Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 209. Kapitel: Jesu Lehre auf dem Berggipfel.

01] (Der Herr:) »Es war dies ein alter Flecken, auch auf einem ziemlich hohen Berge gelegen, von dessen höchster Spitze man an einem reinen Tage schon das große Meer sehen konnte. Zuoberst des Fleckens standen unseres Griechen auch schon sehr schadhaft gewordene Häuser und Stallungen, die natürlich alle niederzureißen und andere dafür zu erbauen waren.

02] Als Joseph das alles wohl besichtigt hatte, da sagte er zu Mir: »Mein Sohn, wenn wir das natürlichen Weges niederzureißen und dann wieder neu aufzubauen haben, dann haben wir allda weit über ein Jahr zu tun und zu arbeiten!«

03] Sagte Ich: »Laß darum in dir keine Sorge aufkommen! Was Ich sagte, das wird auch geschehen! Doch heute und morgen nicht; aber übermorgen wird alles in der größten Ordnung dastehen.«

04] Fragte nun der Grieche, sagend: »Ich möchte euch heute abend doch ganz gut jüdisch bewirten; aber es geht mir in dieser Hinsicht auch ein wenig schlecht. Mit den Fischen als der Lieblingskost der Juden geht es bei uns auch um kein Haar besser, als es dem Wirte geht, bei dem wir unser Tagesmahl hielten; denn es gibt hier keinen bedeutenden Bach, keinen See, und bis zum Meer ist es wohl noch ein wenig zu weit. Aber Hühner, Eier und Lämmer und Kälber habe ich wohl, desgleichen gesäuertes Brot, Salz und einen guten Wein, den ich selbst in meinen vielen und großen Weinbergen baue. Es kommt nun pur auf euch an, zu wählen, und es soll alles zur rechten Zeit bereitet sein.«

05] Sagte Joseph: »So laß uns ein Lamm bereiten; alles andere wird schon ohnehin recht und in der Ordnung sein!«

06] Sagte der Grieche: »Ganz gut! Es soll meiner vielen Lämmer bestes und fettestes geschlachtet und bereitet werden! - Aber es fragt sich nun, was wir bis zum vollen Abende machen sollen, damit uns die Zeit nicht zu lang wird!«

07] Sagte Ich: »Da gehen wir auf die volle Höhe deines Berges und besehen uns dort diese Gegend, die sehr schön ist, so ein wenig, und es kann sich da noch so manches ereignen, das uns vielen Stoff zum Nachdenken und zum Besprechen bieten kann!«

08] Als ich diesen Wunsch geäußert hatte, waren alle damit vollkommen einverstanden. Wir machten uns auf und waren auch bald auf dem Berge, das heißt, auf dessen höchster Kuppe.

09] Von da ersahen wir bald das große Meer ganz, da es ein gar reiner Sommertag war, und wir waren alle sehr vergnügt über diesen großartig herrlichen Anblick.

10] Und Joseph sagte selbst ganz gerührt: »Oh, ist doch diese Erde als die Erziehungsstätte der Kinder Gottes schon so schön, daß man sich nichts Schöneres und Herrlicheres wünschen kann; wie schön muß dann erst der Himmel sein, den wir nach dem Tode dieses Leibes und nach der Auferstehung am Jüngsten Tage zu erwarten haben! Es liegt zwischen diesem matten Leibesleben und jener herrlichen Auferstehung eine etwa gar lange, leblose, finstere Nacht; aber ich betrachte die Sache also: Wenn jemand eine ganze Nacht im Leibesleben noch durchwachen müßte, wie lang müßte sie ihm vorkommen? Da aber der Mensch die ganze lange Nacht gar süß durchschläft, so kommt sie ihm am Morgen oft noch zu kurz vor. Und so meine ich, daß uns am Tage der Auferstehung die lange Nacht nicht zu lang vorkommen wird. Der liebe Herr hat ja alles allerbestens also eingerichtet, daß es zum Glück und größten Heile jener Menschen gereichen muß, die Seine Gebote halten und mit aller Zuversicht auf Ihn vertrauen.«

11] Darin stimmte auch unser Grieche mit der Meinung des alten Joseph überein, fragte Mich aber doch, was Ich dazu sage.

12] Ich aber sagte: »Ja, ja, das sind wohl recht schöne und weise klingende Worte! Es war das ein recht gutes Bild; nur das einzig Fatale hat es, daß es nicht auch also wahr ist, wie es sich recht schön und erbaulich aussprechen und anhören läßt. So Ich nun aber bei euch bin, - warum fragt ihr denn Mich nicht, wie sich die Sachen mit dem Leben der Seele nach dem Abfalle des Leibes verhalten werden? Ich werde es doch besser wissen als ihr! Ich aber weiß nichts von einer beinahe ewig langen Todesnacht der Seele nach dem Abfalle des Leibes, sondern in dem Augenblick, in dem der schwere Leib von dir abfallen wird, wirst du dich auch schon in der Auferstehung befinden und fortleben und wirken in Ewigkeit, das heißt, wenn du als ein Gerechter vor Gott diese Welt verlassen wirst.

13] Stirbst du aber als ein Ungerechter vor Gott, so wird dann wohl eine sehr lange Nacht zwischen deinem Leibestode und deiner wahren Auferstehung folgen - aber keine dir unbewußte, sondern eine der Seele wohl bewußte -, und das wird der Seele rechter und lange währender Tod sein. Denn ein Tod, um den die Seele nicht wüßte, wäre ihr auch kein Tod; aber der Tod, dessen sie bewußt sein wird im Reiche der unlauteren Geister, wird ihr zur großen Pein und Qual werden. Seht, also stehen die Sachen! Und weil ihr das nun wisset, so denkt und redet ein anderes Mal klarer und wahrer; um was ihr aber nicht wisset, um das fragt Mich, damit ihr durch eure Worte nicht in allerlei Irrwahn verfallet! Das merkt euch alle!«

14] Sagte darauf der Grieche: »Ja, also ist es, und also muß es sein, und anders kann es nicht und nimmer sein! Aber da wir nun schon hier eine wunderherrliche Rundschau genießen und diese offenbar nur unsere lebendige, fühlende und empfindende Seele durch die Augen des Leibes wie durch ein paar Fenster ihres zeitweilig belebten wandelnden Hauses, das wir Leib nennen, selbst schaut, darüber denkt und sich an der Herrlichkeit hoch ergötzt, so fragt es sich, ob die Seele auch nach dem Abfalle des Leibes diese Welt und ihre Schönheit wird schauen und beurteilen können, das heißt, wenn sie sich irgendwo auf dieser Erde Boden befände. - Was kannst du, gottvoller Jüngling, darüber für einen Aufschluß geben?«

15] Sagte Ich: »Des vollkommenen und gerechten Menschen Seele wird nicht nur diese ganze Erde mit einem Blick durch und durch und über und über beschauen und über alles hellst und vollkommenst urteilen können, sondern noch über endlos mehr; denn diese Erde ist nicht die einzige im endlosen Schöpfungsraume, sondern es gibt deren noch gar endlos viele und auch um gar vieles größere im endlos großen Schöpfungsraume und ebenso viele entsprechende im Reiche der reinen Geister.

16] Doch über das kann ein Mensch erst dann eine helle Vorstellung bekommen, wenn er es vom Geiste Gottes im Herzen seiner Seele vernimmt und in ein erweitertes Schauen übergegangen ist.

17] Kurz und gut, die vollkommene Seele kann alles; nur die unvollkommene, die geistig blind ist, die wird nichts anderes sehen können als die leeren und wesenlosen Ausgeburten ihrer eitlen Einbildung. Wenn aber dann eine Seele auch im andern, leiblosen Leben in sich gehen und sich möglicherweise bessern wird, so wird sie dadurch dann auch in ein helleres, wahreres Schauen übergehen, - aber freilich auf einem längeren und um vieles beschwerlicheren Wege (als hier). Und jetzt wisst ihr auch in dieser Hinsicht das Nötigste; glaubt, daß es also und nicht anders ist, und haltet die Gebote, so werdet ihr vollkommen werden in euren Seelen!«

18] Sagte darauf noch der Grieche: »Das glaube ich nun auch ungezweifelt fest und bin überzeugt, daß es also ist; aber uns Griechen fehlt es noch an einer richtigen und wahren Vorstellung von der Gestalt und Form einer Seele. Möchtest du uns nicht auch noch darüber einen Wink geben?«

19] Sagte Ich: »O ja, was euch frommt, das tue Ich stets gerne! Siehe, die Seele hat dieselbe Gestalt und Form wie ihr Leib, aber nur in durchaus vollkommenerem Maße. Doch ist hier nur von einer vollkommenen Seele die Rede. Sie hat alles, was ihr Leib hatte, aber natürlich und von selbst verständlich zu anders gestalteten Zwecken. Aber ihr geistiger Leib ist nicht Materie, sondern pure Substanz.

20] Die Substanz aber ist gleich dem aus der Sonne gehenden Lichte, das gegenüber der Materie wie gar nichts zu sein scheint und dennoch der Grundstoff der Materie ist, ohne mit ihr ein und dasselbe zu sein; denn aller Urstoff ist frei und ungebunden. Und so wisst ihr nun auch um das.

21] Damit ihr euch aber davon noch einen klareren Begriff machen mögt, so mache Ich euch nur darauf aufmerksam, daß ihr euch zurückerinnert an Erscheinungen verstorbener Menschen die ihr schon auf Momente zu öfteren Malen gesehen und sogar gesprochen habt. Haben sie ein anderes Aussehen gehabt, als sie bei ihren Leibeslebzeiten hatten?«

22] Sagte der Grieche: »Ja, ja, jetzt erkenne ich erst völlig, daß du in allem die volle Wahrheit geredet hast! Ich habe schon zu gar vielen Malen derlei Erscheinungen gehabt, habe mit mehreren Verstorbenen sogar gesprochen und bin von ihnen über manches sogar belehrt worden, und ich habe sie nie anders gesehen denn in der vollkommenen Menschengestalt. Ich danke dir darum für diese Belehrung.«

23] Auch Joseph und Jakobus gaben Mir dasselbe Zeugnis, wie das derselbe Jakobus nun hier als Mein Jünger bezeugen kann.

24] Als aber während dieser Meiner Belehrungen die Sonne untergegangen war, verließen wir alle froh und heiter die schöne Höhe und begaben uns ins Haus des Griechen, allwo schon ein wohlbereitetes Abendmahl auf uns wartete, das wir denn auch mit einer rechten Lust verzehrten und uns sodann gleich zur Ruhe begaben, deren besonders Joseph schon sehr bedurfte.«



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 7  |   Werke Lorbers