Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 132. Kapitel: Jesus und die Bettlerin.

01] In der Nähe von Emmaus kam uns wieder eine Bettlerin entgegen und fing an, ganz jämmerlich zu schreien, daß sie, wie wir sähen, eine höchst arme Witwe und Mutter von zwei Kindern sei, die sie schwer auf ihren Armen, von Ort zu Ort bettelnd, herumtragen müsse, um doch so viel Almosen zu bekommen, um sich und den zwei Kindern nur die allernotdürftigste Nahrung zu verschaffen. Wir möchten sie doch nicht unbeteilt weiterziehen lassen.

02] Sagte Ich zu ihr: »Aber warum schreist du denn gar so unbändig? Wir sind ja nicht taub und können dir auch dann etwas tun, wenn du bescheidener und stiller deine Bitte vorbringst!«

03] Sagte das Weib: »Herr, das habe ich auch getan; aber es sind nun bei den meisten Menschen die Herzen steinhart und taub geworden und achten der Bescheidenheit der Armut nimmer. Nur mit einem lärmenden Ungestüm schreckt man manchmal doch noch jemandem ein karges Almosen heraus, und das ist der Grund, warum ich meine Bitte an euch so laut vorgebracht habe.«

04] Sagte Ich: »Du gefällst Mir als eine wirklich Arme zwar wohl, aber so ganz recht doch noch lange nicht, und das darum, weil a dir das Herumbetteln lieber ist als das Arbeiten. Denn siehe, du hast noch lange keine dreißig Jahre Alters, bist stark und gesund und könntest wohl noch arbeiten und dir und deinen Zwillingen das Brot erwerben; aber dir gefällt das Betteln besser als das Arbeiten, und so hast du dich in dein Gewerbe ganz gut einstudiert, am den gewöhnlichen Weltmenschen ein Almosen herauszulocken. Aber bei Mir gelten jedoch derlei Armutsanzeigekünste gar nichts, sondern ganz allein nur die lichte Wahrheit. Zudem muß Ich dir aber noch etwas sagen!« (a jl.ev01.135,19b)

05] Sagte das Weib: »Na, mein bester Freund, da wüßte ich wahrlich nicht, was du mir noch zu sagen hättest!«

06] Sagte Ich mit einer freundlich ernsten Stimme: »O Meine Liebe, wohl noch so manches und recht vieles! Ich will dir zwar helfen, wenn du dich besserst und von deinem Sündigen ablässest, - tust du aber das nicht, so helfe Ich dir auch wahrlich nicht! Und würdest du noch hundertmal ärger schreien, als du diesmal geschrien hast, so würde Ich dich doch nie mehr anhören! Verstehe Mich ja wohl, was Ich dir nun sagen werde!

07] Sieh, du trägst auf dem Rücken ein Bündel! Was ist darinnen verborgen? Sieh, da hast du ein ganz schönes Kleid aus persischer Seide, das dich ein Pfund reinen Silbers gekostet hat, zur Zeit, als du noch vermögend warst! Wenn du in eine Herberge kommst, da legst du deine Zwillinge zur Ruhe, ziehst dann das schöne Kleid an, erscheinst dann als ein sehr reizendes und üppiges Weib und suchst dich als eine Fremde an jemanden zu verkaufen. Wenn aber dann der neue Tag erwacht, dann siehst du wieder gerade so aus wie jetzt und schreist alle Menschen um ein Almosen an. Sage nun selbst, ob das vor Gott und den Menschen je recht sein kann! Ich verdamme dich aber darum noch nicht, sondern Ich frage dich um dein ganz eigenes Urteil. Rede! Was kannst du Mir darauf erwidern?«

08] Auf diese Meine Anrede ward die unverschämte Bettlerin ganz verlegen und wußte nicht, was sie darauf hätte erwidern sollen.

09] Nach einer kleinen Weile der Fassung ihres etwas schlüpfrigen Gemütes sagte sie (die Bettlerin): »Aber, Herr, ich habe dich noch nie gesehen oder irgendwo gesprochen! Wie kannst du wohl darum wissen? Ich muß bei dir nur durch ein paar geheime, eben bei dir seiende Kundschafter verraten worden sein! Ja ja, es ist wohl leider also; aber was kann eine arme, verlassene Witwe darum, wenn sie manchmal in der Not sich zu Sachen herbeiläßt, die freilich vor Gott nicht in der Ordnung sein können? Aber darum ist die arme Witwe in meiner Person auch noch lange nicht schlecht; denn man sehe sich die Weiber der Pharisäer, der Schriftgelehrten und auch sogar der Leviten an, die doch vor Gott stets alle rein sein sollen, und man wird ganz andere Gründe bekommen, sie zurechtzuweisen denn mich, die ich oft von der Not derart geplagt werde, wie du dir nicht leichtlich einen Begriff machen kannst! Übrigens gestehe ich das ganz offen ein, daß du über mich die volle Wahrheit geredet hast; doch hilf mir, und ich werde wohl niemals mehr zu solch elenden Erhaltungsmitteln meine Zuflucht nehmen! Freund, richten und auch strafen ist leicht; aber helfen will niemand!«

10] Sagte Ich: »Wahrlich, Ich will dich weder richten und noch weniger strafen, obwohl Ich sehr die Macht dazu hätte; aber es ist an dir der Fehler, daß dir die etwas schwerere Arbeit nicht ebenso schmeckt wie solch ein mehr liederliches und bestimmungsloses Leben! Und darin liegt hauptsächlich der Grund, daß du nun so arm und dürftig bist, und Ich habe dir das eben darum vorgehalten, daß du dich einmal ernstlich bessern sollst; denn so unschlüssigen Gemütern hilft Gott nicht. Hast du denn Gott noch nie so recht ernstlich und vertrauensvoll gebeten, daß Er dir helfen möge?«

11] Sagte die Bettlerin: »Ach, Freund, höre mir mit dem tauben und unbarmherzigen Gott der Juden nur gleich auf; denn eher erhört unsereins noch ein Stein als dein Gott! Wenn ich zu den oft noch so unbarmherzigen Menschen um ein Almosen schreie, so werden sie auf mich doch aufmerksam und schenken mir irgendeinen Zehrpfennig; aber dein Gott ist ja tauber denn ein Stein!«

12] Sagte Ich: »O mitnichten, das ist Gott durchaus nicht; aber du hast Gott noch nie irgend recht erkannt, an Ihn nicht geglaubt und Ihn noch weniger je geliebt und hast dich darum auch nie ernstlich mit einer rechten Bitte an Ihn gewandt, daß Er dir helfe aus deiner Not. Gott aber hat dich eben darum mit der Not heimgesucht, damit du in der Not Gott suchen sollst; und wo du es am wenigsten denkst, kommt dir Gott entgegen, um dir wahrhaft zu helfen, - und dennoch sagst du, daß Gott härter und tauber sei denn ein Stein!

13] Sieh, da tust du Gott ein Unrecht an, und Er richtet dich darum dennoch nicht, sondern Er will dir wahrhaft helfen - leiblich und seelisch -, damit du nicht zugrunde gehest für immerdar auch an deiner Seele!

14] Als du noch ledigen Standes warst und deine Eltern noch lebten, da warst du ein recht braves und auch recht gläubig gottesfürchtiges Kind, und Gott und deine Alten hatten eine rechte Freude an dir. Du wurdest reif, und ein recht braver Mann freite um dich und nahm dich zum Weibe. Doch als Weib warst du nur zu bald nicht mehr das, was du ehedem als Mädchen warst.

15] Deinen Mann liebtest du nicht, wurdest auch gegen deine Eltern hart und machtest ihnen Vorwürfe, weil sie dich einem Manne zum Weibe gaben, den du nicht lieben konntest. Dadurch härmten sich deine schon ohnehin alten und kranken Eltern so sehr ab, daß sie starben. Du warst dann noch schroffer gegen deinen Mann, so daß er dadurch auch zu siechen begann, sich dem Trunke ergab, dadurch auch in Verarmung kam, in eine Krankheit fiel und starb, und du wurdest dadurch eine arme Witwe.

16] Diese drückende Armut aber ließ Gott darum über dich kommen, weil du fürs erste das Gebot Gottes brachst, das da den Kindern gebietet, das sie ihre Eltern ehren und lieben, damit sie lange leben und es ihnen wohl gehe auf Erden, und fürs zweite, weil du den dir von den Eltern bescherten braven Mann nicht liebtest und ihm eine bittere Stunde um die andere bereitetest.

17] Seitdem ist nun schon ein Jahr verflossen, und du hast noch nicht daran gedacht, deine Fehler einzusehen und zu bereuen und Gott um Vergebung derselben zu bitten. Und dennoch sagst du, daß Gott härter und tauber sei denn ein Stein und Sich des Menschen nicht erbarme, wenn dieser auch noch so anhaltend zu Ihm bete. - Nun, was meinst du jetzt über die Unbarmherzigkeit Gottes?«

18] Sagte ganz zerknirscht die Bettlerin: »Herr, wer du auch sein magst, dich hat wahrlich Gott mir entgegengesandt! Du hast mir nun ein rechtes Licht angezündet, und ich weiß nun, was ich tun werde: Dies elende Kleid in einem Bündel werde ich verkaufen und mir um Geld ein Büßergewand kaufen; denn bis ich nicht solche meine Sünden werde abgebüßt haben, kann Gott von mir keine Bitte erhören!«

19] Sagte Ich: »Das Bußkleid wird deine Sünden nicht tilgen; aber dein Seidenkleid kannst du schon verkaufen und dir dafür Brot anschaffen. Dein Bettelgewand ist ohnehin schon ein mehrfaches Bußkleid; bereue du nur in ihm deine Sünden und enthalte dich von künftigen, so werden dir auch deine alten, die du nicht mehr ungeschehen machen kannst, von Gott schon vergeben werden!«

20] Sagte die Bettlerin: »Sage mir, du Freund, aber nun auch, wer du bist, daß du meinen Lebenslauf gar so genau zu erkennen vermochtest! Sage mir aber auch hinzu, was ich tun soll, damit mir von Gott meine Sünden vergeben werden! Bist du etwa ein Priester oder irgendein Prophet oder etwa gar ein Essäer, von denen die Rede ist, daß sie von jedem Menschen, der zu ihnen kommt, genau wissen, was er getan und gemacht hat, daß sie den Menschen auch von allen seinen Sünden lossprechen, die Kranken heilen und sogar die Toten erwecken können? Ich möchte das darum wissen, damit ich dir die gebührende Ehre geben kann!«

21] Sagte Ich: »Dessen bedarf Ich von dir nicht! Tue du nur das, was Ich dir geraten habe, so wirst du Mich dadurch am besten ehren, sei Ich dann, was Ich sei! Und nun ziehe in Frieden weiter!«

22] Hier bedankte sie sich für die Lehre; darauf beschenkten sie unser Agrikola und auch die drei Magier, und sie zog gen Jerusalem. Wir aber gingen auch weiter und kamen den Mauern von Emmaus nahe.



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