Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 205. Kapitel: Joseph verweigert einem Griechen seine Dienste.

01] Nach etwa einer Stunde wurden durch den Wein die Zungen sehr gelöst, und es wurde bald ganz lebendig im Saale.

02] Ich Selbst erzählte den Gästen so manches aus Meiner Jugendzeit, worüber sich alle Anwesenden in hohem Grade ergötzten. Die anwesenden bekehrten Pharisäer und Schriftgelehrten bestätigten das alles, und einer erzählte sogar kurz gefaßt von der Begebenheit im Tempel, als Ich mit zwölf Jahren Alters im Tempel alle die Hohenpriester, Ältesten, Schriftgelehrten und Pharisäer mit Meiner Weisheit ins größte Erstaunen gesetzt hatte, und fügte noch die Bemerkung hinzu, daß schon in jener Zeit stark die Meinung sogar im Tempel sich einige Jahre hindurch erhielt, daß Ich möglicherweise etwa doch der verheißene Messias sei. Aber man habe darauf von Mir nichts mehr gehört und meinte, daß Ich als ein geistig zu früh geweckter Knabe entweder gestorben sei, oder daß die Essäer Mich irgend kennengelernt und in ihre Schulen genommen haben, natürlich infolge Übereinkunft mit Meinen irdischen Eltern. Und so sei diese Sache beim Tempel dann nach und nach völlig eingeschlafen und erst in dieser jüngsten Zeit durch Mein öffentliches Auftreten wieder wachgerufen worden.

03] Als die Pharisäer solche ihre Erzählung beendet hatten, da erzählten auch Johannes, Jakobus und auch die andern Jünger so manches aus Meiner Jugendzeit, und Jakobus gab sogar die wunderbare Art der Schwangerwerdung Mariens, Meine Geburt und Flucht nach Ägypten und Meinen dreijährigen Aufenthalt daselbst, wie auch das meiste, was sich dort alles zugetragen hatte, zum besten, worüber alle höchlichst erstaunten. Viele beneideten nun Jakobus um das Glück, daß er gleichfort um Mich hatte sein können.

04] Hierauf aber sagte dann auch Lazarus: »Herr und Meister, es freut mich nun zwar unbeschreibbar, mich Deinen Freund von meinem ganzen Herzen nennen zu dürfen; aber noch seliger wäre ich als Jakobus, der Dich ordentlich aus den geöffneten Himmeln zur Erde herab hat kommen sehen und stets an Deiner Seite war. Wenn ich doch auch Jakobus gewesen wäre!«

05] Sagte Ich: »Jakobus ist allerdings ein völlig glücklicher Mensch und ist auch von den Engeln des Himmels selbst oft beneidet worden, freilich aber nur in einem höchst edlen Sinne; aber er hat darum dennoch keinen Vorzug vor einem andern Menschen. Sein Wert liegt auch nur einzig und allein darin, daß er Mein Wort hört, glaubt und aus Liebe zu Mir danach handelt; wer aber das tut, der hat ganz denselben Vorzug, wie ihn da hat dieser Mein lieber Bruder Jakobus.

06] Hört aber nun eine seltene Begebenheit aus der Zeit nach Meinem zwölften Jahre, in der man von Mir eben nichts Besonderes vernommen hat!

07] Ich habe sonst Meinem Nährvater Joseph als ein Zimmermann stets fleißig und unverdrossen arbeiten helfen, und wo Ich mitarbeitete, da ging die Arbeit auch allzeit gut und ausgezeichnet vonstatten.

08] Einst aber kam auch ein Grieche, der ein Heide war, zu Joseph und wollte mit ihm wegen des Baues eines ganz neuen Hauses und eines großen Schweinestalls einen gar vorteilhaften Akkord (Vereinbarung) machen.

09]Joseph aber war ein reiner und strenger Jude und sagte zum reichen Griechen: »Siehe, wir haben ein Gesetz, das uns verbietet, mit Heiden umzugehen und ihnen irgendwie Dienste zu erweisen! Wirst du ein Jude, so könnte ich mit dir leicht handelseins werden; da du aber ein finsterer Heide bist, so kann ich um alle Schätze der Welt deinem Verlangen nicht nachkommen und einen Schweinestall aber schon gar nie und nimmer in Arbeit nehmen, und wärest du auch ein Jude!«

10] Da sagte der Heide ganz aufgeregt zu Joseph: »Siehe, du bist doch ein sonderbarer Mann! Ich bin freilich wohl ein Grieche, aber ich selbst und mein ganzes Haus haben unsere vielen Götter schon lange über Bord ins Meer geworfen und glauben nun an eben den Gott, an den du glaubst, und haben von Ihm auch schon so manche unverkennbaren Gnaden empfangen. Daß wir aber die Beschneidung nicht annehmen, hat seinen Grund darin, daß wir nicht eurem unersättlichen Tempel untertan sein wollen, sondern allein dem Gott und Herrn, der nun nirgends mehr entheiligt und verunehrt wird als eben in eurem Tempel, dessen schnöde Einrichtung wir Heiden besser kennen als ihr durch euren Tempel schon ganz verdummten Juden. So aber euer allein wahrer Gott auch über uns Heiden Seine Sonne scheinen läßt, warum wollt denn ihr uns verachten?«

11] Da sagte Joseph: »Du irrst dich, so du meinst, daß wir Juden euch verachten; aber wir haben ein Gebot von Moses, das uns den Umgang mit den Heiden untersagt und uns auch verbietet, mit ihnen Handel und Wandel zu treiben. So ein reiner Jude das tut, so verunreinigt er sich auf eine lange Zeit. Und siehe, ich aber bin noch ein Jude, der das ganze Gesetz seit seiner Kindheit strenge beachtet und nun in seinen alten Tagen nicht gegen dasselbe zu handeln anfangen wird!«

12] Sagte der Grieche: »Gut, mein Freund, ich werde dich auch nicht dazu verleiten; denn auch ich bin schon so alt wie du und kenne dich schon länger, als du dir das vorstellen magst. Da du aber mit uns Heiden deines Gesetzes wegen es schon gar so strenge nimmst in dieser Zeit, - warum hast denn du es damals nicht so strenge genommen, als du wegen der Verfolgung von seiten deiner Glaubensgenossen mit deinem jungen Weibe und deinen Kindern zu uns Heiden nach Ägypten geflohen kamst?

13] Siehe, Freund, eure Gesetze sind alle gut und wahr; aber sie müssen auch im Geiste der inneren Wahrheit aufgefaßt und alsdann erst tätig ins Leben übertragen werden! Wer sich nur an den Buchstaben des Gesetzes bindet, der ist dem Reiche der Wahrheit noch ferne. Als du in Ägypten warst, da arbeitetest du wohl auch für uns Heiden, bliebst dabei aber dennoch ein ganz reiner Jude. Warum solltest du nun unrein werden?

14] Damals aber hattest du ein gar wundersames Söhnlein, das wir Heiden seiner wunderbaren Eigenschaften wegen beinahe wie einen Gott verehrten. Was ist aus jenem Kinde geworden? So es nicht irgend gestorben ist, so muß es nun schon ein erwachsener Jüngling sein!«

15] Sagte Joseph nun etwas verlegen, weil er den Griechen nun wohl erkannt hatte: »Ja, höre, du mein Freund! Du hast mir in Ostrazine wahrlich viele Freundschaft erwiesen, und es wäre nun unbillig von mir, so ich deinem Verlangen widerstrebte; aber als ein strenger Jude werde ich mich dennoch zuvor mit dem Ältesten dieser Stadt besprechen und werde dann handeln nach seinem Rate.«

16] Darauf sagte der Grieche: »Aber meines Wissens hast du dir in Ostrazine stets bei deinem Söhnlein Rat geholt, wenn du etwas zu tun dir vornahmst! Wenn jener Sohn noch lebt, so wird er nun sicher noch weiser sein, als er damals war! Fragst du ihn nun nicht mehr, was irgend Rechtens wäre, so er, wie gesagt, noch lebt?«



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