Jakob Lorber: 'Die geistige Sonne' (Band 1)


Kapitelinhalt 55. Kapitel: Erster solider Wohnort nach dem Scheinhimmel. Unbegreifliche Dreieinigkeit. Der evangelische Christus.

(Am 9. Februar 1843, von 4 3/4 bis 7 Uhr Abends.)

Originaltext 1. Auflage 1870 durch Project True-blue Jakob Lorber

Text nach 6. Auflage 1975 Lorber-Verlag

01] Unser Hauptredner spricht zu seiner Gesellschaft: Nein, aber das ist doch sonderbar! Bis jetzt habe ich geglaubt, die Geister können nur den Menschen auf der Erde so plötzlich unsichtbar werden; aber daß Geister Geistern eben also könnten unsichtbar werden, das ist mir etwas ganz Funkelnagelneues. Frage jetzt nun, wer da fragen kann, wie dieser unfehlbar sicher nichts Anderes als ein Engel seiender Geist also schnell sich unseren Blicken entwand, und ein Anderer gebe ihm auf diese Frage Bescheid. Bei meinem armen Leben, ich bin der Meinung, man könnte auf der Erde eher einen Biß in den Mond machen, als auf diese Frage eine Antwort finden. - Ein Anderer entgegnet ihm, und spricht: Lieber Freund, sieh', das finde ich wieder nicht so sonderbar; denn ich habe auf der Erde zu öfteren Malen gehört, daß die Engelsgeister mit Blitzesschnelle reisen können. Wenn demnach dieser sichere Engelsgeist sich nun unseren Blicken so schnell entwand, so ist Solches ja nichts Anderes, als eine sichtbare Bestätigung Dessen, was wir auf der Erde schon zu öfteren Malen gehört haben.

02] Ein Dritter spricht: Lieben Freunde, es ist Alles recht, was da die Engelschaft unseres vorigen Tafeldieners betrifft; aber zu einem so schnellen Fortfluge hätte er ja doch zuerst müssen seine Flügel flott machen, und so lange ich bei einem Engel keine Flügel sehe, glaube ich es noch immer nicht, daß er ein Engel ist. Denn es sollen ja von allen frommen Menschen auf der Erde die Engel allzeit mit Flügeln versehen erschaut worden sein, und Niemand konnte dieß, außer nur im Zustande einer sogenannten geistigen Verzückung; also allzeit nur mit geistigen Augen. - Wenn aber die frommen Menschen die Engel Gottes allzeit beflügelt erschauten, warum sollen denn wir Solches nicht, da wir nun doch selbst sicher völlig Geister sind?

03] Der erste Hauptredner spricht: Mein lieber Freund, da muß ich dir offenbar sagen, dieses Begehren beruht wohl auf einer sehr bedeutenden Geistesschwäche; denn was die Flügel betrifft, so weiß Solches ja jeder Mensch, daß diese nichts Anderes als nur die große Schnelligkeit bezeichnen, und sind somit bloß ein sinnbildliches Attribut, und es kann demnach ein solcher Geist gar wohl ein Engel sein, ohne gerade darum ein sichtbares Flügelpaar zu haben. - Das Auffallende, wie ich gesagt habe, ist nur das, daß ein Geist dem andern unsichtbar werden kann; mich beirrt sogar das nicht, daß wir als Geister nicht so schnell vorwärts zu kommen im Stande sind, wie unser Tafeldiener; denn dazu wird wohl auch eine gewisse Uebung nothwendig sein, und mit der Uebung wird man in Allem ein Meister. - Aber, wie ich sage, das Unsichtbarwerden geht mir nicht aus dem Sinn. - Lassen wir aber das; wenn wir etwa noch einmal, wie er gesagt hat, mit ihm zusammen kommen dürften, da wird er es uns wohl aufklären.

04] Beschauet aber dafür lieber diese gar wunderschöne Gegend; fürwahr diese ist mir schon um's Tausendfache lieber, als unser früherer hoher Himmel. Da möchte ich mich schon ansiedeln und so irgend dort auf den Bergen einen recht behaglichen Landmann machen. - Seht nur einmal den herrlichen Graswuchs, diese wunderschönen Blumen, die schönen Baumalleen, wie es scheint, von edelster Fruchtgattung, und die kleinen Bächlein; und da seht nur vorwärts hin, wie diese herrliche große Ebene mit den herrlichsten Gebirgsgruppen umlagert ist, und wie diese Berge durch die Bank mit den wunderschönsten palastähnlichen Gebäuden geziert sind, und wenn mich mein Auge nicht täuscht, so entdecke ich auf den uns zunächst liegenden Bergen auch lebendige Wesen in weißen Kleidern vor den Palästen lustwandelnd. Das laß ich mir gefallen; diese Gegend schaut doch beiweitem eher einem Himmel gleich, als derjenige Himmel, in dem wir uns als ewige Freß-Polypen hätten befinden sollen.

05] Ja es ist eine helle Pracht; man sieht zwar hier von der Dreieinigkeit nichts, dafür aber erleuchtet eine herrliche Sonne diese Gegend, und ich muß es euch aufrichtig gestehen, was da den Anblick der Dreieinigkeit betrifft, wenn ich so recht aufrichtig spreche, so kann ich denselben beim Anblicke dieser Herrlichkeiten eben so leicht entbehren, als wie ich denselben auf der Welt habe entbehren müssen; - aber dafür kommt mir eine andere Idee:

06] Wenn man hier so irgendwo mit Christo dem Herrn zusammen kommen könnte, und zwar so gestaltig, wie Er einst auf der Erde gelebt und Seine Apostel gelehrt hat, das wäre so für mich genommen zu allen dem wohl der allerhöchste Genuß; denn ich muß euch noch Eins von mir aus offen gestehen, der Anblick der göttlichen Dreieinigkeil ist wohl an und für sich sehr erhaben, aber ich müßte wirklich vom Grunde meines Herzens aus ein infamer Lügner sein, wenn ich von mir aus nur ein Haar groß behaupten könnte, daß mich dieser Anblick irgend liebwarm gemacht hätte. Ich habe mich wohl gezwungen, was es nur immer möglich war, aber ich konnte es nicht dahin bringen, alle die drei Personen gleichmäßig mit Liebe zu umfassen; denn liebte ich den Vater, so konnte ich nicht auch zugleich den Sohn lieben, und wenn ich Dessen in mir gewahr wurde, so kam mir der Gedanke, als könnte Solches sowohl der Vater als der Sohn nicht günstig aufnehmen; wollte ich den Sohn allein lieben, so dachte ich nur, ob Solches wohl dem Vater recht sei?

07] Den h. Geist als eine Taube zu lieben, da muß ich aufrichtig gestehen, da kämpfte ich mit meinem Herzen vergeblich! Denn in diesem Falle hätte ich ein Stück Holz eben so gut lieben mögen, als diese dritte göttliche höchst unpersönliche Person. Der h. Geist also wurde von meiner Bitte am wenigsten betheiligt; und das darum, weil ich es nie so weit habe bringen können, Seinen Grund einzusehen und aus Ihm Etwas zu machen! - Vater und Sohn, die waren meinem Herzen stets näher, und wenn es nur nicht Zwei gewesen wären, sondern entweder der Eine oder der Andere für Sich allein, so hätte ich entweder den Einen oder den Anderen ganz entsetzlich zu lieben vermocht;

08] ich habe mir öfter gedacht, freilich wohl so ganz heimlich: Wenn Sich nur Christus einmal von Seinem hohen Throne irgend wohin begeben hätte, wo Ich Ihn so allein erwischt, da hätte ich mich so recht zu Tode geliebt an Ihm; aber mit der Liebe zu diesem unzugänglichen Lichte, d. h. ich will damit sagen mit meiner viel zu kurzen Liebe habe ich mich, wie gesagt, weder dem Vater, noch dem Sohne in Ihrem unzugänglichen Lichte nähern können. Ueberhaupt finde ich es für die Natur ganz widernatürlich, ob es jetzt eine geistige oder eine leibliche ist, sich mit seiner Liebe so irgend wohin in die Unendlichkeit hinein zu verlieben, denn die Liebe fordert einen erreichbaren Gegenstand; etwas ewig Unerreichbares zu lieben aber möchte ich als eine allerbarste Tollheit erklären.

09] Als ich noch auf der Erde war, da habe ich mir einmal vorgenommen, ob ich mich nicht in einen recht schönen Stern verlieben könnte? Ich betrachtete diesen Stern zu dem Behufe längere Zeit hindurch, und preßte dabei mein Herz, so gut es nur immer ging; aber meint ihr, ich wäre im Stande gewesen, eine wirkliche Liebe zu diesem Sterne in mir zu erwecken, welche da gliche etwa der Liebe zu einem guten Freunde oder zu einer liebenswürdigen Freundin? O - Solches war ich nimmer im Stande!

10] Also ging es mir auch mit der Liebe zu der Dreieinigkeit, und um nicht viel besser mit der Liebe zum heiligsten Altarssacramente; denn so oft ich auch immer zur Communion gegangen bin, und darauf mein Herz erforschte, ob es mehr am Sacramente, oder mehr an meinem Weibe und meinen Kindern hinge, so muß ich es zu meiner Schande bekennen, daß meine Liebe zu meinem Weibe und zu meinen Kindern um's Unvergleichliche stärker war, als die zum h. Sacramente; - und so konnte ich die Dreieinigkeit, wie das heiligste Altarssacrament niemals recht mit meinem Herzen ergreifen, sondern nur stets mit einer gewissen geheimnißvollen Heiligscheu näherte ich mich allem Dem, ja ich brachte es am Ende gar so weit in dieser geheimnißvollen Heiligscheu, daß ich die natürliche Liebe des Herzens gegen Gott als eine förmliche Sünde ansah.

11] Nur mit Christus war es eine Ausnahme; wenn ich Seine heiligen Evangelien las, da stellte ich Ihn mir immer wie gegenwärtig vor, und habe mir dabei bei meinem armen Leben auch allzeit gedacht: Wenn ich die Gnade hätte, welche den Aposteln zu Theil geworden ist, fürwahr, da wäre ich selbst ein Apostel geworden, und hätte mit der geringsten Mühe von der Welt, aus beiweitem überwiegender Liebe zu Ihm Weib und Kinder verlassen! - Ja, ich muß euch auch sagen, daß ich im Grunde, wenn ich so recht nachdenke, Alles nur aus Liebe zu dem evangelischen Christus gethan habe; wozu mich freilich wohl einige glückliche Träume von Ihm am meisten lieblichst genöthiget haben.

12] Aber was dann wieder die h. Dreieinigkeit betrifft und das heiligste Altarssacrament, da blieb ich unwillkürlich ein immerwährender Andachtsmärtyrer meines Herzens; denn für diese zu außerordentlich geheimnißvollen allerunbegreiflichsten göttlichen Erhabenheiten, war mein Herz wie von einem ewigen Nordpoleise umlagert. - Lieben Freunde, ich will aber dieses Bekenntniß etwa Niemanden aufdringen, sondern ich habe nur in dieser freien Gegend auch meinem Herzen einmal eine rechte Luft verschafft. Ihr könnet dasselbe thun; denn bis wir erst den angezeigten Palast werden erreicht haben, wird noch eine kleine Zeit verstreichen.

13] Mehrere aus der Gesellschaft melden sich, und sagen: Lieber Freund und Bruder, wir geben dir die getreueste Versicherung, daß es uns in dieser Hinsicht nie um ein Haar besser ging; wir glaubten wohl Alles pflichtmäßig und waren nicht selten von einer geheimnißvollsten Heiligscheu bei diesen außerordentlichen göttlichen Dingen völlig dumm, und fanden auch dann im evangelischen Christus unsere völlige Beruhigung. Aus dem Grunde waren wir auch nicht selten für die allerseligste Mutter Gottes und auch für manch' andere Heilige mehr in unserem Herzen entzündet, als für die allerhöchste göttliche Erhabenheit, welche wir wohl fürchteten, und das nicht selten bis zu einem Verzweiflungsgrade; aber mit der Liebe zu Dem, was man gar so erbärmlich fürchtet, hat es wohl seine geweisten Wege.

14] Ob wir in dieser Gegend wohl auch die seligste Jungfrau Maria und irgend einen anderen Heiligen werden zu sehen bekommen, Solches ließe sich auch fragen; denn im Himmel oben, in dem wir uns befanden, war bei der allergrößten Aufmerksamkeit nicht die leiseste Spur davon zu entdecken. - Du, lieber Freund, der du sonst immer die besten Einfälle hast, kannst uns in dieser Hinsicht wohl auch Etwas zum Besten geben.

15] Der Hauptredner spricht: Meine lieben Freunde, in diesem Punkte glaube ich, sollten wir hier nicht viel Fragen thun, sondern uns lediglich bestreben, Nr. 1 sobald als möglich unsern angezeigten Palast zu erreichen, um alldort die versprochene Aufklärung über das von mir und uns Allen nicht verstandene Wort Gottes, besonders was den Paulus und Johannes betrifft, zu erhalten, und Nr. 2 dürfen wir uns Alle zum Grundsatze machen, weil die göttliche Dreieinigkeit für uns unsichtbar geworden ist, uns somit wieder an unseren evangelischen Christus zu halten; denn dieser Ort hat mit Seinem Ausspruche: „In Meines Vaters Reiche sind viele Wohnungen" - eine beiweitem größere Aehnlichkeit mit dem Himmel, als der obige, da wir respective nur eine einzige Wohnung sahen. Aber nun nichts mehr weiter; denn sehet, unser vermeintlicher Tafeldiener kommt uns ja schon wieder entgegen, also gehen wir ihm auch nur ganz still und ruhig entgegen.

01] Unser Hauptredner spricht zu seiner Gesellschaft: Nein, aber das ist doch sonderbar! Bis jetzt habe ich geglaubt, die Geister können nur den Menschen auf der Erde so plötzlich unsichtbar werden; aber daß Geister den Geistern eben also könnten unsichtbar werden, das ist mir etwas ganz Funkelnagelneues. Frage jetzt nun, wer da fragen kann, wie dieser sicher unfehlbar nichts anderes als ein Engel seiende Geist so schnell sich unseren Blicken entwand, und ein anderer gebe ihm auf diese Frage Bescheid. Bei meinem armen Leben, ich bin der Meinung, man könnte auf der Erde eher einen Biß in den Mond machen, als auf diese Frage eine Antwort finden. - Ein anderer entgegnet ihm und spricht: Lieber Freund, sieh, das finde ich wieder nicht so sonderbar, denn ich habe auf der Erde zu öfteren Malen gehört, daß die Engelsgeister mit Blitzesschnelle reisen können. Wenn demnach dieser sichere Engelsgeist sich nun unseren Blicken so schnell entwand, so ist solches ja nichts anderes als eine sichtbare Bestätigung dessen, was wir auf der Erde schon zu öfteren Malen gehört haben.

02] Ein dritter spricht: Liebe Freunde, es ist alles recht, was da die Engelschaft unseres vorigen Tafeldieners betrifft; aber zu einem so schnellen Fortfluge hätte er ja doch zuerst müssen seine Flügel flottmachen. Solange ich bei einem Engel keine Flügel sehe, glaube ich es noch nicht, daß er ein Engel ist. Denn es sollen ja von allen frommen Menschen auf der Erde die Engel allzeit mit Flügeln versehen erschaut worden sein, und niemand konnte dies außer im Zustande einer sogenannten geistigen Verzückung, also allzeit nur mit geistigen Augen. Wenn aber die frommen Menschen die Engel Gottes allzeit beflügelt erschauten, warum sollen denn wir solches nicht, da wir nun doch selbst sicher völlig Geister sind?

03] Der erste Hauptredner spricht: Mein lieber Freund, da muß ich dir offenbar sagen, dieses Begehren beruht wohl auf einer sehr bedeutenden Geistesschwäche. Denn was die Flügel betrifft, so weiß solches ja jeder Mensch, daß diese nichts anderes als nur die große Schnelligkeit bezeichnen und sind somit bloß ein sinnbildliches Zeichen, und es kann demnach ein solcher Geist gar wohl ein Engel sein, ohne ein sichtbares Flügelpaar zu haben. Das Auffallende, wie ich gesagt habe, ist nur das, daß ein Geist dem andern unsichtbar werden kann. Mich beirrt sogar das nicht, daß wir als Geister nicht so schnell vorwärts zu kommen imstande sind wie unser Tafeldiener, denn dazu wird wohl auch eine gewisse Übung notwendig sein. Und mit der Übung wird man in allem ein Meister. Aber, wie ich sage, das Unsichtbarwerden geht mir nicht aus dem Sinn. Lassen wir aber das. Wenn wir etwa noch einmal, wie er gesagt hat, mit ihm zusammenkommen dürften, da wird er uns wohl aufklären.

04] Beschaut aber dafür lieber diese gar wunderschöne Gegend; fürwahr, diese ist mir schon ums Tausendfache lieber als unser früherer hoher Himmel. Da möchte ich mich schon ansiedeln und irgend dort auf den Bergen einen recht behaglichen Landmann machen. Seht nur einmal den herrlichen Graswuchs, diese wunderschönen Blumen, die schönen Baumalleen, wie es scheint, von edelster Fruchtgattung, und die kleinen Bächlein. Und da seht nur vorwärts, wie diese große herrliche Ebene mit den herrlichsten Gebirgsgruppen umlagert ist, und wie diese Berge ausnahmslos mit den wunderschönsten palastähnlichen Gebäuden geziert sind. Wenn mich mein Auge nicht täuscht, so entdecke ich auf den uns nächstliegenden Bergen auch lebendige Wesen in weißen Kleidern, die vor den Palästen lustwandeln. Das laß ich mir gefallen! Diese Gegend schaut doch bei weitem eher einem Himmel gleich als derjenige, in dem wir uns als ewige Freßpolypen hätten befinden sollen.

05] Ja, es ist eine helle Pracht. Zwar sieht man hier von der Dreieinigkeit nichts, dafür aber erleuchtet eine herrliche Sonne diese Gegend. Und ich muß es euch gestehen, was da den Anblick der Dreieinigkeit betrifft, wenn ich so recht aufrichtig spreche, so kann ich denselben beim Anblicke dieser Herrlichkeiten ebensoleicht entbehren, als wie ich denselben auf der Welt habe entbehren müssen; - aber dafür kommt mir eine andere Idee:


06] Wenn man hier irgendwo mit Christo dem Herrn zusammenkommen könnte, und zwar sogestalt, wie Er einst auf der Erde gelebt und Seine Apostel gelehrt hat, das wäre, für mich genommen, zu alledem wohl der allerhöchste Genuß. Denn ich muß euch noch eins offen gestehen: der Anblick der göttlichen Dreieinigkeit ist wohl an und für sich sehr erhaben, aber ich müßte wirklich vom Grunde meines Herzens aus ein infamer Lügner sein, wenn ich von mir nur ein Haar groß behaupten wollte, daß mich dieser Anblick irgend liebewarm gemacht hätte. Ich habe mich wohl gezwungen, soviel es nur immer möglich war, aber ich konnte es nicht dahin bringen, die drei Personen alle gleichmäßig mit Liebe zu umfassen. Denn liebte ich den Vater, so konnte ich nicht auch zugleich den Sohn lieben, und wenn ich dessen in mir gewahr wurde, so kam mir der Gedanke, als könnte solches sowohl der Vater als der Sohn nicht günstig aufnehmen; wollte ich den Sohn allein lieben, so dachte ich, ob solches wohl dem Vater recht sei?

07] Den hl. Geist als eine Taube zu lieben, muß ich aufrichtig gestehen, da kämpfte ich mit meinem Herzen vergeblich! Denn in diesem Falle hätte ich ein Stück Holz ebensogut lieben mögen als diese dritte göttliche höchst unpersönliche Person. Der hl. Geist also wurde mit meiner Liebe am wenigsten bedacht, und das darum, weil ich es nie so weit habe bringen können, Seinen Grund einzusehen und aus Ihm etwas zu machen! Vater und Sohn waren meinem Herzen stets näher, und wenn es nur nicht zwei gewesen wären, sondern entweder der Eine oder der Andere für sich allein, so hätte ich entweder den Einen oder den Anderen ganz entsetzlich zu lieben vermocht.

08] Ich habe mir öfter gedacht, freilich wohl so ganz heimlich, wenn sich nur Christus einmal von Seinem hohen Throne irgendwohin begeben hätte, wo ich Ihn so allein erwischt hätte, da hätte ich mich so recht zu Tode geliebt an Ihm. Aber mit der Liebe zu diesem unzugänglichen Lichte, ich will damit sagen, mit meiner viel zu kurzen Liebe habe ich mich, wie gesagt, weder dem Vater noch dem Sohne in Ihrem unzugänglichen Lichte nähern können. Überhaupt finde ich es für die Natur ganz widernatürlich, ob es jetzt eine geistige oder eine leibliche ist, sich mit seiner Liebe so irgendwohin in die Unendlichkeit hinein zu verlieben, denn die Liebe fordert einen erreichbaren Gegenstand; etwas Unerreichbares zu lieben aber möchte ich als eine allerbarste Tollheit erklären.


09] Als ich noch auf der Erde war, habe ich mir einmal vorgenommen, ob ich mich nicht in einen recht schönen Stern verlieben könnte. Ich betrachtete diesen Stern zu dem Behufe längere Zeit hindurch und preßte dabei mein Herz so gut es nur immer ging, aber meint ihr, ich wäre imstande gewesen, eine wirkliche Liebe zu diesem Sterne in mir zu erwecken, welche etwa der Liebe zu einem guten Freunde oder zu einer liebenswürdigen Freundin gliche? Oh, solches war ich nimmer imstande!

10] So ging es mir auch mit der Liebe zu der Dreieinigkeit und, um nicht viel besser, mit der Liebe zum heiligsten Altarsakrament; denn so oft ich immer zu der Kommunion gegangen bin und darauf mein Herz erforschte, ob es mehr am Sakramente oder mehr an meinem Weibe und meinen Kindern hinge, da muß ich es zu meiner Schande bekennen, daß meine Liebe zu meinem Weibe und zu meinen Kindern ums Unvergleichliche stärker war als die zum hl. Sakramente. Und so konnte ich die Dreieinigkeit wie das heiligste Altarsakrament niemals recht mit meinem Herzen ergreifen, sondern ich näherte mich allem dem nur stets mit einer gewissen geheimnisvollen Heiligscheu, ja, ich brachte es am Ende gar so weit in dieser geheimnisvollen Heiligscheu, daß ich die natürliche Liebe des Herzens gegen Gott als eine förmliche Sünde ansah.

11] Nur mit Christus war es eine Ausnahme. Wenn ich Seine heiligen Evangelien 1as, da stellte ich Ihn mir immer wie gegenwärtig vor und habe mir dabei bei meinem armen Leben auch allzeit gedacht: Wenn ich die Gnade hätte, welche den Aposteln zuteil geworden ist, fürwahr, da wäre ich selbst ein Apostel geworden und hätte mit der geringsten Mühe von der Welt, aus bei weitem überwiegender Liebe zu Ihm, Weib und Kinder verlassen! Ja, ich muß euch auch sagen, daß ich im Grunde, wenn ich so recht nachdenke, alles nur aus Liebe zu dem evangelischen Christus getan habe, wozu mich freilich wohl am meisten einige glückliche Träume von Ihm lieblichst genötigt haben.

12] Aber was dann wieder die hl. Dreieinigkeit betrifft und das hl. Altarsakrament, da blieb ich unwillkürlich ein immerwährender Andachtsmärtyrer meines Herzens. Denn für diese zu geheimnisvollen, unbegreiflichen göttlichen Erhabenheiten war mein Herz wie von einem ewigen Nordpoleise umlagert. - Liebe Freunde, ich will aber dieses Bekenntnis etwa niemandem aufdrängen, sondern ich habe nur einmal in dieser freien Gegend auch meinem Herzen eine rechte Luft verschafft. Ihr könnt dasselbe tun; denn bis wir den angezeigten Palast erreicht haben werden, wird noch eine kleine Zeit verstreichen.

13] Mehrere aus der Gesellschaft melden sich und sagen: Lieber Freund und Bruder, wir geben dir die getreueste Versicherung, daß es uns in dieser Hinsicht nie um ein Haar besser ging. Wir glaubten wohl alles pflichtmäßig und waren nicht selten bei diesen außerordentlichen göttlichen Dingen von einer geheimnisvollsten Heiligscheu völlig dumm, und fanden dann auch im evangelischen Christus unsere völlige Beruhigung. Aus dem Grunde waren wir nicht selten für die allerseligste Mutter Gottes und auch für manch andere Heilige in unserem Herzen mehr entzündet als für die allerhöchste göttliche Erhabenheit, welche wir wohl fürchteten, und das nicht selten bis zu einem Verzweiflungsgrade. Aber mit der Liebe zu dem, was man gar so erbärmlich fürchtet, hat es wohl seine geweisten Wege.

14] Ob wir in dieser Gegend wohl auch die seligste Jungfrau Maria und irgendeinen anderen Heiligen werden zu sehen bekommen, solches ließe sich auch fragen, denn im Himmel oben in dem wir uns befanden, war bei der allergrößten Aufmerksamkeit nicht die leiseste Spur davon zu entdecken. Du, lieber Freund, der du sonst immer die besten Einfälle hast, kannst uns in dieser Hinsicht wohl auch etwas zum Besten geben.

15] Der Hauptredner spricht: Meine lieben Freunde, in diesem Punkte, glaube ich, sollten wir hier nicht viel Fragen tun, sondern uns lediglich bestreben: erstens, sobald als möglich unsern angezeigten Palast zu erreichen, um dort die versprochene Aufklärung über das von mir und uns allen nicht verstandene Wort Gottes, besonders was den Paulus und Johannes betrifft, zu erhalten. Zweitens dürfen wir uns alle zum Grundsatze machen: weil die göttliche Dreieinigkeit für uns unsichtbar geworden ist, uns wieder an unseren evangelischen Christus zu halten. Denn dieser Ort hat nach Seinem Ausspruche: »In Meines Vaters Reiche sind viele Wohnungen« - eine bei weitem größere Ähnlichkeit mit dem Himmel als der obige, da wir doch nur eine einzige Wohnung sahen. Aber nun nichts mehr weiter, denn seht, unser vermeintlicher Tafeldiener kommt uns ja schon wieder entgegen. Also gehen auch wir ihm nur ganz still und ruhig entgegen.

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