Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 159


Die Erfahrungen der Jünger auf dem Fest in Jerusalem.

01] Als wir erwachten - was diesmal um eine gute Stunde später als sonst geschah -, war das Morgenmahl auch schon bereitet und stand auf dem Tische. Wir setzten uns denn auch sogleich zu Tisch und nahmen fröhlichen Mutes das wohlbereitete Morgenmahl ein. Nach dem Morgenmahl aber fragten Mich die Jünger, was Ich an diesem Tage alles tun werde.

02] Ich aber sagte: ”Diesen Tag werde Ich für Mich zu einem Feiertage machen und somit eben nicht besonders vieles tun. Ihr aber könnt hinauf zum Feste gehen und sehen, was da alles geschieht, und was da alles geredet wird! Und so ihr dann am Mittage wiederkommt, könnt ihr es Mir sagen, was die Menschen so von Mir reden; denn Ich will heute mit Meinem Geistesauge und -ohre beim Feste gegenwärtig sein, da heute ein wahres Heidenfest abgehalten werden wird. Wer aber hier bleiben will, der bleibe und denke nicht an das dumme Fest!“

03] Darauf erhoben sich einige Jünger und zogen gemachen Schrittes hinauf zum Feste; aber Petrus, Johannes, Jakobus, Andreas, Simon und Matthäus blieben, und die Judgriechen blieben auch bei Mir, - denn die letzteren hatten eben gar wenig Lust dazu, daß sie in der Stadt von irgend jemandem trotz ihrer Griechenkleidung erkannt würden.

04] Als die etlichen Jünger aber hinauf zum Feste kamen, da wurden sie von einigen Juden bald erkannt, und diese traten um sie und fragten mit heftigen Worten: ”Seid ihr nicht Galiläer und Jünger des Zimmermanns aus Nazareth? Wo ist er, auf daß wir hingehen und mit ihm selbst reden?“

05] Die Jünger aber gaben den Juden auf solche ihre Fragen gar keine Antwort. Da drangen aber die Juden noch mehr in sie.

06] Das machte den Nathanael ärgerlich, und er sagte zu den Zudringlichen: ”Was fragt ihr darum? Geht hin und suchet Ihn selbst! Wir aber sind hier Wallfahrer so gut wie ihr, und ihr habt keinen Grund, uns irgend zu belästigen. Wollt ihr aber mit uns euer Wesen fortsetzen, so werden wir euch schon durch die Römer von uns zu entfernen verstehen.“

07] Hierauf murrten die Juden und ließen von den Jüngern ab; darauf gingen die Jünger in den Vorhöfen des Tempels umher.

08] Es wurde aber hie und da vieles von Mir gesprochen, und viele Juden, die an Mich glaubten, suchten Mich und fragten andere, ob Mich jemand irgendwo gesehen habe. Aber niemand wußte, wohin Ich gegangen sei.

09] Und einige sagten: ”Er hat gestern doch recht geredet, da er sagte: "Ihr werdet mich suchen und dennoch nicht finden! Und wo ich sein werde, da könnt ihr nicht hinkommen!"“

10] Es waren aber mehrere, die da sagten, daß Ich ein purer Betrüger und ein gelernter Magier sei. Andere wieder sagten, daß Ich augenscheinlichst ein Prophet sei, da Ich Taten verrichte, die noch nie ein Magier verrichtet habe. Wieder andere sagten, daß Ich vor allem nur ein recht frommer Mensch sei. Dagegen behaupteten wieder andere und sagten, Ich sei besessen von irgendeinem mächtigen Geiste der Unterwelt, der durch Mich seine Wunder wirke und dadurch die Menschen verführe. Aber niemand behauptete und glaubte, daß Ich Christus wäre.

11] Es kam aber den Jüngern das Fest äußerst öde und wüst vor, und sie machten sich darum bald auf den Rückweg. Als sie wieder in Bethania ankamen, da wurden sie alsbald gefragt, wie es auf dem Feste zugehe. Und sie erzählten alles haarklein, was ihnen begegnet war, und was sie gesehen und gehört hatten. Da ärgerten sich Lazarus und die anderen Jünger und die Judgriechen, daß das Volk gar so verstockt sei.

12] Und Lazarus sagte: ”Nein, das ist denn doch das mir Unbegreiflichste, daß gerade dieses Volk gar so entsetzlich verstockt ist! Was sind da schon alles für Zeichen geschehen, und was sind da schon für Lehren gegeben worden, - und alles vergeblich! Nein, nein, das ist zu arg! Ein Mensch wie Du, o Herr, der den Menschen nichts als nur in einem fort die größten Wohltaten erweist und meines Wissens nie von jemandem nur einen Stater begehrte, sondern so viele Arme schon gar überglücklich gemacht hat und jeden, der Ihm eine Freundschaft erwiesen hat, gleich tausendfach dafür entschädigte, ist bei diesem allerblindesten Lumpenvolke ein Betrüger! O Herr, gib mir nur auf etwelche Augenblicke Deine Allmacht, und dieser Platz wird in einem Nu von seinem alten Unrate gereinigt sein! O du verzweifelte Menschheit! Nein, die braucht nicht noch fünfzig Jahre bis zu ihrer Reife für ein allerschärfstes Gericht; die ist schon jetzt überreif dazu!“

13] Sagte Ich: ”Mein lieber Bruder, ereifere dich nicht darob und denke dir, daß Ich Selbst das alles am besten einsehe, warum ihnen solches unsinnigste Benehmen zugelassen wird! Wir werden sie aber dennoch nicht richten, sondern das wohl verständliche Wort, das Ich zu ihnen so oft schon ganz vergeblich geredet habe, wird sie richten. Es ist aber nun gut, daß auch ihr es vernommen habt, wie das meiste Volk nun über Mich urteilt. Morgen, als am schönsten Festestage, werde Ich abermals im Tempel lehren und ihnen auf ein Haar zeigen, wessen Geistes Kinder sie sind, und was sie als solche zu erwarten haben. - Darum lassen wir nun das und beschäftigen uns mit etwas Besserem!“

14] Sagte Lazarus: ”Ja, Herr, das wird am besten sein! Aber was gäbe es da nur gleich, das sich nun vornehmen ließe? Das Mittagsmahl wird erst in einer Stunde fertig sein.“

15] Sagte Ich: ”Oh, dafür sorge nur du dich nicht, - das werde schon Ich bestimmen und machen!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 6  |   Werke Lorbers