Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 118. Kapitel: Gespräch zwischen Templern und Jesus.

01] Sagte der Schriftgelehrte: »Freund, wie weißt du um alles das?«

02] Sagte Ich: »Du sagtest zuvor, daß ihr sehr erfahrene und weltläufige Menschen seid. Wo steht es denn geschrieben, daß nicht auch unsereiner sehr erfahren und weltläufig sein sollte? Wie oft habt ihr schon den Fremden um Geld alle Einrichtungen des Tempels gezeigt, - wie hätten sie verschwiegen bleiben sollen?

03] Einst durfte in das Allerheiligste nur im äußersten Notfall der Hohepriester treten, und für gewöhnlich nur zwei- bis höchstens viermal im Jahre, - und nun ist das Allerheiligste eine Schaubude für die Fremden um Geld geworden, und im Tempel wird allerlei Handel und großer Betrug getrieben, was nun schon alle Welt weiß. Wie kann es euch denn wundernehmen, so auch unsereiner davon in Kenntnis ist, und daß von allen solchen gotteslästerlichen Dingen und Betrügereien auch der Gesalbte Gottes in der vollsten und hellsten Kenntnis sein wird?

04] Ist da der Tempel, gegen den nun geeifert wird aus dem wahren Gottesmunde, wohl noch das, was er zu den Zeiten Salomos war? O mitnichten! Das alte, gottgeweihte Bethaus ist zu einer Räuberhöhle und Mördergrube geworden!

05] Seht, also stehen nun schon zu jedermanns Wissenschaft die Dinge des Tempels, und es hat der Gesalbte Gottes nun gar nicht mehr nötig von ihrer Ruchlosigkeit zum Volke zu reden, um dadurch den Tempel zu verdächtigen und zu entwerten, sondern alles bessere Volk weiß schon lange darum und beklagt sich deshalb bitter bei dem Gesalbten Gottes. meint ihr denn, daß Er bei solch bewandten Umständen den Tempel loben und das klagende und weinende Volk verstoßen sollte? Nein, wahrlich nein, das wird Er als der Gerechteste der Gerechten ewig nimmer tun!

06] Wenn ihr mit dem euch so sehr verhaßten Nazaräer zusammenkommen würdet und Er genauso zu euch redete, wie Ich nun zu euch geredet habe, - was würdet ihr Ihm wohl erwidern?«

07] Sagte der Schriftgelehrte: »Ja, Freund, da ließe sich, so man bei der Wahrheit zu bleiben genötigt wäre, zugunsten des Tempels wenig erwidern; nur das einzige ist da zu bedenken, daß da nicht wir und gar viele unseresgleichen es sind, die die alten guten und wahren Einrichtungen des Tempels so verkehrt und entstellt haben, wie sie nun verkehrt und entstellt sind, sondern nur die Ersten, Obersten und Mächtigsten im Tempel schon vor langer Zeit. Was können wir Untergeordnete nun wohl anders tun, als uns selbst in das fügen, was uns der Tempel, von dem wir leben, vorschreibt? Wir müssen als gemachte junge Wölfe mit den alten Wölfen heulen, so wir von ihnen nicht wollen zerrissen und aufgefressen werden!

08] Die reine Wahrheit predigen und auch nach derselben handeln, wäre das Beste, Schönste und Herrlichste unter den Menschen auf der Erde. Was kann man aber nun machen, wo man sich der Wahrheit willen alle erdenklichen Verfolgungen, Strafen und sogar den Tod am Kreuze bereiten kann? Man muß bei so arg bewandten Umständen selbst zum Verfolger der Wahrheit werden, um leben zu können, da man schon einmal in dieser Welt - ohne es jemals gewollt zu haben - leben muß.

09] Gott aber ist allmächtig und ebenso auch höchst weise; Er hat vom Urbeginn an alles gut und weise eingerichtet. Warum ließ Er es denn nach dem Verlaufe der Zeiten zu, daß eben die Menschen, als sicher Seine vorzüglichsten Geschöpfe, nun gar so tief von ihrer ursprünglichen Reinheit und Würde hinabgesunken sind?

10] Wenn der Gesalbte Gottes so mächtig ist im Worte, Willen und in der Tat und Ihm alle Elemente gehorchen, so kann Er ja auch mit aller Ihm innewohnenden Macht und Kraft gegen die gegenwärtigen Unfuge des Tempels auftreten und sie völlig vernichten!«

11] Sagte Ich: »Du bist ein Schriftgelehrter und urteilst über göttliche Dinge und Einrichtungen noch um vieles finsterer denn ein Blinder von den Farben, die durch das Licht dem Auge ersichtlich werden!

12] Der Mensch ist freilich nicht durch seinen eigenen, sondern nur durch den allmächtigen Willen Gottes in diese Welt gesetzt worden; Gott aber als die ewige und reinste Liebe Selbst ist höchst gut und weise und weiß es, warum Er den Menschen erschaffen und zur Probung und Stärkung des ihm gegebenen freien Willens nur auf eine kurze Zeit in diese Welt gestellt hat.

13] Damit aber auch der Mensch wohl inne werde, warum er erschaffen und in diese Welt gestellt worden ist, so hat ihm Gott das alles zu allen Zeiten treu geoffenbart und ihm auch solche Lebensgesetze gegeben, durch deren gar leicht mögliche Beachtung er unfehlbar das ihm vorgestellte Ziel erreichen muß.

14] Wenn aber hat Gott dem Menschen je geboten, von seinem freien Willen den größtmöglichen Mißbrauch zu machen und dadurch sich selbst zu beschädigen?!

15] So Gott mit dem Menschen die vollkommenst besten Absichten hat, um ihm den ewig freiesten und somit Ihm gleich seligsten Lebensgenuß zu bereiten, - warum sträubt sich denn der ohnmächtige Mensch, der Gott, dem ewigen Herrn, das Erschaffen nicht verbieten kann, wider solch edelste Absichten Gottes also, als wäre er ein Herr über den weisesten und besten Willen Jehovas? Wenn du in dir fühlst, daß du in dieser Welt leben mußt, - warum fühlst du denn nicht auch mit dankbarem Herzen, warum dich Gott in diese Welt gesetzt hat, da Er dir doch Seinen Willen treuest geoffenbart hat?!

16] Wenn der Mensch nun fühlt, welches Übel er sich selbst durch seine hochmutsvolle Widerspenstigkeit gegen den geoffenbarten und wohlerkannten Willen Gottes zugezogen hat und Gott nun Selbst im Menschensohne nach Seiner Voraussage zu der entarteten Menschheit der vollsten Wahrheit nach gekommen ist, um sie mit aller Liebe und größter Geduld auf die alte Bahn des Lebens zu führen und zu bringen - was Er durch Lehre und Taten beweist -, warum verabscheuet ihr Ihn denn und wollt euch von Ihm nicht helfen lassen?

17] Daran schuldet sicher nicht Gott, sondern nur ihr selbst durch eure unersättliche Habgier und durch eure wahrhaft satanische Herrschsucht sogar über Gott! Ja, wäre Gott ebenso hart, lieblos und voll Ungeduld, wie ihr es seid, so hätte Er nicht nur mit dem Tempel und seinen bösen Dienern, sondern auch mit dieser ganzen Erde einen völligen Garaus gemacht; aber Er duldet eure Blindheit und eure daraus hervorgehende Bosheit und ermahnt euch alle zur Umkehr auf die lichtvolle Bahn des Lebens.

18] Ihr aber wollt das nicht und verharret nicht nur in euren alten Lastern aller Art und Gattung, sondern häufet solche noch von Tag zu Tag dazu und verfolgt Gott Selbst, der euch nun helfen will, wohl ersichtlich und erkennbar für jedermann. Ist da etwa wieder Gott daran der Schuldträger, so euch Seine ewige Liebe und Wahrheit zu einem durch eure Blind- und Bosheit strafbaren Ekel geworden ist?!

19] Ja, ja, ihr werdet die ewige Wahrheit wohl noch durch eure Gesetze der Lüge an das Kreuz heften; aber dann wird das Maß eurer Bos- und Verstocktheit auch voll werden, und das Gericht wird dann über euch kommen und euch den Lohn geben, den ihr selbst von Gott eurer Bosheit wegen verlangt, und den Er euch infolge Seiner Liebe, Geduld und Erbarmung noch immer vorenthält, weil Er keine Seele, auch die des argen Hohenpriesters nicht, des Verderbens wegen in diese Welt gesetzt hat.

20] Seht, also denken wir alle hier! Warum denkt denn nicht auch ihr also völlig in der wahren Lebensordnung aus Gott?«

21] Auf diese Meine Rede wußte nun der Schriftgelehrte nicht mehr, was er dagegen einwenden könnte. Nach einer Weile sagte er: »Ja, ja, Freund, der du, als sicher von Geburt aus ein Galiläer, von dem berühmten Nazaräer ganz durchdrungen zu sein scheinst, du hast freilich wohl ganz recht; aber was können wir von aller Art Weltgesetzen Abhängige da tun?

22] Verlassen wir den Tempel, so werden wir uns den Vögeln gleich den nötigen Lebensunterhalt in aller Welt suchen können; und bleiben wir im Tempel, so müssen wir uns seine Satzungen und Bestimmungen gefallen lassen und müssen wenigstens zum Scheine das tun, was uns zu tun befohlen wird. Die Propheten haben gewiß den ihnen wohlbekannten Willen Gottes allzeit erfüllt, aber ihr Leben in dieser Welt war wahrlich kein beneidenswertes; und dazu haben sie zumeist unter allerlei harten Verfolgungen ihr Leben auf dieser Erde beendet.

23] So aber ein Mensch selbst unter den glücklichsten Lebensverhältnissen um gar viele Male übler daran ist als ein Vogel in der Luft, - wie sieht es dann erst mit dem diesirdischen Lebensglück jener Menschen aus, die von den Menschen der Welt verachtet und verfolgt werden?«

24] Sagte Ich: »Mit dem Lebensglück der von Gott begeisterten Menschen sieht es immer am allerbesten aus; denn diese wissen es in sich, warum sie in diese Welt gestellt worden sind, und so sie leiden, da wissen sie es klarst, warum. Dann haben sie keine Furcht vor dem Leibestode, weil sie das ewige Leben der Seele schon in aller Klarheit in sich haben, fühlen und sehen und in diesem Leben aber auch die Kraft und Macht des Geistes Gottes in ihnen, durch den sie das ewige Leben und die göttliche Weisheit innehaben.

25] Was hat aber dagegen ein in allen Weltwohlgenüssen schwelgender Mensch in sich, wessen wird er am Ende inne? Des Todes, hinter dem sich ihm kein Leben zeigen will, - und Verzweiflung ist am Ende sein Los. Was ist am Ende des Gottbegeisterten diesirdisches Leiden gegen sein seligstes Abscheiden von dieser Welt, und was ist all das kurzzeitige Wohlleben eines Weltmenschen gegen sein unglückseligstes Abscheiden von dieser Welt? Urteile nun selbst, wer von den zwei Menschen in dieser Welt der Glücklichere ist!

26] Was verliert der aus Gott weise Mensch denn wohl, so er von den blinden Weltnarren verachtet und irgend verfolgt und am Ende gar getötet wird? Er verliert nicht nur nichts, sondern gewinnt dabei nur, weil er durch seine Geduld mit dem Geiste Gottes nur stets inniger verbunden und somit auch in sich des seligsten, ewigen Lebens aller Wahrheit nach bewußter wird!

27] Was gewinnen aber die den aus Gott Weisen verachtenden und verfolgenden Weltlinge? Den ewigen Tod und dessen Gericht! Wenn den euch der Tempel nichts Besseres bieten kann, so ihr ihm für seine argen Zwecke dienet, als eures Leibes Befriedigung, dann seid ihr wahrlich höchst bedauerliche Menschen, und ein blinder Bettler auf der Straße ist besser daran denn ihr!«

28] Als die beiden das von Mir vernommen hatten, wurden sie noch stutziger, und keiner wußte nun mehr, was er Mir hätte erwidern können.

29] Der Schriftgelehrte belobte sehr Meinen Verstand, gab Mir in allem recht und sagte am Ende zu Mir: »Freund, ich werde in dieser Nacht mit den andern einen Rat halten, demzufolge wir von dem Verfolgen des Nazaräers sicher gänzlich abstehen werden; aber wir werden dennoch trachten, mit ihm eine persönliche Bekanntschaft zu machen, und was er uns raten wird, das werden wir tun! Denn wir haben nun von euch seine wahrhaft göttliche Weisheit verkostet und sind schon jetzt ganz andere Menschen geworden; welchen Eindruck wird dann erst er selbst auf uns machen! Morgen ein Weiteres davon!«

30] Mit dem empfahlen sich die beiden, begaben sich wieder an ihren Tisch und bald darauf zur Ruhe. Wir aber blieben noch eine gute Stunde wach und besprachen uns über diese Meine Verfolger, und Kisjona und die Maria waren überaus froh darob, daß Mich diese Templer nicht erkannt hatten, und daß sie andern Sinnes geworden waren.

31] Als die Pharisäer in ihr Schlafgemach kamen, da fingen sie an, sich ganz ernstlich zu beraten, was sie in der Folge tun sollten. Und sie wurden alle einig, mit Mir irgendwo zusammenzukommen und sich von Mir raten zu lassen, welche Lebensrichtung sie in Zukunft einschlagen sollen.

32] Wir aber begaben uns auch zur Ruhe, doch nicht in ein eigenes Schlafgemach - mit Ausnahme der Maria, für die Kisjona eigens gesorgt hatte -, sondern blieben, wie zu öfteren Malen, an unserem Tische, der natürlich zuvor abgeräumt wurde.



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