Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 10


Kapitelinhalt 170. Kapitel: Einige Denkfragen Jesu an den Oberstadtrichter.

01] Sagte Ich: »Ja, Mein lieber Oberstadtrichter! Du hast als Weltrichter ganz wohl gesprochen, und die Sache kann einem bloß weltklugen Menschen, wie du einer bist, auch nicht anders erscheinen und vorkommen als dir! Aber dessenungeachtet bist du in der Hinsicht, was das Leben der Menschen und aller andern Kreatur betrifft, in einer ungeheuer dicken Irre.

02] Nach dem Schein zu urteilen, der aber allzeit trügt, hättest du freilich wohl recht, aber nach der inneren Lebenswahrheit durchaus nicht; denn alles, was du auf der Welt schon als lebend erblickst, ist in der Sphäre seines Lebens tausendmal unzerstörbarer als alles, was du dir als unzerstörbar denken kannst.

03] Dein Hauptgrundsatz geht auf das hinaus, daß du der Seele eines Menschen nach dem Abfalle ihres Leibes kein Fortbestehen mehr einräumst.

04] In diesem Punkte könnte Ich dich mit einer einzigen Erscheinung aus dem Gebiet des Jenseits in einen ganz entgegengesetzten Glauben versetzen; allein dazu haben wir noch Zeit, - Ich will dich vorerst auf einem andern Wege zu einer ganz andern Überzeugung bringen!

05] Ich werde dir nur ganz kurze Fragen stellen, die du leicht beantworten wirst, und eben solche deine Antworten werden dich bald zu einer andern Ansicht über die Weisheit des Schöpfers bringen, und du wirst dann selbst über deine gegenwärtigen Urteile zu lachen anfangen müssen.

06] Sage Mir, Mein lieber Freund, hast du je in deinem Leben schon einmal gesehen und erlebt, daß so ein rechter Haupttrottel von einem Menschen, der kaum reden kann und noch viel weniger schreiben, rechnen und zeichnen - daß ein solcher Mensch wohl imstande ist, einen Plan zu entwerfen, nach dem eine alle Welt ins Erstaunen setzende kaiserliche Burg unter seiner persönlichen Leitung erbaut werden könnte?

07] Du sagst in dir: "Nein, der Baumeister muß mit allen Kenntnissen dazu wohl ausgerüstet sein, ohne welche er unmöglich eine großartige kaiserliche Burg herzustellen imstande ist!"

08] Siehe, Freund, hieraus mußt du zu dem Schlusse kommen, daß derjenige Mensch oder Gott unmöglich dümmer sein kann wie ein solcher Trottel, dessen Ich Erwähnung machte, ob er eine kaiserliche Burg zu erbauen imstande sei!

09] Eine großartige kaiserliche Burg ist zwar auch ein staunenswürdiges Werk und macht seinem Meister sicher Ehre; meinst du aber nicht, daß die Erbauung einer ganzen Welt, wie es die Erde ist, noch sehr bedeutend mehr Weisheit und Kraft erfordert als die einer noch so majestätisch kunstvollen kaiserlichen Burg?

10] Du sprichst abermals in dir: "Allerdings!" Heiße die Kraft, wie sie wolle, die eine ganze Welt wie die Erde ins Dasein gesetzt hat mit allem, was auf ihr, über ihr und in ihr ist, so muß sie im vollen Bewußtsein ihrer schöpferischen Kraft und durchgreifenden Erkenntnis bestanden haben und noch immer fortbestehen, indem ohne ihr Fortbestehen ihr Werk, so wie das eines Menschen, nur zu bald zu einer vollkommenen Ruine werden müßte.

11] Hat aber diese schöpferische Kraft im vollsten Großbesitz ihrer Weisheit ein so großartiges Werk hervorbringen können, so wird sie wohl nicht minder weise gewesen sein bei der Hervorbringung der scheinbar kleinen Werke auf einem solchen Weltkörper. Oder hast du schon einmal gesehen, das, was in sich vollkommen tot und nicht ist, ein Leben außer sich ins Dasein rufen kann?

12] Du sprichst: "Nein, so etwas ist undenkbar und sogar logisch unmöglich!"

13] Gut, sage Ich dir; meinst du wohl, daß dazu weniger erforderlich ist, um den kleinsten Wurm ins Dasein und Leben zu rufen, als eine ganze Erde, den Mond und die Sonne?

14] Ich sage es dir: So du das einfachste Würmchen ins Lebensdasein zu rufen imstande bist, da bist du auch ebensogut imstande, eine ganze Erde, den Mond und die Sonne, sowie die andern Gestirne ins Dasein zu rufen! Denn die sichtbare, körperliche Lebensmaschine eines noch so unbedeutenden Würmchens ist in ihrem organischen Bau so kunstvoll, daß du dir darüber nicht den allerleisesten Begriff machen kannst; und wäre diese äußere Lebensmaschine nicht so kunstvoll und weise eingerichtet, wie könnte man in dieselbe ein substantielles Seelchen setzen und dieses sich dann der Lebensmaschine zu seiner weiteren Entwicklung bedienen?

15] Und wenn derjenige, der das Würmchen ins Dasein ruft, nicht selbst ein vollkommenster Herr aller Kräfte und alles Lebens wäre, - wie könnte er eine solche Maschine beleben? Und so er selbst nicht nur ein Herr aller Kräfte und alles Lebens, sondern unbedingt das ewige Leben selbst wäre, - wie könnte er das Würmchen selbst beleben?«



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