Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 216. Kapitel: Kritik eines Römers über die irdischen Zustände.

01] (Der Herr:) »Sagte hierauf Joseph: "Oh, da werde ich dir gleich einen Stoff angeben, und der wird ihn schon wieder anziehen! Hört, was habt denn ihr, die ihr doch in so manche Geheimnisse eingeweiht seid, für einen Begriff von der Erschaffung eines ersten Menschenpaares auf dieser Erde?"

02] Sagte hierauf der hohe Ratsherr: "Freund, was das anbelangt, so besteht über nichts in der Welt so viel Rätselhaftes als eben über diesen höchst fraglichen Punkt! Darüber etwas Bestimmtes und Sicheres zu sagen, ist und bleibt für uns Menschen unmöglich, und je mehr man darüber bei allen bekannten Völkern der Erde forschen mag, in ein desto größeres Labyrinth von Ungewißheiten gerät man. Wer sich so recht fest dem blinden Glauben an die eine oder die andere Volkssage in die Arme geworfen hat, ist da nahe noch immer am besten daran. Wo man zur Wahrheit nicht gelangen kann, da sehe man sich nach einer recht lebhaften Phantasie um, und man befindet sich in solch einem recht lebhaften Traume zumeist um vieles glücklicher als beim ewigen Suchen nach einer Wahrheit, die wahrlich nimmer zu finden ist!

03] Die Perser haben eine andere Sage als die Indier und ihr Juden, die Skythen wieder eine andere, wir Römer und Griechen eine andere, also auch die Hinterägypter, und die mir bekannten Germanen wieder eine ganz andere! Ah, es wäre da zu viel zu reden, und man stünde am Ende doch noch am alten Flecke.

04] Ich bin darum der Meinung, dieses allerunfruchtbarste Thema ganz fallen zu lassen; denn da kommen wir ebensowenig jemals ins klare wie die Astronomen über die Wesenheit der Gestirne am Firmamente.

05] Ich meine da also: Gibt es nach dem Abfalle des Leibes wirklich irgendein höheres und vollkommeneres Leben, so werden wir im selben auch sicher tiefere Wahrheiten begreifen; und sollte es nach dem Leibestode auch mit dem Leben der Seele aus und gar sein, so haben wir wahrlich nichts verloren, so wir nicht gar zu weise geworden sind. Siehe, Freund, so denken wir vielerfahrenen und besseren Römer!

06] Es ist auch eine schwere Sache, zu beweisen, daß des Menschen Seele nach dem Tode fortlebt, aber noch immer leichter, als mit einer Bestimmtheit darzutun, ob, wie oder wann entweder ein Menschenpaar oder wohl auch mehrere Menschenpaare in einer gleichen oder zu sehr verschiedenen Zeiten auf diese Erde gesetzt worden sind. Das kann nur ein Gott wissen, aber nimmer ein kurzsichtiger und auch viel zu kurzlebiger Mensch; denn wenn er aus seinen vielen Erfahrungen vielleicht eben zu den Anschauungen tieferer Wahrheiten gelangen könnte, dann muß er schon von der Welt abfahren! Weil ich das nur zu gut kenne, so liegt mir an derlei Dingen und Forschungen auch wahrlich nichts mehr! Kurz und gut, die ganze Lebenseinrichtung auf der Erde ist und bleibt für denkende Menschen schlecht.

07] Sollen wir auch zur Kindschaft Gottes berufen sein, so kann dieselbe sicher nur von einem geringsten Teile der Menschen erreicht werden! Warum denn nicht von allen? Warum müssen denn gut nahe ein Dritteil Menschen schon eher als noch unmündige Kinder sterben? Was können diese von Gott und ihrer einstigen Bestimmung wissen und wie sich durch den rechten Gebrauch ihres freien Willens zur Gottähnlichkeit emporschwingen?

08] Darum sage und behaupte ich: Der blindeste Narr ist um tausend Male glücklicher als der größte Weise, und wir tun hier am vernünftigsten, wenn wir uns hier mit andern Dingen unterhalten als mit solchen unfruchtbarsten Betrachtungen; denn je mehr ein Mensch weiß und versteht, desto klarer wird es ihm, daß er am Ende vollkommen nichts weiß. Und für solch eine höchst langweilige Lebensunterhaltung werde ich mich eben nie zu sehr bedanken. Ich habe geredet!"

09] Sagte hierauf Cyrenius: "Ja, ja, mit unserem ganz natürlichen Verstande die Sache betrachtet, hast du vollkommen recht; aber -"

10] Sagte der Ratsherr: "Aber hin, und aber her! Wo haben wir aber einen andern als nur einen natürlichen Verstand?! Wenn der nicht ausreicht, wo nehmen wir dann irgendeinen übernatürlichen her?! Ein Mensch ist sich doch am allernächsten - und kennt sich nicht; wie sollte er dann erst etwas ihm ferner Stehendes erkennen?! Lasst mich da aus! Des Menschen Natur ist ohne sein Wollen und Wissen entweder ganz verdorben und taugt zu nichts mehr, oder der Mensch ist dazu wie verdammt, über jedes Tier hinaus seine Unvollkommenheit zu fühlen und dadurch so unglücklich als möglich zu sein. Denn ich habe noch nie einen wahrhaft glücklichen Weisen gesehen. Je weiser jemand ist, desto unglücklicher ist er auch am Ende seiner Tage. Sein größter Freund aber ist dann stets der Tod. Wahrlich, eine sonderbare Liebhaberei eines allmächtigen und höchst weisen Gottes: in einem gleichfort erschaffen und gleich darauf wieder zerstören!"«



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