Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 8


Kapitelinhalt 65. Kapitel: Die Heuchelei der Schriftgelehrten.

01] Als der Schriftgelehrte und seine Gefährten solches von Mir vernommen hatten, konnten sie nichts mehr finden, das sie Mir hätten einwenden können.

02] Aber der Schriftgelehrte besann sich und sagte zu Mir: »Meister, ich erkenne es ja, daß du ein wahrhaftiger und weiser Lehrer bist, lehrest das Wort Gottes recht und achtest weder das Ansehen einer Person, noch das eines Volkes. Also wissen wir auch, was in den Propheten von der Ankunft des Messias geschrieben steht, und wir sind auch bei uns schon halbwegs des Glaubens, daß du der verheißene Messias sein kannst; denn wir haben vieles von deinen Lehren und Taten gehört und manches auch selbst erlebt, da wir dich als einen merkwürdigen Nazaräer schon über zehn Jahre lang kennen und schon damals von dir manches Unbegreifliche erlebt haben, wie zum Beispiel wunderbar schnell hergestellte Bauten, Krankenheilungen, reiche Fischereien und sogar eine unbezweifelte Erweckung eines Menschen, der durch einen gewaltigen Fall ums Leben kam. Solches und noch anderes mehr erfuhren wir von deinem geheimen Wirken, obschon du selbst wie auch dein Vater Joseph das unter den Menschen nicht wolltet ruchbar werden lassen.

03] Aber damals war nie auch nur im entferntesten von dir irgend zu vernehmen, daß du ein Prophet seist und noch weniger der verheißene große Messias der Juden und aller Menschen der Erde. Erst seit etwa kaum zwei Jahren und etlichen Monden darüber ist es allenthalben laut und offenkundig von dir geworden, daß du im Volke aufgestanden bist und von dir durch Worte und Taten zeugest, daß eben du der verheißene Messias seist.

04] Wir sind denn auch nicht hierhergekommen, um von dir irgendein Wunderzeichen zu verlangen, sondern nur, daß wir hörten deines Mundes Rede; denn daheim warst du alles eher denn ein Redner, und das also, daß selbst dein wohlberedter Vater Joseph uns darüber seine Not klagte, als fürchtete er sich, daß du mit der Zeit noch ganz stumm und blöde werden könntest, weil von dir oft wochenlang kein Wort herauszubringen war. Und nun bist du ein Volkslehrer geworden, vor dem man, wie vor jedem großen Propheten, die allergrößte Hochachtung haben muß.

05] Daß du als der uns schon lange wohlbekannte Sohn des Zimmermanns Joseph gar der Messias selbst seist, ja, das konnten wir denn trotz all dem, was wir über dich vernommen haben, denn doch nicht gleich so unbedingt völlig glauben. Und so wir nun von Bethlehem und von noch weiter hierher gekommen sind, angeregt durch deine zu uns gekommenen Jünger, um uns von dieser höchst wichtigen Sache selbst näher zu überzeugen, so kannst du uns darob ja doch nicht gram werden; denn so du vom höchsten Weisheitsgeiste nach der Aussage deiner Jünger und nun auch nach deiner eigenen durchdrungen und erfüllt bist, so wirst du es ja doch einsehen, daß uns keine böse Absicht zu dir hierher geleitet hat.

06] Heißt es ja schon in den alten Sprüchen der Weisheit, daß man alles wohl prüfen und dann annehmen und behalten solle das Gute! So wir als Menschen das nun auch an dir tun, so sind wir deshalb ja doch noch als keine vor dir verdammlichen Sünder anzusehen! Du hast doch den Jüngern, die ehedem ganz ungelehrte Leute waren, ein solches inneres Licht erteilt, demzufolge sie dich als den verheißenen Messias alsbald erkennen mochten; warum enthältst du denn uns solch ein Licht vor? Müssen denn wir darum, weil wir in der Annahme des Glaubens an dich etwas bedenklicher sind, von dir zur ewigen Finsternis verurteilt sein? Siehe, du hast uns ehedem ein gar gutes Geschichtchen über das, wer unser Nächster sei, gegeben! Wir aber sind auch arm am Lichte, und es täte uns da auch ein barmherziger Samariter noch um vieles mehr not, als jener vor Jericho dem halberschlagenen Menschen not tat; aber in dir scheint er sich für uns eben noch nicht vorfinden zu wollen. Was sagst du, weisester Meister, nun dazu?«

07] Sagte Ich: »So deine Mundrede auch die deines Herzens wäre, so hättet ihr zur Heilung eurer zerschlagenen Seelen auch mehr denn einen barmherzigsten Samariter gefunden! Aber solange ihr in euren Herzen ganz anders fühlet, als was da aussprechen eure glatten Zungen, so lange auch werdet ihr an Mir den vermeinten barmherzigen Samariter nicht finden. Ich aber habe euch dennoch dadurch Meine Barmherzigkeit bezeigt, daß Ich euch eben das sagte, was Ich euch gesagt habe! So ihr es beherzigen wollt, wozu Ich euch niemals nötigen werde, so wird es auch in euch licht und helle werden.

08] Daß ihr Mich als des Zimmermanns Sohn nach eurem blinden Urteil wohl kennt, das weiß Ich wohl; aber ihr habt selbst eingestanden, daß ihr von Mir zuweilen vernommen habt, daß Ich Taten verrichtet habe, die keinem Menschen möglich wären. So hättet ihr doch in der Schrift nachschlagen können, und ihr hättet darin schon mit leichter Mühe gefunden, Wer Sich hinter dem Zimmermannssohne verborgen aufhält, wie das in jener Zeit sogar viele Heiden gefunden haben. Aber das tatet ihr niemals, und seid ihr von einem Menschen besseren und helleren Lichtes bei guten Gelegenheiten darauf aufmerksam gemacht worden, so dachtet ihr nicht nur nie darüber weiter nach, sondern bedrohtet einen jeden, der solch eine Meinung hegte, und hieltet Mich teilweise für einen Besessenen und, so es gut ging, teilweise auch für einen talentierten Magier, der seine geheime Kunst dort oder da bei guter Gelegenheit erlernt hat, um sich in der Folge damit etwa große Schätze bei den Heiden zu erwerben.

09] Als ihr aber nun von Mir wieder Kunde erhieltet, da sagtet ihr in eurem bösen Rate wider Mich: "Ah, nun ist uns von dem Menschen alles klar! Sein Vater Joseph soll in gerader Linie von David abstammen?! Der Alte hat in seinem Sohne Talente verspürt und hat ihn irgend geheim in aller Zauberei unterrichten lassen, die bei den Heiden als etwas Götterhaftes angesehen wird. Er hat sich dadurch schon viele große Heiden zu Freunden gemacht; und weil diese unsere Feinde sind, so hat er die Idee gefaßt, in seinem Zauberer von einem Sohne sich durch ihre Gunst auf den Thron Davids emporzuschwingen und uns als die Feinde der Heiden dann mit einem Schlag zu stürzen und mit der Essäer Hilfe zugrunde zu richten, die auch bei den Römern im großen Ansehen stehen. Dem aber muß um jeden Preis vorgebeugt werden, dadurch, daß wir ihn bei einer günstigen Gelegenheit aufgreifen und ihm das Leben nehmen, wonach es dann mit ihm sicher für immer gar sein wird. Denn ist er nur ein böser Zauberer und will uns zugrunde richten, dann ist es wohl recht, daß wir ihn lange eher zugrunde richten, als er uns irgend wird zu schaden imstande sein; und sollte er im Ernste der Christ sein, so werden wir ihm nichts anhaben können und könnten dann hinterdrein noch früh genug glauben, daß er der Christ sei, und er wird es uns nicht zum Übel anrechnen können, so wir an ihm alles eher versuchen mußten, bis wir ihn als den verheißenen Christ annahmen, und er wird uns dann erst noch als Eiferer für die Wahrheit obendrauf loben und hoch belohnen müssen."

10] Seht, also denkt ihr im Herzen, wie auch der ganze Tempel in Jerusalem ebenalso denkt, und nicht einer von euch hat auch nur von ferne den Wunsch, daß Ich etwa doch der Christ sein möchte, sondern nur, daß Ich als ein von euch Erwürgter für ewig tot bleiben solle!

11] So aber bei euch das der Lieblingswunsch ist und kein anderer, welchen Wunsch sollte dann Ich der Wahrheit gemäß für euch in Meinem Herzen tragen? Seid ihr bei solch eurem Wunsche und Willen gegen Mich wohl noch Meiner Erbarmung wert? Urteilt darüber selbst! Ich aber bin endlos besser denn der Beste von euch und erweise euch dennoch diese große Barmherzigkeit dadurch, daß Ich es euch nun offen sage, wie ihr inwendig beschaffen seid, auf daß ihr euch erkennen mögt und eines ganz andern Sinnes werdet; denn noch wäre das bei euch möglich! Aber welche Barmherzigkeit erweist ihr Mir dafür? Oder redet nun offen, ob Ich euch nun etwas anderes als eben nur die reine Wahrheit ins Gesicht gesagt habe!«

12] Hier machten alle große Augen, und keiner hatte den Mut, Mir zu widersprechen.



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