Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 177. Kapitel: Merkwürdige Erscheinung auf der Insel Pathmos.

01] Sagte Ich: »Mein Freund, dein Fleisch hat dir das nicht geoffenbart! Aber nun vorderhand nichts mehr davon; wir werden später schon wieder darauf kommen! Nun aber erzähle uns du, Kado, eine Begebenheit, die dir vor zwei Jahren auf Patmos begegnet ist!«

02] Als Ich das zu Kado gesagt hatte, da sagte er darauf: »Lieber Heiland, Herr und Meister, das, was mir auf Patmos, und zwar namentlich auf unserer großen Besitzung, begegnet ist, und das dreimal nacheinander, ist allerdings an sich recht denkwürdig und beachtenswert; doch ein jedes Wort aus Deinem Munde ist noch ums Unaussprechliche denkwürdiger und beachtenswerter als tausend derlei noch so gut und wahr erzählte Erlebnisse, wie da ist das meine. So ich die Sache etwas umständlich erzähle, nehme ich Dir die Zeit, in der Du gar manches Belebende an uns hättest gnädigst können ergehen lassen!«

03] Sagte Ich: »Die Hauptsache habe Ich euch schon gesagt, und zu noch so manchem andern wird sich auch noch die Zeit finden; denn wir haben fünf Stunden Zeit, bis wir für unsere Glieder eine Ruhe zu nehmen nötig haben. Und so denn kannst du uns schon dein Erlebnis ganz offen und umständlich erzählen, denn Ich weiß, daß du ein guter Redner bist.«

04] Sagte Kado: »Weil Du, o Herr und Meister, es haben willst, so sei es denn in Deinem Namen! Um diese Sache allen Anwesenden anschaulicher und begreiflicher darzustellen, wird es nötig sein, auch die Örtlichkeit, wo mir das Sonderbare begegnet ist, ein wenig näher ersichtlich zu machen, da es hier unter den Anwesenden denn doch mehrere geben dürfte, die sich von dieser Insel, die sich zum größten Teile bis jetzt noch in unserem Besitz befindet, keine Vorstellung machen können. Und so denn nun zur Sache!

05] Die in Rede stehende Insel gehört zwar zu den kleinen, aber sie ist doch groß genug, um mehrere Hunderte von tätigen Menschen recht gut und wohl zu ernähren. Diese Insel ist wohl gleich vielen andern griechischen Inseln gebirgig, aber sie ist fruchtbar, wo sie gut bearbeitet wird. Der Wein ist gut, so auch die Feigen. Datteln und noch eine Menge anderer Baumfrüchte. Mit dem Ackerbau und mit der Viehzucht sieht es nicht so gut aus; aber dafür ist um die ganze Insel der Fischfang ein sehr reicher zu nennen. Das wäre nun so ein allgemeiner Überblick von der Insel Patmos.

06] Unsere Hauptbesitzung auf dieser Insel aber befindet sich südöstlich. Sie stellt ein kleines Dorf vor, das ganz am Meere, das allda eine kleine Einbuchtung hat, erbaut ist. Hinter dem Dorfe landeinwärts erhebt sich ein nicht hohes und nicht steiles Gebirge, das zumeist mit Reben und Ölbäumen wohl bepflanzt ist; östlich aber erhebt es sich etwas, und da, wo es ganz an das Meer stößt, ist es am höchsten und füllt dann ziemlich steil bis zum Meere ab.

07] Auf dieser Höhe befindet sich ein alter und noch überaus fest erbauter Turm, den wir, da er auch unser Eigentum ist, teils zu einer recht angenehmen Wohnung und seine unterirdischen, sehr geräumigen Katakomben in einen Weinkeller umgestaltet haben.

08] Der Turm soll von den Phöniziern erbaut worden sein. Wozu sie ihn benutzen mochten, wäre wohl etwas schwer zu erraten, da er seiner Gestalt auch entweder ein Leuchtturm, wie auch ein Tempel, oder am Ende auch eine Art Gefängnis für Verbrecher und ebensogut auch ein Verwahrer und Behälter von geraubten Gütern aller Art sein konnte. Kurz, das gehört nun schon einer grauen Vorzeit an, und es lohnte sich kaum der Mühe, die Ursache zu ermitteln, aus welcher die Phönizier einst etwa unseren Turm mochten erbaut haben.

09] Nun aber gewährt er durch seine neue Einrichtung, wie schon gesagt, erstens eine herrliche Aussicht in die weite Ferne über Land und Meer und dient darum zur angenehmsten Wohnung und zweitens zur Aufbewahrung von Weinen und auch anderen Früchten. Und auf dem höchsten Punkte ist von Erz eine große Leuchtpfanne errichtet, die in finsteren und stürmischen Nächten mit Pech und Naphtha angefüllt und angezündet wird, damit bedrängte Schiffer es schon von ferne merken können, nach welcher Richtung sie zu steuern haben, um eine sichere und von den Stürmen beinahe nie heimgesuchte Bucht erreichen zu können. - Das wäre nun eine nötige Ortsbeschreibung, und ich kann denn jetzt auch schon mit der Erzählung des von mir erlebten seltsamen Ereignisses beginnen.

10] Vor zwei Jahren, so ungefähr in dieser Jahreszeit, befand ich mich mit meiner Familie und mehreren Dienern am beschriebenen Orte und hatte eben auch den größten und besten Teil der guten Ernte unters Dach gebracht. Und wie es nach getaner Arbeit stets gut ruhen ist, so ruhten wir denn auch an einem schönen Abende auf dem geräumigen Söller unseres Turmhauses und betrachteten von da das Meer mit seinem Wogenspiel, die Fischerboote, die sich auf dem Meere herumtummelten, von denen einige auch mit ihrem Fange rüstig dem Ufer zuruderten, und so gab es da bei der untergehenden Sonne noch so manches Seltene zu betrachten, was unser Meer stets reichlich produziert.

11] So saßen wir ganz fröhlich so lange beisammen, bis die Nacht sich vollends über das Meer und übers Land gelagert hatte mit ihrem Sternengewande. Das Meer ward denn auch so völlig ruhig, daß wir weit die Sterne aus seinem ruhigen Spiegel beinahe ebenso rein widerstrahlend ersahen, als wie sie am hohen und weiten Firmamente zu sehen waren. Meine Familie begab sich nun, da es etwas kühl zu werden begann, ins Haus; ich selbst aber verweilte mit ein paar Dienern noch auf dem Söller und besprach mich mit ihnen über so manche Geschäfte und Arbeiten, die uns der kommende Tag bieten werde.

12] Als ich noch so im Gespräche mich befand, dabei aber mit den Augen dennoch auf der weiten und ruhigen Fläche des Meeres herumschweifte, ob nicht hier oder da etwas zu entdecken wäre, dem man eine größere Aufmerksamkeit widmen könnte, da ersah ich von Osten her ein schneeweißes Wölkchen schnell sich unserer Insel zuziehen. Und je näher es kam, desto heller und größer wurde es denn auch. Ganz nahe an der Insel aber ward es so hell, daß von seinem Lichte das Meer weit- und breithin so stark erleuchtet war, daß man alles um vieles genauer hat ausnehmen können als im Vollichte des Mondes.

13] Als das besagte Wölkchen die Insel vollends erreicht hatte, da erhob es sich plötzlich bis zur gleichen Höhe unseres Turmhauses. Es war zur Zeit des Sicherhebens aber von unserem Turmhause in gerader Richtung dennoch so weit entfernt, daß man eine Stunde Zeit zu gehen gehabt hätte, bis man die Stelle erreicht hätte, über der das leuchtende Wölkchen, nun ruhig schwebend und stille stehend, sich befand.

14] Es stand aber das Wölkchen nur eine ganz kurze Zeit ruhig; dann aber fing es an, sich abermals und gerade auf unser Turmhaus los zu bewegen, was auf mich und meine beiden Diener einen eben nicht angenehmen Eindruck machte, und wir fanden es für geraten, uns so schnell als möglich ins Haus zu flüchten und abzuwarten, was aus dieser Erscheinung am Ende alles noch werden würde.

15] Wir hatten aber kaum noch das große Zimmer erreicht, so war das Wölkchen auch schon am Turmhause und verbreitete durch sein starkes Leuchten beinahe eine volle Tageshelle im ganzen Hause, das es nach allen Seiten hin ganz eingehüllt hatte. Wir waren unser viele im Hause und waren auch lauter mutige und sehr beherzte Leute, und es getraute sich doch niemand ins Freie hinaus, um zu erforschen, was etwa doch am Wölkchen von einer gar so seltsamen Art verborgen sein möchte. Ja, es hatte uns die Neugierde und hier besonders meine Wißbegierde angetrieben, hinauszugehen, um zu erforschen, wie weit sich das Wölkchen übers Haus hinaus ausgebreitet hatte, und dennoch konnten wir nicht insoweit unserer Furcht Meister werden, daß wir unserer Neu- und Wißbegierde hätten Genüge tun können.

16] Das seltsame Wölkchen aber blieb nun unverändert um unser Haus und wich weder nach links noch nach rechts, und es ward uns sehr bange, so daß wir uns nicht getrauten, das bereitete Abendmahl zu verzehren.

17] Ein alter und treuer Diener meines Hauses, der mit dem Meere und seinen mannigfachen Erscheinungen sehr vertraut war, sagte nach längerem Nachdenken: »Mir fällt nun etwas ein! Es hat mir ein Schiffer aus Palästina, der hier anhielt und Wein und Süßwasser auf sein Schiff nahm, vor einem Jahre erzählt, daß es nun im Judenreiche das Ansehen habe, als wollte der alte Gott Zeus mit allen andern Göttern den Olymp verlassen und daselbst irgend seine Residenz errichten.

18] Er, Schiffer, selbst habe in einem Orte dieses Reiches Menschen gesehen und sie auch beobachtet -: was diese nur wollen und aussprechen, das geschieht dann auch augenblicklich. Allerlei böseste Krankheiten heilen sie durchs Wort allein, Blinde werden sehend, Taube hörend, Lahme und Krüppel und Gichtbrüchige, jung und alt, werden gerade und springen herum wie Hirsche und Gazellen, und sogar den Verstorbenen wird ein neues Leben gegeben. Nebst dem aber werden noch Tausende von andern nie erhörten Wundertaten verrichtet bloß durch den Willen und durchs Wort dieser Gottmenschen.

19] Wer anderes als nur die hohen Götter können diese Menschen wohl sein?! Die Erdenmenschen haben in unserer Zeit allen Glauben an die Götter verloren, und der vornehme Teil hat sich schon seit lange her den verschiedenen Philosophen und Weltweisen in die Arme geworfen und das ganze Götterwesen zu einer leeren Fabel gemacht, die kaum für den gemeinen Pöbel mehr taugt; aber die hohen Götter haben sich etwa nun der blinden und glaubenslosen Menschen von neuem wieder einmal erbarmt, sind nun im noch gläubigsten Reiche der Juden in Menschengestalten auf diese Erde herabgestiegen, um ihnen zu zeigen, daß sie als die Ewigen fortbestehen, trotzdem sie nun schon von einer zahllosen Menge der weltweisen Atheisten vollkommen geleugnet werden. Gar viele Griechen und Römer reisen nun dahin und überzeugen sich selbst von dieser wunderbaren Wahrheit.

20] Nun - sprach mein alter, treuer Diener weiter -, kann es nicht sein, daß die nun im Judenreiche residierenden Götter in diesem Lichtwölkchen uns, die wir doch noch einigen alten Glauben haben und ihn auch noch nach Möglichkeit pflegen, irgendeinen Genius zugesandt haben, um dadurch auch uns ein Zeichen von ihrem Dasein auf dieser Erde zu geben? Das ist nun so meine Meinung und kann auch aus dem Umstande schon auch gleich als eine volle Wahrheit angesehen werden, weil mir die Erzählung des erwähnten Schiffers seit einem Jahre nun zum ersten Male eingefallen ist, da ich sonst wohl kaum je wieder mich ihrer erinnert hätte. Dies Wölkchen hat offenbar meine Erinnerung geweckt.«

21] Als mein Diener dies beendet hatte, da bekamen wir Mut und gingen hinaus, um unser Wölkchen zu betrachten. Als wir aber noch kaum das Freie erreicht hatten, da erhob sich auch schon das Wölkchen und zog sich ebenso schnell dahin wieder zurück, von woher es gekommen war. Wir sahen dem Wölkchen so lange nach, bis es in weiter Ferne vor unseren Augen gänzlich verschwand. Wir gingen darauf merkwürdigermaßen (nachdenklich gestimmt) wieder ins Haus, verzehrten ganz wohlgemut unser Mahl und begaben uns darauf bald zur Ruhe.«



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