Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


Kapitelinhalt 97. Kapitel: Die Verteidigungsrede des Hauptmagiers.

01] Sagte der Hauptmagier: »O lieber, holder und sehr weiser Jüngling! Wir stellen dir das ganz und gar nicht in Abrede, daß sich die Sachen bei uns leider so verhalten; doch wir haben sie schon also, wie sie sind, gefunden und nicht selbst eingeführt. Wer sie einmal uranfänglich also erfunden, eingeführt und bestellt hat, der mag alles Unheil unter uns irgend vor einem wahrhaftigen Gott verantworten! Ich bin als ein Priesterkind also erzogen und gelehrt worden und kann nicht dafür, daß ich nun das bin, was ich bin. Bei uns gilt der fromme Betrug als eine vorzügliche Tugend; denn man braucht den gemeinen Menschen durch allerlei geheime Künste nur zu einem festen und ungezweifelten Glauben zu bringen - was eben nichts Schweres ist, wenn man die Sache nur am rechten Orte anfaßt -, und siehe, der Mensch ist dabei völlig glücklich, lebt in einer bestimmten Ordnung und hat keine Furcht vor dem Tode des Leibes, weil er an ein Leben nach des Leibes Tode fest und ungezweifelt glaubt! Man nehme ihm diesen Glauben weg, und er ist im Augenblicke unglücklicher als jedes noch so Verlassene Tier! Bis man aber imstande wäre, alle Menschen zu lauter Weltweisen zu machen, wäre man zuvor schon lange ein Opfer der Wut des Volkes. Es ist daher nun vorderhand nichts zu machen, als die Sache also fortzuführen, wie sie einmal bestellt ist. Soll sie anders werden, so muß das ein allmächtiger Gott tun; wir Menschen sind zu schwach dazu.

02] Ich bin mit meiner Wissenschaft und Kunst schon weit in der Welt herumgekommen, war sogar im großen Reiche über der großen Weltmauer, habe aber nirgends Menschen angetroffen, bei denen die gewisse klare Weltweisheit allgemein daheim wäre. Sie ist gewöhnlich nur ein Gut des Priesterstandes; das Volk aber lebt ruhig und zufrieden und das infolge des blinden Glaubens, den es von den Priestern überkommt. Und es ist dies sicher das beste Mittel, ein Volk in einer gewissen Ordnung zu erhalten und zur fleißigen Bebauung der Erde anzuhalten.

03] Daß er lebt und auch sicher sterben wird, das weiß der Mensch; so ein Mensch aber gesund und wohlversorgt lebt, so lebt er auch gern und ist von Natur aus ein Feind des Sterbens und des Todes und hat somit stets eine große Furcht vor dem Tode. Diese beständige Furcht würde den Menschen bald derart übermannen, daß er einer jeden Arbeit und auch für eine geistige Bildung gänzlich unfähig werden müßte, und er müßte auch ein größter Feind des Lebens werden, - wie es bei uns auch ein solches Volk gibt, das sein Leben verflucht und keine Kinder zeugt, um keine unglücklichen Wesen in diese Welt zu setzen. Es vermehrt sich nur durch Zuwanderungen von außen her, mit Ausnahme der Weiber, die darum unter diesem Volke nicht anzutreffen sind. Aber es erscheint der sich selbst über alles verleugnende Priesterstand, lehrt den Menschen irgend unsichtbare mächtige Götter und ihre Kräfte kennen und führt sich als ein selbstmächtiger Sendling und Diener der Götter dem Volke dadurch vor, daß er vor des Volkes Augen Wunder wirkt und vor seinen Ohren weise spricht.

04] Die Wunderwerke sind die Zeugen seines Wortes. Das Volk glaubt, weil es mit seinen Augen selbst die Bestätigung gesehen hat, und wird glücklich, weil sein Glaube dem Tod alle Schrecken einer ewigen Vernichtung dadurch genommen hat, daß er ihm die sichere und von niemand mehr bezweifelte Aussicht auf ein besseres und ewiges Leben nach des Leibes Tode gegeben hat.

05] Und siehe, das ist die Frucht des nie genug zu achtenden Priesterstandes, der für sich zwar leider in der stets traurigen Erkenntnis ist, daß der Tod des Leibes des Menschen wie des Tieres und der Pflanze Letztes ist. Damit aber der Priester beim Volke stets den Glauben aufrechterhält, so darf das Volk in die inneren Geheimnisse des Priesters nie nur im entferntesten eingeweiht werden, sondern es muß in dem Priester stets ein höheres Wesen erschauen, dessen Weisheit und Macht des Menschen fromme Seele erst nach dem Tode erkennen wird; denn würde sie das im Leben des Leibes, so wäre das ihr Tod. Das glauben die Menschen auch, halten des Priesters Weisheit und Macht für heilig und führen dabei ein ruhiges, ordentliches und möglichst glückliches Leben. Aus diesem Grunde werden bei uns denn auch die außerpriesterlichen Wundertäter stets hart verfolgt und als von einem bösen Wesen abgesandte Verführer des glücklichen Volkes mit harten und schweren Strafen belegt. Denn es ist sicher besser, daß da einer leidet des Volkes wegen, als daß das ganze Volk am Ende eines mutwilligen Menschen wegen leiden soll.

06] Es gibt aber schon auch unter uns Priestern welche, die gewisse faktische Beweise von einem Fortleben der Seele nach dem Tode haben; aber solche Beweise taugen nicht für ein allgemeines großes Volk, sondern nur für wenige, die in die innersten Lebensmysterien tief eingeweiht sind.

07] Für das allgemeine, rohe, aber dafür glaubensstarke Volk taugen nur erschauliche Beweise mit möglichst großem und mysteriösem Gepränge. Diese schaut das Volk mit großen Augen voll des höchsten Staunens und voll der tiefsten Erbauung an, - glaubt, opfert und arbeitet dann mit Freude. Und das alles ist wahrlich nicht so schlecht, wie du, mein holder junger Freund, es mir ehedem in scharfen Worten dargestellt hast, und ich ersuche dich nun, mir darüber dein Urteil preiszugeben!«



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