Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 36. Kapitel: Grund des Besuches Jesu bei der Witwe zu Nahim.

01] Da aber die Witwe auch die Griechen ankommen sah, da ward ihr bange, weil sie zu wenig vorbereitet habe.

02] Ich aber beruhigte sie und sagte, daß das Bereitete für alle genügen werde.

03] Sie glaubte, und wir setzten uns an die Tische und hatten mehr als hinreichend zu essen und zu trinken.

04] Es fing aber alles sich überhoch zu Verwundern an - und ganz besonders die Witwe, die am besten wußte, für wie viele Gäste sie die Speisen bereitet hatte -, wie nun mehr als dreimal so viele Gäste schon bei einer Stunde lang aßen und tranken, und man merke den Speiseschüsseln noch nicht an, daß in ihnen der Speise weniger geworden wäre. Auch die Weinkrüge schienen sich von neuem selbst zu füllen.

05] Als die Sache noch eine Weile so andauerte, da kam die Witwe mit ihrem Sohne zu Mir und sagte: »O Herr, nun erst weiß ich ganz, wer in Deiner höchst heiligen und anbetungswürdigen Person mein unwürdigstes Haus betrat! Die Griechen hatten recht, dem alten Rabbi auf seine eingebildete Judenweisheit zu zeigen, daß sie die bei weitem Weiseren sind. Er hat sich auch weislich davongemacht und ist nun am Abend, wie sonst doch gewöhnlich, nicht zu mir gekommen. Aber nun, o Herr, Herr, möchte ich denn doch auch aus Deinem heiligsten Munde erfahren, was mich denn vor Dir so würdig gemacht hat, daß Du mir armen Sünderin solche Gnaden erweisen mochtest!«

06] Sagte Ich: »Ich kenne wohl dein Leben schon von der Wiege an, aber Ich kenne auch dein Herz, dem viele Arme ihr Leben zu danken haben; und darum bin Ich zu dir gekommen in deiner größten Not. Denn du selbst bist schon ziemlich alt und schwächlich geworden, und dieser dein einziger Sohn sollte deine Hauptstütze werden, wie du dir das auch mit Recht erhofftest; aber er ward krank und starb. Da Ich da wohl ersah deinen Schmerz und deine Not, aber daneben auch die sicher bald eintretende Not der vielen Armen, die infolge deiner eigenen Schwäche und Hilflosigkeit ihre bisherige Versorgung in deinem Hause mehr und mehr verloren hätten, so kam Ich, um nicht nur allein dir, sondern auch den vielen andern Armen und durch allerlei Not Bedrängten wunderbar zu helfen.

07] Siehe, das ist der eigentliche Grund, der Mich bestimmte, zu dir zu kommen! Denn wahrlich, wahrlich sage Ich euch allen: Wer da nach seinem Vermögen den armen und bedrängten Nebenmenschen allzeit Barmherzigkeit und Liebe erweist in aller Freundlichkeit, der wird auch bei Mir Erbarmung, Liebe und Freundlichkeit finden; denn darin besteht das wahre Reich Gottes, das in Mir nun zu euch gekommen ist, daß ihr Gott liebt über alles und eure Nächsten wie euch selbst. Wer das tut, der erfüllt das ganze Gesetz und steht in der vollen Gnade Gottes, und Jehovas segnende Hand ist über ihm. Wer in solcher Liebe verharrt, der ist und bleibt in Mir und Ich in ihm. Wer aber in Mir ist, wie auch Ich in ihm, der hat in sich das ewige Leben und wird den Tod nicht sehen und schmecken; denn er ist also schon in dieser Welt ein rechter Bürger des Reiches Gottes, in dem es ewig keinen Tod mehr gibt. Beherziget das alle wohl, und handelt danach; denn darum kam Ich Selbst in diese Welt, um den Menschen also das wahre Gottesreich zu überbringen und sie zu erlösen von aller Blindheit und vom Tode ihrer Seelen, der euch bisher hart gefangenhielt. So nun jemand von euch noch etwas wissen will, der mag fragen, und Ich werde ihm antworten.«

08] Als Ich solches ausgeredet hatte, da wandte sich der neu belebte Sohn der Witwe an Mich und sagte: »O Herr des Lebens, sieh, ich war völlig tot und lebe nun durch Deine Gnade wieder. Würde ich von nun an bei der genauesten Beachtung Deines uns nun bekanntgegebenen heiligen Willens gleich ewig fortleben und nimmerdar sterben? Denn das Sterben ist ganz entsetzlich bitter, und ich möchte es nicht wieder noch einmal verkosten! Ist man einmal tot, dann verspürt man freilich keinen Schmerz mehr, und alle Angst und Furcht ist dahin, weil man um sich nichts mehr weiß, nichts fühlt, sieht und hört; aber bis man völlig tot ist, das geht höchst ängstlich und schmerzhaft zu! Daher möchte ich Dich, o Herr des Lebens, wohl bitten, mich und auch alle andern guten Menschen nicht mehr sterben zu lassen!«

09] Sagte Ich: »Mein lieber Sohn! Ich habe es ja ehedem schon euch allen treuest und wahrst verkündet, daß die, welche an Mich glauben, Mich über alles lieben und ihre Nächsten wie sich selbst, den Tod nicht sehen, fühlen und schmecken werden; denn wer nach Meinem Worte das ewige Leben in sich hat, wie kann der sterben?

10] Du sagtest aber auch, daß der Tod dann wohl auch gewisserart gut sei, so man einmal völlig tot ist, weil man da nichts mehr höre, sehe und fühle und somit um sich nichts mehr wisse; aber das, Mein lieber Sohn, ist wohl nicht also, wie du nun nach deinem Gefühle urteilst! Dir kommt es nun freilich so vor, als wärest du in deinem leibestoten Zustande völlig tot und bewußtlos gewesen; aber dem war nicht so.

11] Denn daß du nun keine Rückerinnerung an das hast, was deiner Seele in ihrer Abwesenheit vom Leibe alles begegnet ist, das habe Ich ganz weise angeordnet; denn wäre deiner Seele die Rückerinnerung geblieben an das, wie sie im Paradiese sich höchst wohl und selig unter vielen Engeln befand, und wie sie dann traurig geworden ist, als ihr diese verkündeten, daß sie nach dem Willen Jehovas noch einmal in ihren Leib werde zurückkehren müssen, so würdest du dich als nun wieder mit deinem Leibe vereint, nicht so heiter wie jetzt befinden. Ich könnte dir die vollste Rückerinnerung gleich wieder verschaffen, so Ich das wollte; doch Ich würde dir dadurch nichts Gutes erweisen, weil du dadurch für diese Welt, in der du noch vieles zu wirken bekommen wirst, auf viele Jahre hin völlig untüchtig werden würdest.

12] Es wird in deinem hohen Alter schon wieder einmal eine Stunde kommen, in der Ich deine Seele aus dem Leibe zu Mir rufen werde; dann werde Ich dir auch die Rückerinnerung an den dreitägigen Zustand im Paradiese Meiner Engel zum voraus geben, und du selbst wirst Mich dann kniend bitten, dich als Seele aus ihrem morsch gewordenen Leibe zu erlösen.

13] Dein Leib wird dann freilich noch einmal und für immer tot werden, und es wird in ihm kein Lebensbewußtsein zurückbleiben; aber du wirst dann fortleben im vollkommensten Bewußtsein deiner selbst und wirst mit Meinen Engeln, von einer Weisheits- und Liebesstufe stets seliger werdend, emporsteigen und den Vater, der in Mir wohnt, stets tiefer und tiefer erkennen und bewundern Seine end- und zahllos vielen und großen Schöpfungen.

14] Siehe, du Mein lieber Sohn, also ist es, und also wird es sein, und du kannst das Mir wohl glauben; denn Ich, der dich nun wieder in dieses Erdenleben zurückgerufen hat, und Ich als die ewige Liebe, Weisheit, Macht, Kraft, Licht, Wahrheit und Leben Selbst habe es dir nun geoffenbart!«



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