Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 79. Kapitel: Der Traum des Schriftgelehrten.

01] Am Morgen, als die Sonne schon über die Berge gestiegen war und Ich und die Jünger wie gewöhnlich uns schon im Freien befanden, erwachten denn auch der Pharisäer und der Schriftgelehrte, wuschen sich nach der strengen Sitte der Juden, und der Pharisäer fragte dann den Schriftgelehrten, ob er wohl einen Traum gehabt hätte.

02] Und dieser sagte (der Schriftgelehrte): »Ja, Freund, wie ich es dir vor unserer Ruhenahme gesagt habe; aber es träumte mir nichts als lauter dummes Zeug durcheinander.

03] Höre! Ich befand mich zwischen hohen Bergen, und wo ich hinsah, waren lauter Gold- und Silberminen; und ich sah eine Menge Bergleute, die diese Metalle in großen Klumpen aus den Bergen schafften. Da ich aber dieses Metall in einer so übergroßen Menge vor mir sah, so hat es vor mir allen Wert zu verlieren angefangen, und als die Bergleute noch immer mehr und mehr dieser Metalle an das Tageslicht förderten, da ward es mir bange, und ich fing an, einen Ausweg zu suchen. Wo ich aber auch hinkam und einen Ausweg nehmen wollte, da war er mit den größten Klumpen Goldes und Silbers schon derart verrammt, daß es eine Unmöglichkeit war, je darüber ins Freie gelangen zu können.

04] Ich wandte mich denn in meiner großen Angst und nahe völligen Verzweiflung an einen Bergmann, der sich in meiner Nähe befand, und bat ihn, daß er mir einen Ausweg aus der Gold- und Silberschlucht zeige.

05] Aber der rollte mich mit einer sehr rauhen Stimme an, sagend: "Da gibt es keinen Ausweg! Wer sich einmal in diese Schlucht verirrt hat, der kommt nicht mehr hinaus; denn wir merken das genau, von woher jemand zu uns herein gelangt, und verrammen ihm den Ausweg, sobald er unsere Schätze zu bewundern angefangen hat. In dieser Schlucht haben schon gar überaus viele Mächtige und Große der Erde ihren Untergang gefunden, und du wirst nicht einer der Letzten sein!"

06] Auf diese sehr drohenden Worte des rauhen Bergmanns, der sich darauf auch alsogleich von mir entfernte, erreichten meine Furcht und Angst den höchsten Grad, so daß ich darob wie ganz besinnungslos zu Boden fiel und in diesem bösen Zustande abermals in einen neuen Traum im Traume verfiel.

07] Da kam ein Mann zu mir und fragte mich mit ernster Stimme, was ich an diesem Orte mache.

08] Ich aber sagte: "Wie fragst du mich also, weiß ich doch nicht, wann, wie und warum ich hierher gekommen bin. Ich habe das ja nie gewollt und befinde mich dennoch hier."

09] Darauf verschwand der Mann, und ich sah bald darauf ein arges Tier sich mir nahen. Da geriet ich in eine noch größere Angst. Darauf aber sah ich einen Blitz vom Himmel fahren, der traf das böse Tier, dessen Gestalt ich dir nicht beschreiben kann. Darauf fing dasselbe an, sich zu krümmen und zu bäumen und stürzte bald in einen tiefen Abgrund, und mir ward es behaglicher im Gemüte.

10] Ich richtete mich auf und eilte von dieser Stelle einem Orte zu, der sich in einer ziemlichen Ferne von mir befand und ein freundliches, und einladendes Aussehen hatte. Ich kam bald in die Nähe des Ortes. Da ersah ich gar zierliche Gärten, in denen eine Menge von allerlei mir unbekannten Fruchtbäumen standen, deren Äste und Zweige von den seltsamsten Früchten strotzten.

11] In dem einen der Gärten ersah ich auch Weiber und Mägdlein von großer Schönheit, und es fing mich zu gelüsten an, mit ihnen zu reden. Aber mein Gelüsten hatte auch bald ein Ende; denn als mich die Mägdlein und die Weiber ersahen, da fingen sie an zu schreien und flohen vor mir.

12] Ich dachte bei mir, warum das?

13] Da vernahm ich eine Stimme wie aus irgendeinem Versteck: "Das ist unser Feind! Flieht vor ihm, damit er uns nicht auch hier raube unsere Habe und unsere Keuschheit und unsere Unschuld! Ihr, unsere Männer, aber ergreifet und bindet ihn, und werfet ihn in einen Kerker, darin Kröten und Schlangen hausen!"

14] Als ich solches vernahm, da fing ich an zu fliehen über Steine und Stoppeln; ich fiel endlich vor Müdigkeit zu Boden und wurde darauf wach.

15] Wahrlich, das war denn doch ein dummer und böser Traum, und ich bin vom Angstschweiß noch ganz naß am ganzen Leibe!

16] Was sagst nun du, Freund, zu diesem meinem bösdummen Traum?«



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