Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 214


Vom Buche Hiob und vom Tempel zu Jabusimbil.

01] (Sagte der Römer:) ”Sage mir: Was hältst du von dem Buche Hiob? Wie gefällt dir das *Zwiegespräch zwischen Gott und Hiob, und das zwischen Gott und Satan? Was sagst du dazu, und wie erklärst du mir diese sonderbare Geschichte?“

02] Sagte der Pharisäer: ”Schon wieder so eine Frage, die von keinem vernünftigen Menschen beantwortet werden kann! Was sagst denn du zu eurem Ikarion, zu eurem Bacchus und zu eurem Orpheus? Unser Hiob hat niemals bestanden, und alles ist eine fromme Sage, gedichtet von irgendeinem alten Seher, der damals seine Dichtung mit einem moralisch dunklen Schimmer gerade also niederschrieb, wie er die Sache verstanden hat. Wir erblicken darin einen äußerst rechtschaffenen Mann, auf den Sich Gott Selbst viel zugute tut. Gott läßt Sich aber erstens vom Satan einreden, daß auch dieser Hiob fallen würde, so er - Satan - ihm auf den Zahn fühlen dürfe. Gott gibt darauf zweitens dem Satan das Recht, dem Hiob auf die schmählichste Weise auf den Geduldszahn zu fühlen, und das so lange fort, bis am Ende dem armen Hiob denn doch die Geduld zu kurz wird und er mit Gott ordentlich aufbegehrt. Dann sendet ihm Gott einen Sprecher, der den armen Hiob ganz scharf zurechtweist; und als Hiob sich dann wieder in den harten Willen Gottes völlig ergibt, wird ihm Gott wieder gnädig.

03] Nun, wer da etwas Weises von seiten eines höchst weise sein sollenden Gottes findet, der muß aus den Zeiten dieses höchst geplagten Mannes herrühren! Wir lesen diese Geschichte mit Überdruß und haben sie schon lange für apokryphisch (unecht) erklärt; denn in dieser Geschichte liegt ebensowenig Wahres und Weises wie in der von eurem Atlas, der den ganzen Himmel in einem fort auf seinen Schultern tragen muß, und es läßt sich darüber auch keine vernünftige und verständige Antwort geben.“

04] Sagte der Römer: ”Na, na, bei euch geht es wahrlich nicht übel! Weil ihr zu träge seid, zu suchen, zu denken und zu lernen, so verwerfet ihr lieber alles, was euch nicht in euren faulen Kram paßt! Ich habe im Hiob die innere, geistige Bildung des Menschen auf den ersten Blick gefunden, und ihr erkläret das für ein Apokryph! Ist darin nicht ganz klar gezeigt, wie die Seele sich nach und nach von all dem trennen soll, was der Welt und was des Fleisches ist?

05] Ein Mensch, im Wohlstande nach jeder Richtung hin, kann Gott leicht loben und preisen, denn es geht ihm ja ganz gut dabei; aber es nützt das seiner Seele noch nicht viel. Der Mensch aber wird nun auf die Probe gestellt, wie er auch im Elend und in der Not sich zu Gott verhält, und da ist im Hiob ja ein herrlichstes Bild gegeben, wie man nicht nur im Wohlstande, sondern auch im äußern Elende Gott erkennen, loben und preisen soll. Und so etwas nennst du mir unecht und bezeichnest es für ein sinn- und verstandloses Zeug?! Oh, du stehst noch tief unten im Pfuhle des Gerichtes und des Todes! Und so hast du nun schon sechs Fragen rein verhauen! Aber lassen wir nun das, und ich will dich nun zum siebenten Male um etwas ganz Natürliches und Leichtes fragen! Und so höre!

06] Sieh, in Oberägypten besteht, noch ganz gut erhalten, ein in einen Granitberg gemeißelter Gottestempel! Sein Name ist Ja-bu-sim-bil. Dieser Tempel - ganz etwas anderes als dieser Tempel zu Jerusalem! - ist von den Urbewohnern des denkwürdigsten Landes der ganzen Erde, also von den damaligen Gotteskennern, mit der unsäglichsten Mühe von der Welt hergestellt worden. Vor der Eingangstür sind in sitzender, also in ewig ruhender Stellung, die vier Elemente dieser Erde personifiziert dargestellt. Ihre kolossale Darstellung soll die ungeheure Kraft Gottes in den Gesetzen der gesamten Natur darstellen und ihre Ruhe die nie wandelbare Ordnung des göttlichen Geistes. Das Innere dieses Tempels, eine sehr geräumige Halle, besteht aber dennoch aus drei Abteilungen. In der ersten stehen gigantische Menschengestalten, in der zweiten Menschen unserer Art, und in der dritten sind unter verschiedenen Zeichen ganz im Hintergrunde, wennschon stark verwittert, die Wortzeichen Ja - bu - sim - bil angebracht. - Wie möchtest du, als ein Schriftgelehrter, mir wohl das Innere dieses denkwürdigen Tempels der Erde erklären? Denn ich hoffe, daß dir das wohl nicht unbekannt sein dürfte.“

07] Sagte der Pharisäer: ”Ja, ja, ich habe davon viel reden hören, und es wird sich die Sache schon genau also verhalten, wie du sie mir nun beschrieben hast; aber der Tempel ist ungeheuer alt, und wer weiß es, wer die Völker waren, die so einen Tempel gefertigt haben? Ihre Zeichen sind für uns unlesbar, und wer kann es genau erraten, was sie besagen?! Sie haben nicht die leiseste Spur von einer Ähnlichkeit mit unserer Schrift, und somit sind sie für uns tot. Ihr schreibt von der Linken zur Rechten, und wir umgekehrt, und somit könnt ihr die Urschrift Ägyptens auch leichter lesen als wir, da man sagt, daß auch die alten Ägypter von der Linken zur Rechten hin geschrieben haben sollen. Wir schreiben umgekehrt und kennen uns daher in jener alten Schrift durchaus nicht mehr aus. Was können die drei Hallen und die sonderbaren großen und kleinen Skulpturen in den ersten zwei Hallen anzeigen, und was endlich die dritte Halle mit den gewissen Inschriften, die wir Juden nicht lesen können?“

08] Sagte der Römer: ”O ihr sein sollenden Gotteskinder, die ihr von aller Weisheit der ganzen Welt gleich den großen Sumpffröschen aufgebläht einherschreitet - also, als hättet ihr die ganze Erde erschaffen! Das, was euch doch so naheliegt, versteht ihr nicht und wollt doch Erzieher und Leiter eines von Gott erwählten Volkes nach eurer Schrift sein! Niemand kann jemandem etwas geben, was er selbst nicht hat, sondern nur das, was er hat! Ihr habt aber nur die Dummheit und gänzliche Unwissenheit in allen Dingen! Was also kann das arme Volk von euch lernen? Nichts als eure unbegreifliche Blindheit! Denn wahrlich, ich habe in Rom oft das schon alt gewordene Sprichwort vernommen: 'Sieh, der Mensch ist noch dümmer denn ein Jude!', und nun überzeuge ich mich selbst, daß es wahrlich also ist!

09] Wir Römer haben es noch nie unter unserer Würde gehalten, uns mit den geistigen Götterkunden jedes eroberten Volkes genau abzugeben und uns genaust darin unterrichten zu lassen, und doch heißt man uns Heiden, - und ihr als Gottesvolk glaubt an euren großen Gott nicht, verachtet aber dabei dennoch jede andere Götterkunde, ohne sie nur im geringsten je näher erforscht zu haben! Was seid ihr da denn für Menschen? Wahrlich, ihr seid, mehr denn die gemeinsten Epikureer, zu puren Magen- und Bauchmenschen geworden!

10] Sieh, ich, ein Heide von Geburt an, werde dir es nun sagen, was der denkwürdige Tempel zu Ja-bu-sim-bil für eine Bedeutung hat, die mich auch zumeist auf ganz andere Begriffe von der wahren Gottheit führte als die, welche ich früher besessen habe.

11] Als ich einmal, vor ungefähr zehn Jahren, in Staatsgeschäften nach Oberägypten reisen mußte, da kam ich denn auch zu dem besagten Tempel, der auf mich einen unbeschreiblichen Eindruck machte. Ich besah alles mit der größten Aufmerksamkeit und ließ mir von einem dortigen, ganz verarmten Priester und Wärter dieses Altertums erklären, was dieses und jenes alles zu bedeuten habe. Der alte Mann, voll Liebe und Demut, war im höchsten Grade dienstfertig und erklärte mir alles so gut, daß ich zu mir selbst sagen mußte: Siehe, der Mann ist weise und redet die volle Wahrheit!

12] Er sagte zu mir: 'Siehe, Freund, die Riesengestalten zur Rechten stellen die sieben Geister Gottes vor, durch die der Mensch auf dieser Erde zu allerlei Erkenntnis gelangt und sich darauf dann vieles und Riesengroßes einbildet! Die Gestalten zur Linken stellen des Menschen wilde und unbändige Leidenschaften vor, weshalb du zu ihren Füßen auch allerlei Zeichen des Todes und des Gerichtes ersehen kannst. Und siehe da die zweite Halle! Sie ist um einiges niedriger als die erste, und man gelangt in sie durch ein so ziemlich beengtes Tor. Das zeigt des Menschen Demut an, ohne die es unmöglich ist, zur wahren Erkenntnis Gottes zu gelangen. Darum erschaust du hier schon ganz bescheidene Menschengestalten in tiefgebeugter Stellung. Und nun hier in der dritten und letzten Halle ersiehst du nichts als Geistiges, dargestellt durch wohlentsprechende Zeichen. Und dort, hoch oben, ersiehst du in einem Kreise die Zeichen: Ja-bu-sim-bil, - das ist: Gottes Wort im Herzen jedes Menschen, der Gott liebt und sucht. Und die Zeichen lauten: Ich war-bin- und werde sein. Ich bin der Alleinige, und außer Mir gibt es keinen Gott!' -

13] Mein Freund, wer da sucht, der findet, und ich habe von meiner Jugend an gesucht und habe viel gefunden! Doch das Allerhöchste, was in dieser Welt je irgendwo zu finden war, das fand ich hier, aber nicht in dem blindesten Wesen eures Tempels, sondern da! Und dort sitzet Der in Menschengestalt freundlichst unter uns, von dem es in dem alten Tempel in der dritten Halle geschrieben steht: Ja-bu-sim-bil-! Es liegt aber auch gar nichts daran, ob du und noch viele deinesgleichen das glauben oder nicht; denn darum ist es doch also, wie ich und viele Tausende es nun glauben und allzeit glauben werden.

14] Die siebente Frage ist aber somit auch unbeantwortet geblieben, und ich werde dir nun die achte Frage stellen und sehen, ob du in dir eine Antwort auf sie finden wirst!“



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