Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 100. Kapitel: Vom rechten Weg zum rechten Ziel. Falsche und rechte Verstandesbildung.

01] (Jesus:) »Der Mensch, wie er sich noch so lebensblind und unreif in der Welt bewegt, gleicht einem Weizenhalme, wie dieser aus dem Keime sich zu entwickeln anfängt. So er erst eine Spanne hoch über dem Boden der Erde unter der Einwirkung der Sonne gewachsen ist, so merkt man noch nichts von einer Fruchtähre; aber unter der stets kräftiger werdenden Einwirkung der Sonne wird auch bald die Ähre ersichtlich, wird voller und vollkommener, blüht, setzt das Korn an, und dieses reift am Halme und in den Hülsen der Ähre zur festen und lebentragenden Weizenkornfrucht, die in ihrer Vollreife sich ganz vom Halme und ebenso von der Hülse völlig löst und für sich frei befindet.

02] Ist das Korn einmal zur vollen Reife gelangt, dann stirbt der Halm und die Ähre. Warum denn? Weil all sein früheres Außenleben sich in das wahre, innere Fruchtleben im Korne begeben hat, in welchem sich nun auch die Wurzeln und der emporwachsende Halm in jedem Stadium seines Wachsens und Vollkommenerwerdens bis zur vollen Reife nicht nur einfach, sondern gleich unendlichfältig befinden, ansonst ein in die Erde gelegtes Korn nicht wieder alles in stets vervielfachterer Anzahl zum Vorschein bringen könnte, was zum Wachsen und Reifwerden des Weizens erforderlich ist.

03] Habt ihr aber auch schon einmal erlebt, daß im starren und kalten Winter unter dem schwachen Lichte der Sonne, des Mondes und aller Sterne ein Weizenhalm aus der Erde bis zu seiner Vollreife samt Ähre und Korn erwachsen ist? Sowenig aber das im Winter möglich ist, sowenig ist auch das möglich, daß ein Mensch unter den zahllos vielen und verschiedenartigen Lichtlein der so hochgepriesenen Weltweisheit je zur wahren, inneren Lebensreife und Löse gelangen kann! Es muß über ihn der Lebenssommer mit dem vorangehenden Frühling kommen, der in dem durch die Tat stets lebendiger werdenden Glauben, wie der alle Früchte zur Vollreife bringende Sommer in der stets mächtiger werdenden Liebe zu Gott und daraus auch zum Nächsten besteht.

04] Gott aber, an und in Sich die Liebe, das Licht und das Leben, ist die wahre Sonne alles Lebens. Wer Gott stets inniger liebt in aller Tat nach Seinem geoffenbarten Willen, der dringt in sein Inneres und geht so in den wahren Sommer des Geistes aus Gott über, in welchem er unter dem Liebelebenslichte und unter dessen Lebenswärme zur wahren Lebensreife gelangt.

05] So ihr nun das aus Meinem Munde vernehmt, so beachtet es wohl und Tut danach, so werdet ihr zur wahren Lebensreife gelangen! - Habt ihr das nun verstanden, und auch du, Judas Ischariot?«

06] Sagte dieser (Judas Ischariot): »Herr und Meister, du hast nun in klaren Bildern geredet, wir haben sie auch verstanden, und jeder weiß es nun noch überzeugender denn zuvor, was er zu tun hat, um in das Reich Gottes in sich zu gelangen; aber es ist dennoch immerhin keine leichte Arbeit, in sich das zur lebendigen Kraft zu bringen, was im Menschen noch ebenso unregsam ruht und schlummert, wie in einem Samenkorn der Keim. Dieses muß erst in ein gutes Erdreich gelegt werden und zuvor völlig absterben, damit der alles bewirkende Geist im Keime erwachen und die ihm eigene Tätigkeit nach der eben auch in ihm wohnenden Intelligenz beginnen kann, ansonst wird aus dem Samenkorn, das in einer Scheune irgend trocken liegt, trotz des schönsten Frühlings und Sommers niemals ein Halm, eine Ähre und ein reifes Korn erwachsen!«

07] Sagte Ich: »Gut, so du das der vollen Wahrheit nach weißt, so ziehe du den alten, materiellen Adamsmenschen aus und ziehe den neuen aus Mir an, so wird dann der innere Mensch in dir schon von sich selbst heraus ebenso tätig werden wie der Geist im Keime, wenn das ihn umgebende Korn in der Erde verwest und dadurch als Nahrung und Stärkung in den Keimgeist übergegangen ist!«

08] Sagte darauf wieder Judas Ischariot: »Herr und Meister, wie kann man denn den alten Adam ausziehen und dann einen neuen anziehen? Soll man den Fleischleib denn töten, um dadurch zu einem geistigen Leibe zu gelangen?«

09] Sagte Ich: »Wie aber kann einer Meiner alten und gelehrtesten Jünger zu einem solch überdummen Urteil gelangen? Wer hat denn davon geredet, daß ein Mensch seinen Leib töten soll, um dann ein rein geistiger Mensch werden zu können? Deine weltlichen Begierden und Gelüste, die im Fleische toben und wüten, unterjoche du mit deinem freien Willen, und trachte nach dem Reiche Gottes in dir nach der euch allen nur schon zu klar bekannten Weise, so hast du dadurch den alten Menschen ausgezogen und einen neuen angezogen.

10] Wenn du aber in einem fort noch so geheim bei dir an den äußeren Dingen und ihren Reizen hängen wirst und herumschwärmen in dem engen Bereich deiner irdischen Weisheit und allerlei als ein Blinder erworbener Erfahrungen, so kann es dir schon noch begegnen, daß der böse Geist der Welt dich ganz gefangennehmen wird und du ihm als ein jammervolles Opfer zur Beute wirst mit Leib und Seele.

11] Wer durch pure Beobachtungen und nach den Urteilen seines Weltverstandes zur inneren, wahren Weisheit des Geistes aus Gott gelangen will, der irrt groß, gerät auf Abwege, die voll Abgründe sind, in die er in der Nacht seines Geistes nur zu bald und leicht fallen und sich gänzlich zugrunde richten kann.

12] Leuchten in der Nacht nicht zahllos viele Lichter am Himmel? Und dennoch kannst du bei ihrer Beleuchtung keine Schrift lesen! Ebenso kann ein Mensch bei all dem Tausendgeflimmer seiner mühevoll errungenen Weltwissenschaften und gemachten Erfahrungen die innere Lebensschrift nicht entziffern.

13] Wie man aber am Tage beim Lichte der Sonne jede noch so kleine Schrift wohl lesen kann, so kann ein Mensch, so durch das Tun nach Meinem Worte die innere Lebenssonne in ihm aufgegangen ist, dann auch seine innere, wahre Lebensschrift lesen und verstehen und erkennen die Verhältnisse alles dessen, was in ihm ist und ihn auch nach allen Seiten nach außen hin umgibt.

14] Mit dem puren Suchen mit dem mattesten Schimmerlichte des Weltverstandes findet die Seele im Menschen nicht einmal sich selbst - und noch weniger ihr Lebensverbandesverhältnis mit dem Leibe und mit dem Geiste in ihr. Es soll der Mensch wohl den Gehirnverstand ausbilden und vernünftig denken lernen - aber nicht nach der Weise der Welt, sondern nach der Weise der wahren Kinder Gottes, wie das wohl ersichtlich ist bei den frommen Patriarchen und Altvätern -, so wird auch der Gehirnverstand bald und leicht zu jener Lichtstärke gelangen, gegen die alle Weltweisheit eine große Finsternis ist.

15] Betrachtet die erste Verstandesbildung zum Beispiel nur eines Samuel und eines David, eines Salomo und noch einer Menge von Menschen! Wo steht unter den noch so Weltgelehrten, sowohl der Juden als der Heiden, einer, der jenen Männern an Weisheit gleichkäme? Beachtet demnach das, was Ich Selbst euch zeige, so wird auch der Gehirnverstand gar wohl in allem erleuchtet werden!«



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