürs erste die Ungenügsamkeit an dem Gegebenen und eben darum auch der Undank für das Gegebene.

09] Nun fragt es sich: Wenn ich durch Liebe und Demut ein Kind Gottes, also ums Unaussprechliche mehr werden will, als ich jetzt bin, wie sieht es da mit meiner Zufriedenheit und Dankbarkeit für das aus, was ich durch die unendliche Gnade Gottes allhier bin?

10] Sind die Demut und die Liebe unter Anbetracht desisen wohl genügend, solchem Undanke als Äquivalent entgegenzustehen, besonders wenn nicht einmal Gott Selbst mir das unaussprechliche Mehr im Zustande der Kindschaft Gottes hinwegräumen kann? -

11] Ich meine, du erhabenster Gesandter wirst mich wohl verstehen, was ich damit, wenn schon abgerissen, im klaren Ideengange habe sagen wollen. Ja, wenn du sagst, ich werde als Kind Gottes ums Außerordentliche geringer, schwächer, unvollkommener, als ich hier bin, so ist die Demut ein rechter Weg, die Kindschaft Gottes zu erlangen; aber mit dem Bewußtsein, mehr zu werden in jeder Hinsicht, ist die Demut offenbar, wenigstens für diesen meinen gegenwärtigen Begriffszustand, der unpassendste Weg.

12] Denn siehe, bei uns, wie du es sicher aus der Weisheitskraft des Herrn wissen wirst, ist solche unwandelbare Sitte, daß da nie ein Mensch dem andern um irgendein Entgelt etwas tun darf, sondern das gegenseitige Bedürfnis und die gegenseitige gleiche Bruderliebe müssen für alle Zeiten der Zeiten der alleinrge Beweggrund zu handeln bleiben. Wenn ich aber meinen Bruder liebe, auf daß er mir dann einen Dienst erweisen möchte oder mich wenigstens auch lieben solle, wenn ich also durch meine Bruderliebe auch nichts als bloß nur die Gegenliebe verlange oder für eine geleistete Handlung auch nur den kürzesten Dank, so ist das bei uns eine grobe Untugend.

13] Wenn ich mich vor jemandem demütige und ihm eine große Ehre bezeuge, auf daß er mir nur ein freundliches Gesicht zeigen möchte, so bin ich schon ein Heuchler im ersten geringeren Grade. Kurz und gut; wir kennen kein anderes Handlungsmotiv als das gegenseitige Bedürfnis. Wo es nottut, da wird gehandelt, ob darauf Dank oder Undank erfolgt; ohne Not aber wird keine Hand gerührt und kein Fuß um eine Linie vorwärtsgesetzt. Darum bleibt ein jeder Mensch fortwährend gleich in seinem Range, und keiner kann auf eine andere Weise den andern überbieten, als allein nur durch eine tiefere Weisheit, durch welche er in den Stand gesetzt wird, alle möglichen Bedürfnisse in seinen Brüdern zu erkennen und nachher also auch die Handlungen einzurichten, daß sie seinen Brüdern ohne das allergeringste Entgelt zugute kommen. Wenn nach solchen Handlungen die bewohltätigten Brüder dem Handelnden entgegenkommen und erweisen ihm da Dankbarkeit und Liebe, so kann er diese der Seligkeit seiner Brüder wegen wohl annehmen; aber ja nicht im geringsten darum, als möchte er selbst darin rgendeinen Lohn für seine Handlung überkommen wollen. Wenn du nun diese unsere Sitte ein wenig durchdenkst, so wirst du, und stündest du noch endlos höher als du stehst, sicher finden, daß sichs mit der Demut und Liebe zur Erlangung der Kindschaft Gottes durchaus nicht tut.

14] Laß mich nichts erlangen, und ich will dir im nächsten Augenblicke all diese großen Herrlichkeiten hier zerstören und in einem Loche, das ich mir in das Erdreich bohren werde, gleich einem Wurme wohnen, der da auf unserer Welt geschaffen ist, das Erdreich bis zu einer bestimmten Tiefe zu lockern. Aber um mehr zu werden, will ich gerade den entgegengesetzten Weg einschlagen, und will nicht scheinbar abwärtssteigen, um aufwärts zu kommen, sondern ich will aufwärts steigen. Und es soll vor Gott ein jeder Schritt, den ich tue, ein vollkommen wahrer, aber nie auch nur dem Anscheine nach ein gleißnerischer sein.

15] Wer zu mir kommt und will mehr werden, den prüfe ich ob er für das Mehr Fähigkeiten besitzt; besitzt er sie, so werde ich ihm eine höhere Stelle einräumen, darum er mit aufrichtigem Herzen zu mir gekomnien ist. Wer aber zu mir kommt, fällt sogleich auf sein Ängesicht nieder und spricht: Höre mich an, Ältester! Ich will glückselig sein, so du mich nur draußen in den entlegensten Baumreihen als den letzten Platzreiniger anstellst. Da spreche ich zu ihm: Hebe dich hinweg! Du bist eines schleichenden und kriechenden Gemütes; als Letzter wolltest du hier angestellt werden, um dich nach und nach hereinzuschleichen bis ins oberste Stockwerk. Hier aber kann kein kriechendes Gemüt seine Stelle finden, daher demütige dich ganz und verlasse ohne je eine Aussicht, hier eine Stelle zu bekommen, sogleich diesen meinen Wohnort. Denn warum wolltest du nicht aufrichtig und der Wahrheit gemäß handeln? Hättest du dies getan, so hätte ich dich geprüft; also aber sei dir, solange du ein Gleißner bleiben wirst, jeder Zutritt zu diesem meinem Wohnhause untersagt.

16] Ich meine, gegen diese Handlungsmaxime kann der vollkommenste Weise nichts einwenden, denn die Wahrheit ist der Grund aller göttlichen Ordnung, und wider diese soll kein freitätiges Wesen sich verstoßen, solange es seines Gottes würdig bleiben soll.

17] Ich will aber mit diesen für mich klaren Ansichten dir freilich wohl nicht vorgreifen; aber das Recht hat aus dem Grunde der innern Wahrheit ein jedes von Gott freidenkend und freiwollend erschaffene Wesen, demjenigen seine innere Ordnung aufzuschließen, der es auf den Weg einer anderen Ordnung zu verbringen und zu übersetzen den guten Willen hat. Daher wirst du denn mir diese meine Äußerung sicher zugute halten und wirst mir darüber, wie ich es erwarte, auch sicher einen genügenden Bescheid geben.

18] Es ist möglich, daß ich das Wesen der Kindschaft Gottes noch zu wenig aufgefaßt habe. Ohne dem aber, meine ich, dürfte es wohl schwer halten, hier einen billigen Mittelweg zu finden denn die Wahrheit ist überall nur eine, und diese ist der sich selibstbewußte Grund eines jeden geschaffenen Menschen. Zwei Wahrheiten aber können ewig nie nebeneinander bestehen, da die eine die andere aufheben würde; daher können auch nicht du und ich zugleich recht haben. Soll aber dies der Fall sein, so ist nur mein Unverstand noch dazwischen, daß ich deine Wahrheit nicht alsogleich als die meinige anzuerkennen vermag. Daher wird es für mich notwendig sein, daß du dich deutlicher ausdrückst, und zwar fürs erste, was da im Grunde des Grundes ist die Demut, dann die wahre Liebe und die dadurch zu erlangende Kindschaft Gottes. Solches aber tue mir kund, und ich werde nach vollkommen erkannter Wahrheit ein jedes Häkchen deines Wortes allertreust in diesem meinem ganzen Hause beachten, darum bitte ich dich für mich und für mein ganzes Haus!

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