Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 144. Kapitel: Pharisäer suchen Nikodemus auf.

01] Als sie (die vier Pharisäer) des Nikodemus ansichtig wurden, gingen sie sogleich auf ihn zu und redeten ihn also an: »Da du wußtest, daß wir dich heute nachmittag in einer wichtigen Angelegenheit besuchen würden, so hättest du uns ehrgebührlichermaßen daheim im Hause erwarten können! Doch dieweil wir wohl sehen, daß du eine große Menge fremder Gäste um dich hast, denen du hier offenbar einen frohen Nachmittag bereiten willst, so wollen wir dich denn vor uns auch für entschuldigt halten. Wer sind aber alle die vielen Fremden? Die andern, die von hier, von Jerusalem und von der Umgegend hier sind, die kennen wir wohl; aber wer und woher sind die vielen Fremden? Gibt es heute hier in Emmaus ein Fest, von dem uns nichts angezeigt worden ist?«

02] Sagte Nikodemus: »Es gibt hier hohe Römer, Griechen, Ägypter und Indier, die heute in meiner Herberge angekommen sind, und die ich nun alle auf diesen meinen Lieblingshügel geführt habe, damit sie da an diesem schönen Tage die Aussicht genießen und sich in dieser freien Luft erheitern können. Wollt ihr aber noch ein mehreres wissen, so redet selbst mit ihnen; denn sie sind aller Zungen kundig!«

03] Hier trat Agrikola vor und sagte: »So ihr schon als Spione des Tempels hierher gekommen seid, da liegt es euch auch sicher sehr am Herzen, hier soviel als nur immer möglich Neues und Außerordentliches zu erfahren, und das sollt ihr auch!

04] Seht, ich, der ich hier nun mit euch rede, heiße Agrikola, bin aus Rom und ein erster Diener des Kaisers und bin versehen mit aller Vollmacht! Ich kann nun im Namen des Kaisers alles mögliche anordnen und verfügen, und es muß geschehen, was ich im Namen des Kaisers gebiete. Die, die da hinter uns uns umgeben, sind meine Begleiter und auch mächtige Diener des Kaisers. Meine beiden Freunde hier, Agrippa und Laius, kennt ihr ohnehin. Da hinter der Felsengruppe seht ihr etliche hundert junge Menschen beiderlei Geschlechts; die gehören zu Meiner Leibgarde, und die andern Männer halte ich ebenfalls zu meinem Schutz. Da vorn seht ihr drei Weise aus Indien, deren großes Gefolge in der Nähe der Stadt untergebracht ist; auch diese gehören nun zu mir. Dahier ist ein Jüngling, der mit seinem Willen mehr vermag als alle Mächte der Erde. Und hier gleich neben uns stehen eben dieselben wundermächtigen Oberägypter, von deren Kraft euch gestern mittag die beiden Römer ganz sonderbare Dinge erzählt haben; sie kamen, die beiden Römer hier zu besuchen.

05] Und so wisst ihr nun, unter welcher Gesellschaft ihr euch befindet, und wer und woher wir sind, und was wir vermögen. Wollt ihr aber die merkwürdigen und vollkommenen Menschen selbst näher kennenlernen, so wendet euch an sie selbst; denn denen kann und darf ich nichts gebieten, weil sie selbst völlig Herren sind und alle Macht in ihrem Willen haben. Ich habe nun geredet, und nun kommt die Reihe wieder an euch!«

06] Darauf sahen die beiden Pharisäer nach der Hütte, die zuoberst der Felsengruppe erbaut war, und fragten Nikodemus, wer denn in der Hütte sich befände.

07] Nikodemus aber sagte: »Es steht geschrieben, daß es nicht gut sei wenn der Mensch um gar alles wisse, und so könnt ihr diesen Grundsatz, nun auch bei euch in Anwendung bringen, wenn es euch darum zu tun ist, diese höchsten Römer nicht wider euch zu erbittern; denn soviel ich aus ihren Worten entnommen habe so steht der Tempel eben nicht im besten Ansehen bei ihnen.«

08] Auf diese Antwort fragten die Pharisäer nicht mehr, wer sich etwa in der Hütte befände. Aber sie wandten sich nun an den ersten der sieben Oberägypter und fragten ihn, ob er wohl derselbe Mensch wäre, von dem ihnen gestern die beiden Römer so wunderbare und kaum glaubliche Dinge erzählt hätten.

09] Sagte der Oberägypter mit gar kräftiger Stimme: »Ja! Was wollt ihr von mir, ihr jedes Funkens des göttlichen Geistes bare Verfolger aller jener Menschen, die vom Geiste Gottes erfüllt waren und den anderen Menschen die Wege der lichten und lebendigen Wahrheit gezeigt haben? Redet, was ihr von mir wollt, das ich euch tun soll!«

10] Diese sehr ernste Sprache des Oberägypters wollte den beiden hohen Pharisäern eben nicht am besten behagen. Sie dachten nun nach, ob es rätlich wäre, ihn um die Wirkung eines Zeichens anzugehen.

11] Nach einer Weile erst sagten sie zum Oberägypter (die Pharisäer): »Lieber Mann, wir haben dich nur bitten wollen, ob es dir nicht genehm wäre, auch hier vor uns ein Zeichen, hervorgehend aus der Macht deines Glaubens und Willens, zu wirken. Denn wenn wir von dir schon so Wunderbares von glaubwürdigen Zeugen vernommen haben und du selbst nun hier zugegen bist, da möchten wir uns denn auch von deiner inneren Macht eine tatsächliche Überzeugung verschaffen. Wirke darum ein Zeichen vor uns!«

12] Sagte der Oberägypter: »Ja, ja, ich werde wohl eins wirken; aber ihr müsst mir zuvor kundgeben, aus welchen wichtigen Gründen - wie ihr selbst das gleich anfangs dem Nikodemus eröffnet habt - ihr mit euren Gehilfen heute hierher gekommen seid, da ihr des morgigen Sabbats wegen doch daheim hättet bleiben sollen, um für den morgigen Tag allerlei Vorbereitungen zu treffen, weil ihr an eurem Sabbat nichts tun dürfet. Sagt mir den wichtigen Grund eurer heutigen Hierherkunft nur ganz klar und wahr heraus, und ich werde euch dann ein Zeichen wirken; aber kommt mir ja mit keiner Lüge! Denn so ihr mir mit einer Lüge kommt, da werde ich euch auch ein Zeichen wirken, - aber nicht zu eurem Heile, sondern zu eurem Verderben!«

13] Sagte darauf der eine Pharisäer: »Ich sehe es schon, daß man mit dir nicht hinterhältig reden kann, und so scheue ich mich auch gar nicht, hier die volle Wahrheit offen auszusprechen.

14] Sieh, in Galiläa, das auch den Juden gehört und unter Jerusalem steht, ist ein Prophet aufgestanden, der wirkt auch allerlei Zeichen und streut eine neue Lehre aus wider den Tempel und wider uns! Er verführt das Volk und wiegelt es gegen uns auf. Ja, wir wissen es, daß er sich für einen Sohn Gottes ausgibt, sich als den verheißenen Messias anpreisen läßt und uns, die wir bei der alten Lehre Mosis sind, allenthalben feindlichst begegnet. Wir aber wissen es nur zu gut, daß er der Sohn eines alten Zimmermanns ist, der samt seinem Weibe ein ganz natürlicher Mensch war. Weil der erwähnte Prophet uns aber allenthalben verfolgt, so ist es hoffentlich auch ganz in der Ordnung, daß auch wir ihn verfolgen und nach ihm fahnden.

15] Wir aber haben durch einige unserer ausgesandten Kundschafter noch in der vergangenen Nacht erfahren, daß er sich mit seinen vielen Jüngern nun noch in der Gegend von Jerusalem herumtreibe und sein uns feindliches Wesen treibe, was uns durchaus nicht gleichgültig sein kann. Man versicherte uns, daß Nikodemus, als unser Amtsgenosse, sichere Kunde von seinem Aufenthalte habe, und wir sind eben darum herausgekommen, um uns darüber mit Nikodemus zu besprechen und zu beraten, wie sich diese Sache verhalte, und was da Rechtens zu machen sei. Das, sieh, ist der ganz wichtige Grund, aus dem wir herausgekommen sind!«

16] Sagte mit sehr ernster Miene der Oberägypter: »Was würdet ihr denn dann mit dem Propheten machen, so er sich von euch irgend fangen ließe?«

17] Sagte der Pharisäer: »Wir würden ihn sofort dem Gerichte überantworten, strenge untersuchen lassen und wider ihn zeugen und ihm bezeigen, welcher Verbrechen er sich gegen uns schuldig gemacht hat. Hat er zu gewaltig gegen uns, gegen den Tempel und gegen die Satzungen verstoßen - wovon wir zum größten Teile schon völlig überzeugt sind -, so müßte er offenbar nach dem Gesetze zum Tode verdammt werden.«



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