Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 7


13. Kapitel: Hinweis des Römers Agrikolas auf Jesus.

01] An den anderen Tischen ging es noch ganz still her; denn alle lauschten nur, ob Ich Selbst etwa bald über etwas den Mund öffnen würde. Da nun aber auch Ich Mich mehr der Ruhe hingab, so fingen die Zungen an den andern Tischen sich ein wenig mehr zu regen an. Die Römer fingen an, sich mit der armen Familie etwas vertrauter zu machen, und Agrikola fragte die gar lieblich aussehende Tochter, ob sie sämtlich keine besseren Kleider hätten als die am Leibe.

02] Die Tochter aber sagte: »Edler, hoher Herr! Wohl habe ich daheim in unserer elenden Wohnung ein härenes Oberkleid; aber es ist noch schlechter als der linnene Leibrock, den ich nun anhabe. Wir sind ehedem nicht gar so entsetzlich arm gewesen, als die Eltern noch gesund waren und arbeiten konnten. Als sie dann, schon vor ein paar Jahren, recht schwer krank wurden, da ging es dann immer schlechter und schlechter. Der Bruder konnte mit allem Fleiße nicht mehr so viel verdienen, daß wir uns außer dem kärglichen Mundvorrat noch etwas anderes hätten anschaffen können, und so sind wir nun ohne unser Verschulden in diese große Armut geraten, und es wäre mit uns allen wohl in längstens noch zwei Tagen rein aus geworden, wenn du und jener Freund dort uns nicht gerettet hättet auf eine nahe ganz wunderbare Weise; denn ich begreife es noch immer nicht, wie jener schöne Jüngling dort unsere ärmlichste Wohnung also hat finden können, als wäre er, Gott weiß es, wie sehr bekannt in all den geheimsten Winkeln dieser großen Stadt. Wer etwa jener gar herrliche Mann und jener wunderholde Jüngling an seiner Seite doch sind? Möchtest du mir das nicht nur ein wenig aufklären?«

03] Sagte Agrikola: »Ja, du meine allerliebste Arme, du wahrhaft schönste Tochter Zions, das steht wahrlich nicht bei mir; denn siehe, ich bin ein sicher gar großer und mächtiger Herr im ganzen römischen Reich, und doch bin ich gar nichts gegen jenen herrlichen Mann und gegen jenen schönen Jüngling! Ich könnte wohl heute an den Kaiser von Rom einen beglaubigten Boten mit meinem Handschreiben absenden, und er würde mir gar viele Legionen senden, und ich könnte damit das ganze große Asien im Krieg, und das siegreich, überziehen, - aber was wäre das gegen die unendliche Macht jenes herrlichen Mannes?! Wenn Er etwas will, so ist das schon eine vollbrachte Tat!

04] Meine liebe Tochter Zions! Verstehst du wohl, was das sagen will? Sieh, deine Eltern waren krank, wie du sagst, über zwei Jahre hinaus! Und bloß der Wille jenes herrlichen Mannes hat sie in einem Augenblick gesund gemacht, und eben jener herrliche Mann wußte auch jenem Jünglinge ganz genauest eure Wohnung anzuzeigen, in der er euch ganz unfehlbar hat finden müssen. Also hat auch jener herrliche Mann vor ungefähr drei Stunden angezeigt, was diesem deinem Bruder bevorsteht, und darauf erst ward es mir ermöglicht, deinen Bruder und euch durch Seine alleinige Gnade zu retten, und so habe nicht ich, sondern nur Er ganz allein hat euch alle gerettet; denn ich war nur Sein förmlichst blindes Werkzeug.

05] So hast du zuvor draußen auch die vielen, gar wunderherrlich schönen Jünglinge und Mägdlein gesehen. Siehe, diese herrlich schönsten Wesen hätten alle als elende Sklaven verkauft werden sollen! Und siehe wieder, jener herrliche Mann hat sie alle befreit und sie vom Fuße bis zum Kopfe gar schön bekleiden lassen, und das alles in einem Augenblick, weshalb sie Ihn alle denn auch als einen gar lieben Vater begrüßten. Wenn aber das nun ganz wahrhaftig also der Fall ist, was ist da meine gesamte Macht gegen nur einen Hauch Seines Willens?! Daher habt nun auch ihr vorzüglich auf jenen herrlichen Mann euer ganzes Augenmerk zu richten; denn was jener Mann bloß nur durch Seinen Willen zu bewirken imstande ist, davon haben sich die Menschen noch nie etwas träumen lassen. Was ich dir aber hier ganz offenherzig gesagt habe, das ist die höchste Wahrheit. Was aber sagst du nun dazu?«

06] Sagten alle die vier: »Ja, wenn jener herrliche Mann das alles also vermag, wie du als ein allerglaubwürdigster Zeuge uns das kundgegeben hast, so muß jener herrliche Mann ja gar ein großer Prophet sein! Denn sieh, wir Juden erwarten einen Messias, der gar sehr mächtig in Wort und Tat werden soll! Doch bevor Jener kommen wird, soll Ihm vorangehen der große Prophet Elias und nach der Meinung vieler Menschen auch dessen Jünger Eliseus. (Elisa, an verschiedenen Stellen von Lorber auch ,Elisäus' geschrieben.) Und sieh, am Ende ist das gar der Elias oder sein Jünger Eliseus!«

07] Sagte Agrikola: »Diese eure Sage ist mir eben nicht gar zu sehr bekannt, wohl aber die von eurem Messias, dessentwegen ich nun hauptsächlich von Rom hierher nach Jerusalem gekommen bin. Habt ihr denn noch nichts gehört von dem nun schon überall über die Maßen berühmt-bekannten Heiland aus Galiläa?«

08] Sagte der Alte: »Allerehrwürdigster Freund und Herr! Wir armen Tagwerksleute kommen des Jahres höchstens zehnmal in den Tempel; dort verrichten wir unser kleines Opfer und hören irgendeine Predigt an, die wir nicht verstehen. Wenn es dann auch irgendwo etwas Neues und so Außerordentliches gäbe, so erfahren wir in unserer Abgeschiedenheit sicher nur höchst wenig oder auch wohl gar nichts davon.

09] Zudem waren wir nun ja über zwei volle Jahre bettlägerig. Der Sohn mußte Tag für Tag, sogar den Sabbat nicht ausgenommen, arbeiten, um uns nur den dürftigsten Lebensunterhalt zu verschaffen. An den Sabbaten arbeitete er bei einem Griechen oder Römer, die natürlich unseren Sabbat nicht feierten und irgend heiligten, und das war gewisserart noch ein wahres Glück für uns; denn ohne das hätten wir jeden Sabbat, besonders in diesen zwei letzten Jahren, vollkommen fasten können.

10] Wenn du, hoher Herr und Freund, das zusammenfassest, so wirst du das ganz leicht einsehen, wie eine ganz arme Familie, selbst mitten in dieser großen Stadt wohnend, von allen noch so großen und außerordentlichen Erscheinungen und Vorkommnissen ebensowenig erfahren kann, als lebte sie irgendwo ganz am Ende der Welt! Wenn wir nun aus dem dir gezeigten Grunde von dem berühmten und sonst schon weithin bekannten Galiläer nahe soviel wie nichts wissen, so kann uns das wahrlich nicht zu einer Schuld gerechnet werden.

11] Soviel haben wir vor einem Jahre in Erfahrung gebracht, daß etwa ein Prophet namens Johannes in einer Wüste am Jordan wider die Pharisäer gepredigt habe und ihnen tüchtige Wahrheiten gesagt haben soll. Was aber dann weiter mit ihm geschehen ist, davon haben wir nichts erfahren. Vielleicht ist nun dieser herrliche Mann jener Prophet?«

12] Sagte Agrikola: »Das ist dieser euer herrlicher Mann nicht; aber ihr werdet Ihn zu eurem Glücke schon noch heute näher kennenlernen. Darum esst und trinkt, daß ihr gehörig stark werdet, um die große Enthüllung, die euch werden wird, zu ertragen; denn es ist keine Kleinigkeit, jenen euren herrlichen Mann näher kennenzulernen!«

13] Auf das aßen und tranken die Armen wieder ganz gemütlich fort. Während des Essens und öftermaligen Trinkens fielen ihnen die schönen und schweren Speiseschüsseln auf, und noch mehr die goldenen Weinkrüge und Trinkbecher.

14] Die Tochter betrachtete diese Dinge mit stets größerer Aufmerksamkeit und sagte am Ende zu Agrikola: »Aber höre, du großer und mächtiger Herr, ist das nicht purstes Silber und Gold? Das hast du sicher von Rom hierher mitgebracht? Oh, das muß ja gar entsetzlich viel gekostet haben!«

15] Sagte Agrikola: »Ja, meine schöne Tochter Zions, das würde wohl sehr viel kosten, so man das Silber und Gold kaufen und dann daraus diese Gefäße machen lassen müßte! Aber diese Gefäße hier haben mich gar nichts gekostet und Den, der sie auf eine wundervollste Weise hergestellt hat, auch nichts, und dennoch sind sie alle von einem unschätzbar großen Wert. Denn sieh, Dem, der allmächtig ist, ist nichts unmöglich! - Verstehst du das?«

16] Sagte die schöne Jüdin: »Ja, das verstehe ich schon; aber allmächtig ist ja nur Gott allein! War denn Gott Selbst hier, oder hat Er einen Engel hierher gesandt, der hier solch ein Wunder gewirkt hat? Denn solche Dinge sind unter dem jüdischen Volke stets geschehen!«

17] Sagte Agrikola: »Mein liebstes und wahrlich schönstes Kind! Ja, ja, Gott Selbst war hier, ist noch da und gibt Sich denen wunderbar zu erkennen, die Ihn wahrhaft und rein lieben! Wenn du im Herzen recht voll Liebe zu Ihm wirst, dann wird Er Sich dir und euch allen schon auch zu erkennen geben! - Glaubst du, Holdeste, mir solches?«

18] Sagte die nun immer schöner werdende junge Jüdin: »Aber Gott ist ja ein Geist, den kein Mensch je sehen kann und dabei behalten das Leben; denn also steht es im Moses geschrieben: "Gott kann niemand sehen und leben."«

19] Sagte Agrikola: »Da hast du wohl recht; aber es steht auch in den andern Propheten geschrieben, daß der ewige Geist Gottes - also Gott Selbst - in der Zeit um der Menschen willen Fleisch anziehen werde und Selbst als ein Mensch unter ihnen wandeln und sie Selbst die rechten Wege des Lebens lehren werde. Und so kann nun ein rechter Mensch Gott schauen und hören und dabei nicht nur dieses irdische Leben behalten, sondern noch das ewige Leben der Seele hinzuerhalten, so daß er dann fürder ewighin keinen Tod mehr sieht und fühlt. Wenn dieser Leib mit der Zeit auch abfällt, so lebt aber dennoch die Seele des Menschen ewig fort und genießt dabei die höchste Seligkeit. - Wie gefällt dir denn nun das?«

20] Sagte die schöne Jüdin: »Ja, das gefiele uns allen wohl gar überaus; doch für solch eine nie erhörte Gnade sind wir sicher zu gering und auch zu große Sünder! Denn erstens konnten wir schon lange den Sabbat nicht ordentlich heiligen und gehörten schon lange in die Reihe der großen Sünder, und zweitens konnten wir uns davon auch nicht reinigen, weil wir dazu die Mittel niemals besaßen. Und so wird Gott, so Er nun auch irgend leiblich zu den Menschen kommt, uns sicher nicht ansehen. Er kam wohl zu Abraham, Isaak und Jakob; aber das waren ungeheuer fromme und sündenfreie Menschen. Was sind da wir dagegen? Lieben könnte ich Gott also schon über alle die Maßen; aber Er ist viel zu heilig und kann die Liebe eines Sünders nicht annehmen.«

21] Hier sagte Ich über den Tisch zu der Jüdin: »O liebe Tochter, Gott sieht nicht auf die Sünden der Menschen, besonders deiner Art, sondern allein auf das Herz! Wer Gott wahrhaft liebt, dem werden alle Sünden erlassen, und hätte er derselben so viele, als wie da ist des Grases auf der Erde und des Sandes im Meere. Deine Sünden aber liegen nur in deiner Einbildung und nicht in der Wirklichkeit. Gott aber ist alles das nur ein Greuel, was vor der Welt groß ist; du bist aber gar klein vor der Welt und somit vor Gott kein Greuel. Liebe Gott nur recht stark, und Er wird dich dann auch lieben und dir geben das ewige Leben! - Verstehest du das?«

22] Sagte die Jüdin: »Das habe ich verstanden; aber führt mich doch dahin, wo nun Gott ist, damit ich Ihn sehe, liebe und anbete!«



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