Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 157


Das Beschauen des Mondes durch die innere Sehe.

01] Nun aber begann der Schatten der Erde am Monde schon sichtbar zu werden. Aller Augen waren nun auf den Mond gerichtet und betrachteten das Fortschreiten des Schattens. Bald ward der ganze Mond total finster, und es wurden bei dieser Gelegenheit eine viel größere Anzahl der Sterne sichtbar als zuvor im Vollichte des Mondes.

02] Da fragte Mich Lazarus: ”Herr, wie kommt es denn, daß nun eine so große Anzahl Sterne sichtbar geworden ist, die man früher nicht sah?“

03] Sagte Ich: ”Das, lieber Bruder, kommt daher, daß das starke Licht des Vollmondes dein Auge nicht beirrt. Deine Sehpupille ist nun sehr erweitert, und du kannst darum auch das schon sehr schwache Lichtgeflimmer der sehr fernen Sternlein wahrnehmen. Am Tage siehst du gar keine Sterne, weil das Licht der Sonne des Auges Sehpupille notwendigerweise sehr beengt. Darum ist das Auge des Menschen von Gott so kunstvoll eingerichtet, daß es jeden Grad des Lichtes wahrnehmen und sogar genau berechnen kann.

04] Aber so kunstvoll auch das fleischliche Auge des Menschen gebaut ist, so steht es dennoch in keinem Vergleiche zu der Wunderbarkeit des geistigen Auges, das alles im rechten Maße und alles durch und durch sieht.

05] Gib nur recht acht darauf, wie die kleinsten Sterne nach und nach verschwinden werden, wenn nun der Mond aus dem Schatten der Erde treten wird, und du wirst dich dadurch überzeugen, daß solches das stets stärker werdende Licht des Mondes bewirkt.

06] Aber ganz anders verhält es sich mit der Sehe der Seele. Diese beirrt kein irdisches Licht, und die Nacht der Erde oder deren hellster Tag sind ihr gleich. Es gibt darum für die Seele nur einen beständigen Tag und nimmerdar irgendeine Nacht, das heißt für eine solche Seele, die in Meinem Lichte lebt und wandelt; aber für eine Seele, die nur im Lichte dieser Welt, das heißt in der Lehre der Welt wandelt, gibt es dort über dem Grabe auch nur Nacht und Finsternis.

07] Aber nun gebet alle acht! Ich werde euch nun auf einige Augenblicke gewisserart gewaltsam innerlich erwecken und euch den Mond also sehen lassen, als wärt ihr auf seinem Boden!“

08] Ich wollte nun das, und alle stießen zu gleicher Zeit einen Schrei des Entsetzens aus, und Lazarus bat Mich, daß Ich ihm die innere Sehe wieder nehmen möchte; denn die Monderde kam ihm zu wüst, öde und leer vor.

09] Ich aber sagte: ”Seht nur genauer hin, und ihr werdet schon auch Wesen, den Menschen dieser Erde ähnlich, entdecken!“

10] Da strengten alle ihre Sehe noch mehr an, und sieh, da entdeckten sie wohl menschliche Wesen, und zwar auf der der Erde stets zugekehrten Seite eine Art sehr luftig aussehender, nahezu ganz durchsichtiger und dabei doch sehr verkümmert aussehender kleiner Menschenwesen, aus denen sie nichts zu machen wußten; aber auf der entgegengesetzten Seite des Mondes gefiel es ihnen etwas besser. Da sie diese aber nun zur vierzehntägigen Nachtzeit des Mondes beobachten konnten, so fanden sie auch aus ganz natürlichen dem Monde (der Mondnacht) entsprechenden Gründen die Menschen und die wenigen Tiere in tiefem Schlafe.

11] Als alle sonach den ganzen Mond besichtigt hatten und sich auch dahin zu äußern begannen, daß sie sich nun die Monderde zum höchsten Überflusse lang und gut genug angesehen hätten und Ich ihnen allen die innere Sehe wieder nehmen möchte, tat Ich solches denn auch; denn es fing alle eine Angst dahin anzuwandeln an, daß sie nun etwa gar in dieser sehr traurig aussehenden Welt verbleiben würden.

12] Als sie nun alle den Mond wieder mit den Fleischaugen ersahen, da waren sie sehr froh, und ein Ältester der Judgriechen sagte zu Mir: ”Herr, wenn es in Deiner großen Schöpfung irgendwo eine Welt gibt, wo die Seelen als Verdammte gequält werden, so ist wahrlich der Mond ganz vollkommenst dazu geeignet, besonders auf dieser uns zugekehrten Seite! Und die sonderbaren, sehr häßlich aussehenden, dunkelgrau durchsichtigen und nebelartig luftigen Menschenwesen sind sicher nichts anderes als solche gar nicht beneidenswerte, unglückliche Seelen. Wenn ein Mensch auf unserer Erde Gegenden und Länder bereist, so kommt er von einer schönen Gegend in eine oft noch um vieles schönere; aber auf der Welt da oben ist gerade der umgekehrte Fall. Schon der erste und sicher noch der beste Punkt, den man ersieht, sieht schon so entsetzlich wild und wüst aus, daß man davor wie vor einem Ungeheuer erschrickt. Die andern Punkte und Gegenden aber sind dann noch um vieles abschreckender und entsetzlicher, und in solchen Gegenden wohnen Menschenwesen, und diese sehen so traurig und verkümmert aus, daß man dagegen die Bewohner unserer schlechtesten und stinkendsten Pfützen wahre Könige nennen könnte. Herr, Herr, was sind denn das für Wesen?“

13] Sagte Ich: ”Ja, ja, das sind wohl eben nicht sehr glückliche Wesen, und sie tragen viel des Höllischen in sich; aber sie können und werden mit der Zeit dennoch in ein besseres Leben übergehen, - freilich wohl nicht sehr eiligen Schrittes. Die sich einmal schon auf der Oberfläche jener Monderde herumtreiben und zu einer Art Durchsichtigkeit gelangt sind, die sind ohnehin schon besser daran; aber die noch in den tiefen Höhlen, Löchern und Kratern wohnen, denen geht es noch schlimm, und es wird noch einer geraumen Zeit benötigen, bis sie in einen besseren Lebenszustand übergehen werden.

14] Seht, das sind Seelen der Menschen dieser Erde, die in ihrem Leibesleben auf dieser Erde über alle Maßen in die allertollste Weltsucht und Selbstliebe übergegangen sind. Diese eigentlich materiellsten Seelen werden auf der Monderde aus sich heraus mit einer Art halbmateriellem Leib angetan, durch den sie auch noch die schlechten materiellen Eindrücke, wie die der Kälte, der Hitze, sowie des Lichtes der Sonne und des Gegenscheines dieser Erde und der anderen Gestirne, wahrnehmen; aber sie können mit nichts Irdischem mehr ihre Habgier stillen. Sie sehen diese Erde ganz gut und wissen auch, daß sie einst gar sehr gut auf ihrem Boden gelebt haben, wo sie viele Güter und ein großes Ansehen besaßen und viele Menschen ihnen dienten; jetzt sind sie allein sich selbst überlassen, nackt und haben außer der sehr dünnen Luft gar keine Nahrung, sogar kein Wasser und noch weniger einen Wein. Ihrer Erde Boden ist bimsartiges Gestein, und nicht ein Moospflänzchen kommt irgendwo vor.

15] Und so ist die Monderde für solche Seelen ein ganz tauglicher Platz, auf dem sie ganz gehörig abgeödet werden und zu der Einsicht kommen, daß all die irdischen Güter höchst trüglich und wertlos sind, und sie werden endlich von der Sehnsucht ergriffen, ganz zu vergehen und nicht mehr zu sein.

16] Viele versuchen sich zu töten, andere durch eine Art Schlaf sich aller weiteren Weltanschauung zu berauben; aber es geht weder das eine noch das andere. Darauf fangen sie zu suchen an, ob nicht irgendein Ausweg aus den Gruben und Tälern ihrer Leiden führe, in irgendeine Gegend, wo sie etwa mit weiseren Menschen zusammenkämen, um sich mit ihnen über den Grund ihres so sehr traurigen Daseins zu besprechen. Und seht, da geschieht es, daß sie mit vieler Mühe und Anstrengung einen Ausweg finden. Sie kommen da auf große Ebenen, besteigen die sehr hohen Gebirge und kommen da auch mit weisen Geistern zusammen, die sie recht weise belehren und auch sagen, daß es einen allmächtigen, weisesten und höchst guten Gott gibt, an den sie glauben und den sie lieben sollen, und so sie das tun würden, dann werde es ihnen auch bald besser ergehen.

17] Das nehmen sie dann auch gerne an, und sie werden dann bald ihre Materie los und bekommen ein geistiges Gewand und werden darauf in eine andere Erde, wie etwa in die Venus oder in den Merkur, später in den Jupiter, Saturn und noch in mehrere Planetarerden, gebracht. Da streifen sie dann gewöhnlich schon alles Materielle eben durch die Materie der zu durchwandelnden kleinen und großen Erden ab. Darauf können sie in die Sonne übergehen, in der sie sich dann gar viel Weisheit und auch Liebe zu eigen machen können. Von da an erst werden sie zu reinen Geistern und gehen in die reingeistige Sonne über, in der es an zahllos vielen weisesten Unterrichtsanstalten wahrlich keinen Mangel hat.

18] Also werden denn derlei materiellste Menschen nach vielen und langen Zeitläufen auch rein und können eine große Seligkeit genießen; aber dahin können sie doch nimmerdar kommen, wohin eines der geringsten Meiner Kinder kommen wird.

19] Doch auch diesen elenden Monderdbewohnern soll eine Erlösung werden, wenn Ich wieder dahin zurückgekehrt sein werde, von wannen Ich gekommen bin. - Also wisst ihr nun, was der Mond ist?“

20] Sagte Lazarus: ”Ja, Herr, das wissen wir nun ganz genau, das heißt, was die uns nun zugekehrte Seite betrifft! Aber die Rückseite scheint mit unserer Erde mehr Ähnlichkeit zu haben. Wir gewahrten dort Gewächse und Gewässer, und wir sahen dort auch Wolken am Firmament. Was gibt es denn dort?“

21] Sagte Ich: ”Ganz so natürliche Menschen wie etwa im tiefen Norden dieser Erde, aber freilich wegen der ganz anderen Tag- und Nachtverhältnisse jener Monderde ein wenig anders organisiert. Das Weitere wird euch der Geist lehren. Und da nun auch die Erscheinung zu Ende ist, so können wir denn auch wieder ins Haus gehen und eine mäßige Nachtstärkung zu uns nehmen.“

22] Das war nun allen recht, und wir begaben uns ins Haus, allwo Ich allen riet, den andern Menschen nichts von diesem Gesichte zu erzählen.



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 6  |   Werke Lorbers