Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 149. Kapitel: Raphaels überzeugendes Wunder.

01] Sagte Raphael: »Geredet hast du wohl ganz gut und recht, und ich kann dir da nichts entgegenstehen, was deine pure Rede, betrifft; aber es ist bei uns vollkommenen Menschen nur das für euch Fatale, daß wir auch eure innersten Gedanken sehen, und diese stimmten mit deinen Worten nicht überein!«

02] Sagte der Pharisäer: »Wie kann das sein? Wie kann man leicht anders reden und anders denken? Ist ja doch das Wort selbst nichts anderes als gewisserart ein verkörperter Gedanke!«

03] Sagte Raphael: »Ja, ja, das sollte er sein; aber bei euch ist er es noch nie gewesen und war es auch diesmal nicht! Wenn dein Wort der laute Ausdruck deiner innersten Gedanken ist, dann ist es Wahrheit; wenn du aber mit dem Munde wohl ein Bekenntnis aussprichst, in deinem Gemüte aber ganz das Gegenteil dir denkst, dann ist dein Wort keine Wahrheit mehr, sondern eine Lüge, die du wohl Menschen deiner Art als eine Wahrheit aufdrängen kannst, aber Menschen unserer Art nicht, - denn wir haben das Vermögen, daß wir auch die Gedanken der Menschen sehen und hören, und da ist's mit der Lüge nichts!

04] Du hast wohl in dem Punkte etwas Wahres gesagt, daß ihr euch beim Hohen Rate, so es sich irgend um die Verfolgung des großen Propheten handeln werde, nicht mehr beteiligen würdet, wie auch das, daß ihr all das angerichtete Böse nimmer gutmachen könntet, doch was ihr noch irgend vermöchtet, auch wieder gutmachen wolltet; aber das alles wollt ihr nur darum tun, weil ihr uns samt dem Propheten für Erzzauberer und nicht für wahre Boten Gottes haltet. Vor uns als vor Erzzauberern aber habt ihr nun eine große Furcht und wollt darum nicht wider uns sein. Ich aber sage es euch, daß wir keine Zauberer, sondern wirkliche Boten Gottes sind; der große Prophet aus Galiläa aber ist eigentlich kein Prophet, sondern Er ist das, was die Propheten von Ihm geweissagt haben!

05] So ihr an Ihn glauben würdet, da könntet ihr auch die Vergebung eurer Sünden erlangen; wenn ihr aber nicht an Ihn glaubt und Seine Lehre nicht annehmt und auch nicht danach handelt, so bleibt eure Sünde in euch und mit ihr auch der ewige Tod. Er allein ist der Herr, wie das alle Propheten von Ihm geweissagt haben, und kann darum auch jedem, der zu Ihm kommt, seine Sünden erlassen; aber als ein von euch geglaubter Hauptzauberer wird Er euch eure vielen Sünden nicht erlassen und vergeben!

06] Daß wir aber keine von euch geglaubten Zauberer sind, das will ich euch sogleich zeigen. Seht mich an, ob ich etwas anderes bei mir habe als nur diesen meinen ganz leichten Faltenrock! Ich aber frage euch nun: Was wollt ihr, das ich nun bloß durch meinen Willen herstellen soll? Aber wählet etwas Gutes, Wahres und somit Vernünftiges!«

07] Hier dachten die beiden Pharisäer nach, was sie wählen sollten, das herzustellen etwa dem vermeinten jungen Zauberer nicht zu leicht möglich wäre.

08] Nach einer Weile sagten sie (die beiden Pharisäer): »Gut, holder Freund, so stelle uns einen mit reicher Frucht versehenen und völlig ausgewachsenen Feigenbaum her und das also, daß er bleibe und jahrelang fortbestehe und Früchte trage! Wir werden aber die Frucht auch sogleich kosten!«

09] Sagte Raphael: »Es steht zwar geschrieben: "Du sollst Gottes Allmacht nicht versuchen, sondern du sollst Gott dienen!"; aber da es sich hier bloß darum handelt, euch den Unterschied zwischen einem Zauberer und einem Menschen, der mit dem Geiste aus Gott wirkt, zu zeigen, so soll euer Verlangen auch alsbald erfüllt werden! Wo wollt ihr, daß der Baum stehe?«

10] Sagte der Pharisäer: »Siehe, dort, wo gegen den Rand des Hügels ein brauner Stein liegt, ebendort kannst du ihn hinstellen!«

11] Sagte Raphael: »Gut denn, so will ich, daß alsogleich ein Feigenbaum nach eurem ausgesprochenen Verlangen an der bezeichneten Stelle stehe! Es sei!«

12] In dem Augenblick stand auch schon der Feigenbaum an der bezeichneten Stelle. Da erschraken die Pharisäer und die Leviten so sehr, daß sie sich vor lauter Angst und Staunen kaum ein Wort zu reden getrauten.

13] Raphael aber sagte zu ihnen: »Nun, der von euch verlangte Baum ist auf seinem Platze, strotzend vollbeladen mit reifer Frucht; geht nun hin und kostet die Feigen, und urteilt, ob sie eine nichtige Zauberei oder eine volle Wahrheit sind!«

14] Darauf sagte ein Pharisäer: »O du allmächtiger Bote Jehovas, das sehen wir nun schon, daß das ewig keine Zauberei, sondern die Macht und Kraft des Geistes Gottes im Menschen ist! Gott möge es uns vergeben, daß wir gegen Seine Allgewalt gefrevelt haben! Wir getrauen uns nicht, die Frucht, die Gottes Allmacht nun gar so wundersam geschaffen hat, zu kosten; denn das hieße Gott noch mehr versuchen!«

15] Sagte Raphael: »Oh, oh, so fromm seid ihr noch lange nicht! Ihr fürchtet nur, daß euch diese Frucht schaden könnte, und ihr getrauet euch nur darum nicht, sie zu kosten! Es sollen aber die anderen Menschen zuvor hingehen und die Früchte kosten; ihr werdet dann ja doch sehen, ob euch die Früchte schaden werden?!«

16] Darauf begaben sich sogleich Nikodemus, Joseph von Arimathia und noch einige zu dem schönen Baume, lösten gleich mehrere Feigen von den Zweigen, verzehrten sie mit großer Lust und lobten sehr den Wohlgeschmack. Da gingen auch die Pharisäer hin und kosteten auch die gar herrlich aussehenden und sehr zum Genusse lockenden Feigen und konnten den Wohlgeschmack nicht genug rühmen.

17] Als sie etliche von den Feigen verzehrt hatten, gingen sie ganz voll Staunen wieder zum Engel hin, betrachteten ihn vom Kopfe bis zum Fuße und sagten nach einer Weile (die Pharisäer): »Bist du, junger Mensch, wirklich auch nur bloß ein Mensch wie wir, oder bist du irgendein höheres Wesen?«

18] Sagte Raphael: »Ja, ich bin nur gar sehr ein Mensch, aber freilich wohl nicht euch gleich; denn ihr seid bisher eigentlich noch keine wahren Menschen, sondern nur halbbelebte Menschenformen, denen aber noch vieles abgeht, bis sie zu vollkommenen Menschen werden. Was wollt ihr noch, daß ich euch zeigen soll?«

19] Sagten die Pharisäer, denen nun doch endlich einmal ein Licht aufgegangen war: »O du lieber, sicher gleich einem Samuel und David vom Geiste Jehovas erfüllter Jüngling, es genügt uns dieses Zeichen! Uns reut es, daß wir das eine Mal Gott versuchten und ein Zeichen von dir verlangten; wir glauben nun schon ganz vollkommen, daß das keine Zauberei, sondern ein reines Gotteswunder ist. Es wäre ein Frevel, so wir, wie gesagt, noch ein weiteres Zeichen von dir verlangten; du selbst aber als ein in aller Gnade Gottes stehender Jüngling kannst nach deinem eigenen Willen tun, was dir gefällig ist.

20] Uns deucht es nun ohnehin, daß du auch der wunderbare Erbauer jener großen Feldsäule bist, die man von hier aus noch recht gut sehen kann. Denn sie ist nicht auf eine natürliche Art und Weise dorthin gekommen, weil man nicht die allergeringste Spur von durch die Aufstellung einer so schweren Säule notwendig bewirkten Boden- und Grasverwüstungen entdecken kann; sie muß also wundersam entstanden sein. Und so es dir durch die Gnade und Kraft Gottes in dir möglich ist, solch einen Baum voll reifer und höchst wohlschmeckender Feigen in einem schnellsten Augenblick zu erschaffen, - warum sollte es dir nicht möglich sein, jene Säule eben auf die gleiche Weise ins Dasein zu rufen?!

21] Denn bei Gott, der die ganze Erde mit allem, was sie trägt und nährt, aus nichts erschaffen hat, muß ja alles möglich sein; in dir aber wirkt auch Gottes Gnade und Macht, und so muß auch dir alles möglich sein. Du darfst nur fest wollen, und es ist schon alles da, was du willst! Davon sind wir nun schon vollkommen überzeugt und bedürfen keines noch andern Zeichens von dir. Aber du hast Weisheit und Macht und kannst darum dennoch tun, was dir wohlgefällig ist.«



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