Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 110. Kapitel: Der heftige Nordwind und sein Zweck. Das tote Meer.

01] Als wir uns wieder völlig in der früheren Ordnung befanden, da fing von Norden her ein ganz bedeutend kühler Wind zu wehen an, und Lazarus sagte zu Mir mit leiser Stimme: »Herr, wenn der Wind noch ärger wird, als er schon ist, so werden wir uns bald wieder ins Haus begeben müssen!«

02] Sagte Ich: »Freund, so Ich's nicht wollte, da ginge dieser Wind nicht; weil Ich aber das will, so geht auch eben der Wind nun, den Ich in Mir berief. Und er ist auch gut, weil Ich ihn nun will; denn alles, was der Vater in Mir will, ist gut. Daher hat den nun etwas kühlen Wind auch niemand zu scheuen und niemand zu befürchten, daß er krank würde. Übrigens wirst du bald verspüren und auch einsehen, warum Ich diesen Wind nun gehen lasse.«

03] Als Ich solches dem Lazarus mitgeteilt hatte, da fing der Wind noch heftiger an zu gehen, und die Inder wandten sich an Raphael und sagten: »Höre, du holder und sehr mächtiger und weiser Jüngling, daß ein Mensch nach deiner uns kundgemachten Lehre - nämlich durch die Einung mit dem reinen Lebensgeiste aus Gott - durch die Gewalt und Macht des Willens, so er ihn mit dem göttlichen Willen vereint, wahrlich Wundergroßes bewirken kann, das haben wir alle sehr wohl begreiflich und einleuchtend gefunden; aber es tauchen dann und wann dennoch wieder Erscheinungen in der großen Weltnatur auf, gegen die selbst der vollkommenste Mensch mit aller Macht seines Willens vergebens kämpfen dürfte! Da an diesem höchst lästigen Winde hätten wir gleich solch ein Beispiel! Uns kommt es vor, daß die Elemente am meisten stumm sind und unser noch so kräftiges Wollen am allerwenigsten berücksichtigen.«

04] Sagte Raphael: »Da irret ihr euch gar sehr und groß! Wenn selbst der härteste Stein sich im Augenblick der Macht des mit Gott vereinten innersten Willens fügen muß, um wieviel mehr die Luft, die in und aus lauter seelischen Spezifikalpotenzen besteht und somit mit dem inneren Geiste sicher in einer näheren Verwandtschaft steht als ein gröbst materieller Stein.

05] Ich sage euch aber, daß nun dieser euch etwas lästig vorkommende Wind eben darum also ziemlich heftig weht, weil wir ihn haben wollen; warum wir ihn aber nun haben wollen, das wird euch schon die Folge zeigen. Richtet nur eure Blicke nach der Richtung hin, die der Wind hat, und ihr werdet hernach schon bald einzusehen beginnen, wozu nun der Wind mit einer stets zunehmenden Heftigkeit wehen muß!«

06] Hierauf richteten nicht nur die drei Magier, sondern alle Anwesenden ihre Augen nach dem Zuge des Windes. Was bemerkten sie aber bald in der Gegend des Toten Meeres, das eben nicht zu weit von Jerusalem entfernt liegt? Es stiegen ordentliche Wolkenmassen des dicksten Rauches auf und bedeckten den südlichen Horizont, und von Zeit zu Zeit wurden Flammensäulen ersichtlich, die aber allzeit bald wieder erloschen.

07] Als der Hauptmagier mit seinen Gefährten das bemerkte, sagte er zu Raphael: »Was ist und was geschieht denn dort? Ist das ein Ort, etwa eine Stadt, die in Brand geraten ist?«

08] Sagte Raphael: »O nein, meine lieben Freunde, es befindet sich dort ein bedeutend großer See, der hier von den Juden darum das "Tote Meer" genannt wird, weil in ihm und auch über ihm noch so hoch in unserer atmosphärischen Luft kein Tier eine Zeit von nur einer Stunde das Leibesleben erhalten kann.

09] Alle Fische und anderen Wassertiere werden in jenes Sees Wasser tot, also auch die Vögel in der über dem See stehenden Luft, daher sie auch nur höchst selten über jenen See fliegend gesehen werden. Ja sogar Pflanzen und Gewächse was immer für einer Art kommen weder auf seinem Grunde noch irgendwo an den Ufern auf eine längere Zeitdauer fort; denn dieses Sees Unterlage ist ein weitgedehntes und tief ins Innere der Erde gehendes Schwefel- und Erdpechlager, das sich zu gewissen Zeiten entzündet und stellenweise - natürlich unter dem Wasser - mit großer Gewalt den unterseeischen Boden zerreißt, wobei dann das Feuer mächtig durch- und über das Wasser hervorbricht, aber bald wieder erlöschen muß, weil das Wasser in die aufgerissene Spalte dringt und das Fortbrennen des Schwefels und des Erdpeches hindert. Aber wenn auch ein Riß durchs Wasser und durch sein eigenes Sich-wieder-Schließen gedämpft ist, so entstehen dafür an einem anderen Punkte neue Ausbrüche, die natürlich auf die gleiche Art bald wieder gedämpft werden.

10] Wenn das Feuer unter dem sehr bedeutend großen See einmal in Tätigkeit kommt, so dauert diese in ihrer größten Heftigkeit doch stets einige Stunden lang; aber die Nachwirkung, die gewöhnlich in einer stets noch Rauch und Dampf entwickelnden Aufwallung des Sees an verschiedenen Stellen besteht, dauert mit steter Abnahme oft noch mehrere Tage fort, und es ist da dem Menschen nicht zu raten, sich in solcher Zeit und am allerwenigsten gegen den Wind dem See zu nahen, weil die gar böse Luft, die sich bei solchen Gelegenheiten über dem See entwickelt, das Naturleben des Menschen und auch jedes Tieres ersticken würde.

11] Und seht, da der Ausbruch nun ein sehr heftiger ist und der starke, giftige Qualm mittels der Südluft nur zu bald zu uns herkäme und ein gar großes Unheil anrichten würde, so hat der allmächtige Wille des einen, wahren Gottes den kalten und lebensstoffreichen Wind aus dem Norden kommen lassen, der fürs erste mit dem Maße heftiger wird, als das unterseeische Feuer an sichtlicher Ausdehnung zunimmt, und der fürs zweite aber den Qualm und Dampf weit hinaus in die Westen Arabiens treibt, wo er wohl niemandem einen großen Schaden zufügen kann, weil dort, besonders in der größeren Nähe des Sees, wohl nicht leichtlich irgendein lebendes Wesen wohnt.

12] Wenn ihr nun über das Gesagte nur ein wenig tiefer nachdenken wollt, so werdet ihr den Grund schon einsehen, warum nun der kühle Nordwind zu wehen angefangen hat, und daß ihm das, also zu kommen, nicht wie zufällig von selbst eingefallen ist, sondern daß ihm das ein gar weiser und sehr mächtiger Wille befohlen hat. Wenn aber also, da ist es dann ja auch klar, daß der mit Gott vereinte Wille eines lebensvollendeten Menschen auch über alle Elemente gebieten kann und sie sich ihm fügen müssen.

13] Also kannst du auch einen Blick auf die Weisheit und auf den Willen Gottes also hinlenken, wenn ich dir zeige, daß der böse See wohl Zuflüsse von mehreren Seiten, aber auf der Oberfläche der Erde keinen Abfluß hat. Ja, warum denn das also? Weil dieser, wie noch mehrere solcher Seen auf der Erde, erstens sein Wasser zur Dämpfung des unter ihm befindlichen Feuers vonnöten hat, und zweitens, weil ein oberirdischer Abfluß des wahren Giftwassers ein Land auf weithin unfruchtbar und unwohnlich machen würde; und so sorgt des wahren Gottes Liebe, Weisheit und Wille auch da, wo es der blinde Mensch nicht merkt und nicht merken kann.

14] Aber wer die Geschöpfe und die sonstige Einrichtung der Welt mit den Augen des Geistes betrachtet, der wird überall den Willen Gottes waltend entdecken und sogestaltig leicht den großen und heiligen Vater und Ordner der Welten, der Menschen und der Geister finden und die Macht des allmächtigen Willens Gottes in sich selbst erproben können, und er wird dann nicht mehr zu fragen die Ursache haben, ob der mit dem Willen Gottes vereinte Wille eines Menschen wohl auch über die Elemente gebieten könne. - Hast du das nun wohl alles verstanden?«



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