Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 106. Kapitel: Traum eines Mädchens über Jesus.

01] Als die Fische verzehrt waren, da sagte der Wortführer zum Wirte: »O lieber Freund, du hast uns nun eine gute Stärkung für unseren Leib gegeben; aber mit dem Bezahlen wird es schlecht gehen!«

02] Sagte der Wirt: »Meine lieben Stammesverwandten, für das habt ihr euch nicht zu sorgen, und so ihr wieder heimkehren werdet, da wird schon auch dafür gesorgt werden, daß ihr eure Rückreise nicht mit leeren Säcken machen werdet; darum seid nun frohen Mutes und habt keine Furcht und keine unnötige Sorge!«

03] Sagte darauf das zwölfjährige Mägdlein, das nun, wohlgestärkt mit Speise und Trank, auch Mut zum Reden bekam, zu ihrem Vater: »Höre, du mein Vater, mir hat vor drei Tagen, als wir auch das Glück hatten, einen Menschenfreund im Wirte einer Herberge zu treffen, Wahres geträumt! Du hast zu mir freilich, wie immer, gesagt, daß die Träume der Kinder nichts zu bedeuten haben; aber ich habe im Traum dieses Zimmer gesehen und so auch die über alles freundliche Aufnahme in dieser Herberge. Aber ich habe im Traum noch viel mehr gesehen, was du aber, als ich es dir erzählen wollte, nicht anhören wolltest und mich zu schweigen nötigtest; aber mir kommt es nun hier vor, daß mein Traum ganz in Erfüllung gehen wird!«

04] Sagte darauf der Vater zur Tochter: »Nun, was hat dir denn noch Weiteres, das nun hier in Erfüllung gehen solle, geträumt? Hier erlaube ich es dir schon, uns deinen Traum ganz zu erzählen!«

05] Sagte das Mägdlein darauf: »Ganz werde ich dir den gehabten hellen Traum nicht erzählen, sondern nur die Hauptsache berühren, und diese besteht darin: Ich sah im Traumgesichte auch jenen großen Tisch und dieselben Männer um den Tisch sitzen. Und siehe, einer von ihnen war eben jener neue Himmelskönig, dessentwegen wir unsere Wanderung hierher unternommen haben! Ich könnte dir Ihn auch zeigen; aber ich habe nun eine Stimme in mir vernommen, die es mir verbot, solches zu tun, und der Stimme muß ich gehorchen! Weil aber alles aus meinem Traume hier in Erfüllung geht, so wird auch vielleicht das noch in Erfüllung gehen, daß wir eben hier Den finden werden, den wir über alles gerne finden möchten!«

06] Sagte darauf, ganz überrascht, der Vater: »Mein liebes Kind, es kann wohl etwas Wahres in deinem Traume stecken, - aber deiner Traumaussage sogleich einen unbedingten Glauben schenken, wäre bei einer so hochwichtigen und heiligen Sache doch etwas zu sehr Gewagtes: daher heißt es da mit aller prüfenden Vorsicht zu Werke gehen! Ich werde mich darum wieder an jenen sehr weisen Mann, mit dem ich schon geredet habe und der offenbar ein Prophet ist, wenden; von dem werde ich am ehesten etwas Näheres über den Himmelskönig aller Juden erfahren. Ich habe ihn schon früher um die Personbeschreibung des genannten heiligen Königs gebeten; wenn er mir diese gibt, so wird es dann eben nicht gar zu Schwieriges mehr geben, Ihn ausfindig zu machen und auch zu erkennen!«

07] Sagte nun auch das Weib zum Manne: »Höre, du mein Gemahl, das unschuldige und reine Gemüt eines Kindes ist Gott oft näher als das unsrige, das schon durch manche Leidenschaftlichkeit verunlautert worden ist, und sieht und erkennt die Nähe Gottes denn auch oft eher als das unsrige! Im Suchen und Finden sind die Kinder mit ihren scharfen Augen oft um gar vieles geschickter denn wir Alten. Du aber bist in manchen Dingen zu strenge prüfend, und ich habe es schon bei dir mehrere Male erlebt, daß du mit der Zeit das auch als echt und gut anerkannt hast, was wir dir gleich anfangs als echt und gut vorgestellt haben; wer weiß es, ob es dir diesmal nicht auch so ergehen wird!«

08] Sagte der Mann: »Diesmal wünschte ich wohl, daß ihr recht haben möchtet! Aber nun gehen wir beiden Männer zu dem Weisen hin und bitten ihn noch einmal um die Personbeschreibung des großen Königs, dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf dieser weiten Erde!«!

09] Auf diese Unterredung, die stets mit halblauten Worten geschah, auf daß sie von uns nicht vernommen würde, standen die zwei Männer auf und begaben sich wieder voll Ehrfurcht zu Mir und baten Mich um die Personbeschreibung des großen Königs.

10] Ich aber sagte mit freundlicher Miene zum Verheirateten: »Ihr habt zwar mit ganz leiser Stimme von dem Könige geredet und über den Traum deines Töchterleins geurteilt, und doch habe Ich jede Silbe wohl vernommen. Ihr möchtet von Mir die Personbeschreibung des Königs vernehmen, weil ihr der Meinung seid, durch sie den König, so ihr mit Ihm irgend zusammenkämet, alsbald zu erkennen und Ihm die Ehre zu geben.

11] Ich aber sage es euch: Der neue König der Juden muß von denen, die Ihn wahrhaft zu erkennen wünschen, vor allem im Geiste und aller Wahrheit erkannt werden, dann wird auch Seine Person bald und leicht erkennbar werden. Es hatte aber deine Tochter dir aus ihrem Traume vor drei Tagen unweit von Damaskus ja die persönliche Gestalt des Königs beschreiben wollen; warum wolltest du sie denn nicht anhören?«

12] Sagte der Mann: »Liebster und sehr weiser Freund, weil bei mir, wie bei meinen Eltern und Voreltern, stets der weise Erziehungsgrundsatz gehandhabt ward, demnach Kinder wohl recht Gutes und Wahres hören, aber nur dann reden sollen, wenn sie um etwas gefragt werden, auf daß sie nicht zu losen Schwätzern werden; denn viel denken und danach handeln ist klüger denn viel schwätzen und dabei wenig tun. Und so wollte denn ich mir auch den Traum von meinem Kinde nicht alsogleich erzählen lassen, um es in der Geduld und Selbstverleugnung zu üben und zu stärken, was besonders dem weiblichen Geschlecht am meisten not tut, das seine Zunge ohnehin schwer zu bändigen imstande ist.«

13] Sagte Ich: »Da hast du wohl ganz recht, - aber weil dein Töchterlein ohnehin von einer selten schweigsamen Gemütsbeschaffenheit ist, so hättest du von deiner festen Regel schon auch einmal eine kleine Ausnahme machen können; denn so sittsam und wohl erzogene Kinder stehen der inneren Lebenswahrheit gewöhnlich um vieles näher als jene erwachsenen Leute, die durch ihr unermüdsames Forschen ihr Gehirn mit vieler Weltweisheit so vollgefüllt haben, daß sie am Ende den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Bei dir ist das auch so recht stark der Fall; denn du wolltest dem alten Rufe deines Stammes keine Unehre machen, - was dir auch zu keinem Übel anzurechnen ist. Aber das wirst du auch schon selbst bemerkt haben, daß ein zu scharf geschliffenes Messer stets eher schartig wird, denn eines, das zwar ein wenig stumpfer, aber immer noch zur Genüge scharf geschliffen ist! - Aber dem sei nun, wie ihm wolle! Lasse du nun dein Töchterlein hierher kommen, und sie soll sich aus uns Den aussuchen, der ihr im Traum als der neue König der Juden ersichtlich geworden ist!«

14] Sagte der Mann, der auf diese Meine Worte ganz verlegen geworden war, so wie auch sein Schwager: »O du liebster und unbegreiflich hochweisester Freund, sollte der heilig große König denn etwa wohl im Ernste unter euch sein?«

15] Sagte Ich: »Das wird sich hernach schon zeigen; jetzt aber tue du das, was Ich dir anbefohlen habe!«

16] Auf diese Worte ging der Mann hin und führte sein Töchterlein zu Mir.



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