Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 9


Kapitelinhalt 19. Kapitel: Über die Führung der Menschen durch Gott.

01] Als die drei sich ganz wohlgemut in einem Nebenzimmer befanden, da erst sagte der Wirt zu Mir: »Was, o Herr und Meister, sagst denn nun Du zu der ganz verzweifelt wohlbegründeten Rede dieser drei? Nein, ich habe doch schon so manches von unseren Weltweisen gehört und selbst gelesen, aber so etwas Gediegenes ist mir noch niemals vorgekommen! Man kann ihnen sowohl im Sonderheitlichen wie auch im Allgemeinen wahrlich selbst beim besten Willen und Glauben nichts entgegenstellen. Denn es steht mit der Menschheit im Allgemeinen wie auch im vielfach Sonderheitlichen genau so, und ich bin nun eben auf Deine Meinung im höchsten Grade begierig, wie Du da Dich Selbst entschuldigen und rechtfertigen wirst.«

02] Sagte Ich: »Es sei euch allen darum nicht bange; denn Ich Selbst habe das alles so kommen lassen der etlichen Erztempeljuden wegen, die sich dort im anstoßenden Zimmer befinden. Sie sind heute in der Nacht von Jerusalem hier angekommen und haben im soeben angezeigten Zimmer die Wohnung auf etliche Tage gemietet. Diese haben an der Wand scharf gehorcht, was hier im Saale über sie alles gesprochen wurde, und der Redner hat mit starker Stimme sie gerade so gezeichnet, wie sie auch sind. Und das war denn auch gut.

03] Diese Juden kamen hierher, um einen rückständigen Zehent unter deinem Beistande einzuheben. Du aber wirst nun etwa wohl wissen, welchen Beistand du ihnen leisten wirst! Wenn sich die drei werden erholt haben, dann lasse sie wieder hierher bringen, und wir werden dann die Sache schon ganz gut weiterhin ab- und ausmachen!«

04] Sagte der Wirt und auch Kado: »Gedacht haben wir es uns wohl, daß sich die Sache also verhalten werde, doch auszusprechen getrauten wir uns das darum nicht, weil wir Dich erstens vor den dreien nicht vor der Zeit verraten wollten, und zweitens, weil uns die Rede des Redners allen Ernstes zu einer Aufmerksamkeit nötigte und wir sehen wollten, wie weit es der Mensch mit der Schärfe seines Verstandes bringen kann. Und wahrlich, vom rein menschlichen Standpunkte aus betrachtet, hatte der Redner auch in reiner Darstellung der Verhältnisse zwischen Schöpfer und Geschöpf denn auch recht; denn es ist für unseren Menschenverstand wahrlich schwer zu begreifen, warum Du die Menschen eine so lang andauernde Zeit auf eine nähere Offenbarung Deiner Selbst, Deines Willens und Deiner Absichten mit den Menschen hattest können harren und in der dicksten Lebensnacht zahllos viele verschmachten lassen. Und wie viele werden noch verschmachten, ohne von Dir etwas zu erfahren; und so sie von den Ausbreitern Deiner Lehre auch erfahren, daß Du in Menschengestalt Selbst auf diese Erde kamst und den Menschen gezeigt hast die Wege zum ewigen Leben der Seelen, - werden sie es wohl glauben so fest wie wir nun, daß es auch also war, wie sie von Deinen Boten benachrichtigt worden sind?«

05] Sagte Ich: »Ihr als Menschen habt allerdings sehr recht, so zu reden, zu fragen und zu urteilen; aber Mich als den Schöpfer fordert Meine Liebe, Meine Weisheit und Ordnung auf, Mich Meinen Geschöpfen gegenüber stets so zu verhalten, wie es für sie zu jeder Zeit am allernotwendigsten ist.

06] Vom ersten Menschen dieser Erde bis zu dieser Stunde sind die Menschen nie auch nur ein Jahr lang gänzlich ohne alle Offenbarung, von Mir ausgehend, geblieben, - aber stets also, daß ihr völlig freier Wille keine Nötigung zu erleiden hatte, weil der Mensch ohnedem kein Mensch, sondern nur eine Maschine Meines Willens wäre.

07] Es ward darum dem Menschen aber auch der Verstand gegeben als ein gutes Licht, um mit demselben Gott und Seinen Willen zu suchen, - was denn auch zu allen Zeiten gar viele Menschen getan und beim rechten Ernste auch das gefunden haben, was sie suchten.

08] Daß Sich aber Gott nicht so bald und so leicht finden läßt, wie es so gar manche Menschen eben gerne hätten, das hat seinen höchst weisen Grund darin: Würden die Menschen mit leichter Mühe das finden, was sie suchen, so hätte das Gefundene bald keinen Wert mehr für sie, und sie gäben sich wenig Mühe mehr, noch weiter zu suchen und zu forschen; sie begäben sich in die Trägheit, und der von ihnen gar so leicht und bald gefundene geistige Schatz würde ihnen noch weniger nützen, als so sie ihn ängstlich gleichfort suchen müssen und in dieser Welt doch nur selten und schwer völlig finden. Darum geschehen große Offenbarungen selten, damit die Menschen, in ihrer Seelennacht geängstigt, selbst Hand ans Werk legen müssen und mit allem Eifer suchen die ewige Wahrheit und also Mich.

09] Daß die Menschen in dieser Welt während ihres Suchens gar oft auf allerlei Abwege und auch in allerlei Bedrängnisse geraten, ist wohl ein diesirdisches Übel; aber dies entsteht nicht etwa aus dem tätigen Ernst des Suchens, sondern aus der leidigen Trägheit im Suchen, die eine Frucht der übertriebenen Welt- und Eigenliebe ist, vermöge der sich die Menschen das Streben nach dem Reiche des Geistes so bequem als möglich machen möchten. Wenn das andere, noch trägere Menschen merken, so sagen sie dann bald und leicht zu den lau Suchenden: »Ei, was gebt ihr euch doch noch für Mühe, das zu suchen, was wir schon lange in größter Klarheit gefunden haben! So ihr uns glauben und dienen und statt eures fruchtlosen Selbstsuchens und Forschens kleine Opfer bringen wollt, so werden wir euch alles treu verkünden, was wir leicht und bald gefunden haben!«

10] Nun, den trägen und Mühe scheuenden Suchern ist solch ein Antrag willkommen, sie nehmen ihn an und glauben, was ihnen jene unter Mithilfe von allerlei falschen Wundern und Zeichen, die die noch Trägeren im Suchen der Wahrheit erfunden haben und zum Besten ihres diesirdischen Wohllebens vor den Blinden mit allerlei Zeremonie darstellen, mit ernster Miene sagen. Auf diese Art entstehen dann die vielen Gattungen des Aberglaubens, Lügen, Betrug und völlige Lieblosigkeit und mit ihr alles Unheil auf der Erde unter den Menschen.

11] Ihr fragt nun freilich in euch, warum Ich so etwas zulasse. Und Ich sage es euch: Aus dem Grunde lasse Ich so etwas zu, weil es für die Menschenseele, die zum ernsten Suchen zu träge, besser ist, daß sie doch etwas glaube und durch den Glauben sich in eine Ordnung füge, als so sie völlig erstürbe in ihrer Trägheit und Arbeitsscheu. Geht die Sache des Betrugs und der Bedrückung einmal zu weit, dann zwingt zuerst die Not die Leichtgläubigen zum weiteren Selbstforschen nach der Wahrheit. Sie merken den Betrug, verlassen ihre Trägheit und fangen an, ernstlich selbst zu forschen und scheuen den Kampf nicht, - und es geht daraus bald allerlei Licht hervor. Und zweitens ist darauf eine an solche lang betrogene und darum eifrige Sucher von Mir neu erteilte Offenbarung eine ihnen ums unaussprechliche willkommenere und für die Vertreibung des alten Aberglaubens auch wirksamere.

12] Da habt ihr nun von Mir aus eine ganz klare Beleuchtung dahin, warum Ich auf dieser Erde unter Menschen so manches nach ihrem freiesten Willen zulasse, was vor dem Richterstuhle der Menschen eben nicht als ganz gut und weise erscheint, aber im Grunde des Grundes doch höchst gut und weise ist.

13] So weit nun für euch. Aber nun lasst die drei wieder hereinkommen, und Ich werde mit ihnen reden!«



Home  |    Index Band 9  |   Werke Lorbers