Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 189. Kapitel: Jesus über den Standort der früheren Stadt Jericho.

01] Hier fragte Mich Petrus, sagend: »Herr, das alte Jericho stand ja gen Morgen über dem Jordanstrom, und ich weiß nicht, ob und wo wir gestern bei unserer Hierherreise den Strom übersetzt haben; denn dieses Neujericho steht doch sicher noch mehr im Morgen vom Strome, als einst das alte gestanden ist, weil Du uns nun die Stätte des alten Jericho als von hier gen Abend gezeigt hast. Wir sind gestern zwar wohl über eine sehr breite Steinbrücke gegangen, aber unter ihr im Flußbette befand sich nach meiner Meinung denn doch nicht jene Menge Wassers, daß man es fürs Wasser des Jordans hätte halten können.«

02] Hierauf nahm Kado das Wort und sagte zu Petrus: »Und doch war das der Jordan! Er ist in dieser Zeit stets sehr wasserarm und ist an der Stelle, wo eine Brücke erbaut ist, auch wegen der Enge des Tales am schmalsten; aber eine halbe Stunde weiter unten gen Mittag dehnt sich der Strom schon wieder sehr aus und wird in der von hier nicht fernen Gegend des Toten Meeres gar sehr breit.«

03] Auf diese Worte des Kado war Petrus und auch die andern Jünger, die gestern auch nicht gemerkt hatten, wo und wann wir über den Jordan gekommen waren, ganz beruhigt.

04] Darauf aber besah sich Petrus und auch die andern Jünger die Steine, auf denen Ich stand, etwas näher und sagte nach einer kurzen Weile Nachdenkens: »Aber wie konnten die nur zwölf Priester diese großen und überschweren Steine aus dem Strome ausheben und sie dann die weite Strecke gar hierher bringen? Waren denn die zwölf Priester Riesen gleich einem Simson?«

05] Sagte nun Ich: »Wie kannst aber du nun noch also fragen, der du an Meiner Seite doch schon so viele Zeichen von der Kraft des Geistes Gottes gesehen hast?! Hast du denn das vergessen, was du alles beim alten Markus in der Nähe von Cäsaren Philippi gesehen hast, und weißt du denn nicht mehr, wie Raphael erst vor ein paar Tagen im Hause des Lazarus die alte, eherne Säule emporhob, und noch tausend andere Zeichen?! Und da du solches alles gesehen hast, wie magst du da nun noch fragen, wie Josuas zwölf Priester diese Steine aus dem Jordan haben hierher bringen können? War denn Gottes Kraft zur Zeit Josuas etwa eine geringere, als sie jetzt ist? Bedenke das, und frage Mich fürder nicht mehr um solche Dinge, die schon ein geschmeidiges Kind in der Wiege begreifen kann!«

06] Auf diese Meine Äußerung begriffen nun alle, wie es den zwölf Priestern wohl ganz leicht möglich war, diese Steine aus dem Strome hierher zu schaffen.

07] Es trat aber darauf Kado zu Mir und sagte: »O Du lieber Herr und Meister, wenn Du mir nicht gram werden würdest, so hätte auch nun meine Wißbegierde eben in bezug auf das alte und dieses neue Jericho eine Frage, die Du schier schon ohnehin kennst.«

08] Sagte Ich: »Ob Ich deine Frage auch schon kenne, so kannst du sie aber der andern wegen doch laut aussprechen!«

09] Hierauf fragte Kado: »Es ist aus dem Buche Josua bekannt, und Du Selbst hast das nun in aller Kürze berührt, daß Josua auf Gottes Geheiß jedermann mit unausweichlicher harter Strafe bedroht hat, der es wagen würde, die zerstörte alte Stadt von neuem wieder aufzubauen, - und siehe, doch wohnen wir im neuen Jericho! Wie ist das wohl zugegangen, daß in dieser Zeit doch eine Stadt Jericho beinahe an der selben Stelle steht, wo einst das alte Jericho gestanden ist? Hat denn Gott nachderhand Seine Drohung zurückgenommen und also dennoch ein neues Jericho entstehen lassen?«

10] Sagte Ich: »Du irrst dich! Gott hat da Sein Wort nicht zurückgenommen, und so steht an der weiten und wüsten Stätte, auf der einst das alte Jericho gestanden ist, bis zur Stunde noch kein Haus und nicht einmal eine elendste Hütte. Und warum habt ihr Neujerichoer denn es noch nie versucht, irgend auf der Altjerichostätte aus dem Schutte ein Haus aufzubauen oder doch zum wenigsten eine Hütte für eure Schafe, Ziegen oder Schweine?«

11] Sagte Kado: »Ja, liebster Herr und Meister, da hat es eine eigene Bewandtnis! Jene beinahe an zwei Stunden Weges im Umfange habende völlig wüste Stätte hat eine bedeutende Ähnlichkeit mit dem Toten Meere. Es wächst da nicht einmal ein Moospflänzchen, geschweige etwas anderes. Zudem hat der sicher ganz bedeutende wüste Fleck zuzeiten eine so wilde und böse Ausdünstung, daß sie Menschen und Tiere jeder Art und Gattung töten würde, so sie sich besonders in der Nacht darauf befanden, und so wäre es sehr unklug, auf jener Stätte sich ein Wohnhaus oder auch nur eine Hütte zu erbauen.

12] Merkwürdig aber ist doch der sonderbare Umstand, daß sich die arge Ausdünstung niemals über den Bereich der wüsten Stätte ausbreitet, und so lebt sich's hier in Neujericho ganz gesund, während ein Mensch, der sich nur einige Stunden auf der wüsten Stätte aufhielte, sein Leben einbüßen würde. Man hat meines Wissens zu einer Zeit diese Stätte auch dazu benutzt, daß man Verbrecher, die nach den Gesetzen den Tod verdient hatten, in der bösen Ausdünstzeit auf jene Stätte hinaustrieb, auf der sie über eine Stunde Zeit verweilen mußten. Die meisten sollen ums Leben gekommen sein. Die aber noch lebend zurückkamen, von denen sagte man, daß ihnen die Götter gnädig waren; aber sie blieben darauf dennoch siech und lebten nicht lange. Und das ist ein leicht begreiflicher Grund, warum auf jener wüsten Stätte sich bis jetzt noch kein Mensch eine Wohnstätte erbaut hat und ebensowenig schwerlich je eine erbauen wird - wie in der Nähe des Meeres (Totes Meer), an dessen höchst wüsten Ufern es auch für keinen Menschen geheuer ist, sich irgend zu lange zu verweilen, besonders wenn einem ein Wind über die Wasserfläche gerade entgegenweht. Diese wüste Stätte aber hat doch noch das Gute, daß kein Wind ihre arge Ausdünstung über ihre Steingrenzen hinaus verwehen kann.

13] Ob nun die arge Ausdünstung eine Folge jener alten Gottesstrafdrohung oder von irgend noch etwas anderem ist, das wüßte ich mir wohl nicht zu erklären; aber denkwürdig bleibt es immer, daß nun eben auf jener Stätte, auf der sich doch im Alter (in alter Zeit) eine so große und mächtige Königsstadt befand - was man aus den vielen Ruinen nur zu gut erkennen kann -, in der die Menschen wohnten und ihren Handel und ihr Gewerbe trieben, nicht einmal Schlangen, Nattern und anderes giftiges Getier sein elendes bißchen Leben erhalten kann. Und so ist es denn doch auch merkwürdig, daß trotz des alten Gottesverbotes auch schon seit sehr langer Zeit von etwa einigen hundert Jahren dennoch ein zweites und neues Jericho erbaut wurde.

14] O Herr und Meister! Siehe, das sind so ganz sonderbare Dinge, die so manchen in der Judenschrift wohlbewanderten Denker offenbar in bezug auf die Zeiten Josuas etwas bedenklich vorkommen müssen, und es ist eben nicht zu sehr zu verwundern, daß darob schon so mancher Jude seinen Glauben und auch sein Verständnis verloren hat. Wie ging es denn doch zu, daß nun doch noch ein Jericho dasteht?«

15] Sagte Ich: »Das kommt daher, Freund, weil an dem Namen nichts gelegen ist, sondern nur allein an der Stätte. Warum aber also, darüber will Ich euch sogleich eine kleine Aufhellung geben.

16] Seht, auf der Erde gibt es gewisse Punkte und oft gedehntere Flächen, die für Menschen und auch für Tiere nicht wohl zu bewohnen sind, weil daselbst aus der Erde Innerem, um für euch Griechen verständlich zu reden, zu gewissen Zeiten sich gewisse böse Dünste auf die Oberfläche emporarbeiten, die den unterirdischen Schwefel-, Erdkohlen- und giftigen Metallagern entstammen; und diese von hier bei einer halben Stunde entfernte alte Stätte ist eben auch ein solcher Punkt und jetzt ärger, als er zu den Zeiten Abrahams und Lots war, allwann beinahe zugleich mit Sodom und Gomorra auch Jericho nebst noch anderen Städten erbaut worden ist, - freilich wohl schon durch die Voreltern Lots, die damals über diese Gegend bis zum Meere hin herrschten!

17] Schon die Voreltern Lots waren gewarnt worden, sich in dieser Gegend anzusiedeln und gar Städte zu erbauen. Da sie trotz der Warnung das doch taten, so ward ihnen aber anbefohlen, ein möglich keusches und reines Leben zu führen; denn nur ein keuscher und dadurch auch lebenskräftiger Mensch mit einer starken, von Gottes Geiste erfüllten Seele kann allen argen und rohen Naturgeistern widerstehen, und sie können seinem Leibe nicht schaden. Aber jene vorbenannten Menschen befolgten auch diesen Rat nicht und gingen nur zu bald in allerlei Geilerei über, wurden Götzendiener und führten ein höchst ausschweifendes und unnatürliches Prasserleben.

18] Es wurden aber dennoch oft und oft reine und von Gottes Geiste erfüllte Boten zu ihnen gesandt, die sie belehrten und ihnen die sicheren Folgen zeigten, die aus ihrer Unbußfertigkeit hervorgehen würden; aber man hörte die Boten nicht an, sondern bedrohte sie, verfolgte sie und stieß sie von sich.

19] Zur Zeit Lots aber war der Punkt unter den Stätten, wo die Städte standen, zum Ausbruche reif geworden, teils, weil das schon in der inneren Natur der Erde also geordnet und begründet war, und teils und zwar hauptsächlich aber auch darum, weil die besagten Menschen aller inneren geistigen Kraft bar geworden waren und daher die argen Geister der rohen und gerichteten Natur der Erde einen unbeschränkten Spielraum gewannen und ihr Wesen stets ärger und ärger treiben konnten, was ihnen nicht so leicht möglich gewesen wäre, so in einer der Städte nur noch zehn bis zwanzig geistesstarke und reine Menschen bestanden wären.

20] Denn wahrlich sage Ich es euch: Ein reiner und geistesstarker Mensch ist ein Herr der Naturgeister, also ein Herr auch über die Elemente und auch über alle Tiere und über die Pflanzen und Mineralien, welcher Art und Gattung sie auch sein mögen. Denn so seine Seele mit dem Geiste Gottes erfüllt ist, in dem alle Macht und Kraft aus Gott wohnt, so kann er auch aller Natur gebieten, und sogar die Berge müssen sich beugen vor der Macht seines Willens und seines ungezweifelten Glaubens und Vertrauens auf den einen, wahren, allmächtigen Gott.

21] Es bestand aber zur Zeit Lots außer ihm auch nicht ein solcher Mensch mehr, und so bekam er die Mahnung, zu fliehen, so er nicht mit allen anderen zugrunde gehen wolle. Und Lot floh und ward gerettet; denn am selben Tage geschah der alles verheerende Ausbruch, und das große Sodom und Gomorra ging an der Stelle unter, wo nun das Tote Meer sein oft noch arges Wesen treibt und noch gar lange treiben wird.

22] Und seht nun, um nicht vieles besser stand es zu Josuas Zeiten mit dem alten Jericho, allwo - sage - eine Hure noch die reinste Seele hatte, darum sie auch erhalten ward, weil sie die Boten, die von Josua in die Stadt gesandt worden waren, angehört, ihre Worte beherzigt und sie in den Schutz genommen hatte!

23] Josua, als ein reiner, vom Geiste Gottes erfüllter Mensch, so wie das auch seine Priester waren, hatte den inneren, zerstörenden Ausbruch jener Stätte wohl verhüten können und hatte die argen Naturgeister mehr und mehr von dieser Stätte für immer gebannt und ihnen den Tätigkeitsraum unter dem Wassergrunde des Toten Meeres angewiesen; aber dessenungeachtet mußte er den Menschen eindringlichst verbieten, auf jener gefährlichen Stätte je mehr wieder eine Stadt zu erbauen, was bis auf diesen Tag denn auch beachtet wurde und noch fernerhin beachtet werden wird.

24] Und so habe Ich euch nun denn auch den Grund gezeigt, warum Josua so feierlichst geboten hatte, auf jener Stätte nie mehr wieder eine Stadt - sage, unter was immer für Namen - zu erbauen. Diese Stätte aber, wo nun dies Jericho steht, ist keine böse, obschon in der Nähe der alten, bösen Stätte sich befindend, und so hat da auch eine kleine Stadt erbaut werden können; der Name hat da gar nichts zu bedeuten.«



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