Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 109


Meinungsaustausch zwischen dem Schriftgelehrten und dem Priesterweibe.

01] Diese ziemlich bissigen Bemerkungen der Priesterin brachten den Schriftgelehrten zu einer besseren Besinnung, und er sah nun ein, wie plump sein römischer Spruch war und wie sinnlos hier angewandt.

02] Er besann sich und sagte (der Schriftgelehrte): ”Na, na, liebe Freundin, so habe ich es ja doch nicht gemeint, sondern nur also, daß es dir, weil du von einer Seele und von einem Fortleben derselben auch nach des Leibes Tode und also auch von einem allein wahren Gott gar nichts weißt und uns nur den ewigen Tod vorpredigst, nicht geziemt, also zu reden, als ob du allein alle Weisheit der ganzen Welt in dir hättest, und als ob du uns, die um ein zehntausendfach Besseres wissen, mit deinem alten Diogeneskrame belehren wolltest, gerade als ob wir noch nie etwas davon gehört hätten, sondern wir wollen nun nur euch armen Blinden etwas Besseres geben; und unter diesem Punkte nur geziemte sich das für dich nimmer, was sich für uns nun geziemt euch gegenüber! Ihr müsst ja nur uns anhören, nicht aber wir euch, da wir ja ohnehin nur zu gut wissen, wie ihr steht, und worin eure innere diogenesische Weisheit besteht, die bei euch auszufegen unsere Aufgabe ist. Und darin liegt auch so annäherungsweise eben die Bedeutung meines Sprichwortes.“

03] Sagte die Priesterin: ”Sei die Bedeutung deines Sprichwortes nun, wie sie wolle, so hast du es dennoch nicht als ein dem Anscheine nach seiender Grieche, der auf Bildung. Art, Sitte und Humanität alles halten soll, sondern als ein so recht roher Jude hier angewandt. Allein ich sage dir nun das also, damit du sehen kannst, daß wir uns hier auf einem feineren sittlichen Boden bewegen, als auf welchem vielleicht bei euch zu Jerusalem das Volk Gottes sich bewegt.

04] Es wäre wahrlich der Mühe wert, den Gott näher kennen zu lernen, der sich solch ein Völkchen zu dem Seinen erwählt hat! Wahrlich, das sage ich dir: der Gott wäre ein sehr bedauerliches Wesen! So du uns belehren und uns den Diogenes ausfegen willst, da mußt du ganz anders mit mir zu reden anfangen, sonst wirst du als nur ein Jünger des großen Meisters - und das sicher gerade nicht der bevorzugteste - mit uns eben nicht die besten Geschäfte machen! Nimm dich daher ein wenig besser zusammen!“

05] Sagte der Schriftgelehrte: ”Lassen wir nun das, und gehen wir gleich zu der Hauptsache über! Siehst du aber nicht ein, daß wir Jünger alle an einen wahren Gott und an die Unsterblichkeit der Seele des Menschen glauben? Ja, warum denn hernach ihr nicht? Wir sind hiervon alle vollkommen überzeugt und sind doch auch Menschen! Wie kommt es denn hernach, daß ihr gar keine Überzeugung habt von allem dem, was nun doch schon von jedem nur ein wenig tiefer denkenden Menschen als eine ausgemachte Sache betrachtet und auch ganz gründlich eingesehen wird?

06] Seht, ich kann es euch sagen, woher das kommt: das ist eine Strafe von dem wahren Gott Israels für euch, daß ihr euch darum stets von dem schrecklichen Gefühle des ewigen Todes plagen lassen müsset, weil ihr die einst gehabte höhere Lebenswahrheit den Völkern vorenthalten und sie, statt mit der lichten Wahrheit, nur mit allerlei Lug und Trug wegen eures zu großen Wohllebens und Nichtstuns abgespeist habt!

07] Ihr habt euch dem Volke als die wahren Diener und unsterblichen Freunde der Götter gezeigt und verlangtet oft große und mitunter sogar höchst grausame Opfer von dem armen, von euch durch und durch belogenen und betrogenen Volke; dafür aber hat Gott euch das innere, überzeugende Gefühl des Seelenlebens genommen und das Gefühl des ewigen Todes in euch gelegt, und darin besteht nun eure große Weisheit, daß ihr fühlet und klar gewahret, daß der ewige Tod in euch haust!

08] Aus eben diesem Grunde könnt ihr auch nicht mehr irgend dahinterkommen, wo der noch gleichfort bestehende Verkehr zwischen den hier lebenden Menschen und den abgeschiedenen Seelen noch ebenso fortbesteht, wie er allzeit bei Menschen bestanden hat, die bei der alten Wahrheit geblieben sind.

09] Nun aber sei euch noch etwas gesagt! Das überaus lächerlich dumme Heidentum ist bei euch nun ausgefegt, und ihr werdet es hoffentlich fürder nimmer aufrichten; nehmt daher die Lehre, die ihr von euren braven Männern schon erfahren werdet, in eure Herzen auf und lebet und tut danach, so wird das in euch wieder zurückgekehrte überzeugende Gefühl des Lebens der Seele nach des Leibes Tode sich schon wieder einfinden und wird euch erkennen lassen den einigen, wahren Gott und Herrn, der euch nicht für den ewigen Tod, sondern nur fürs ewige Leben erschaffen hat, so ihr euch desselben würdig machen wollt auf dem Wege einer ganz anderen Weisheit als auf dem eures dümmsten Diogenes! - Hast du mich verstanden?“

10] Sagte die Priesterin: ”O ja, recht gut! Hast wohl recht klug geredet nun, aber leider nur Worte, wie wir ähnliche auch gar oft von unserem verstorbenen Mentor vernommen haben! Die Worte an und für sich sind recht gut, - nur schade, daß sie für uns keine irgend überzeugende Kraft und Macht haben! Wenn sich einst, etwa schon vor einigen tausend Jahren, unsere Eltern von irgendeinem wahren Gotte abgewandt haben, so können wir dafür doch unmöglich eine Schuld tragen, derentwegen derselbe einige und einzig wahre Gott auf uns schuldlose Nachkommen jener gewesen sein sollenden Frevler noch immer einen solchen Haß haben sollte, der unsere Gemüter in einem fort mit dem ewigen Tode plagt! Nun, wenn so, da danken wir euch für euren einigen, wahren Gott! Da gibt uns unser Diogenes mit der Lehre der zu erwartenden ewigen Vernichtung einen viel größeren Trost als du uns nun mit der Aussicht auf die Wiedergewinnung des Gefühles ewigen Lebens in unseren Seelen! Nein, das wäre mir ein schöner allweisester und allmächtiger Gott, der einen so unbändigen Zorn gegen ein Geschöpf festhalten könnte, daß denselben alle die vielen tausend vergangenen Winter nicht endlich einmal abzukühlen imstande sein sollen!

11] Ich könnte mir einen wahren Gott höchstens nur unter dem Begriffe einer höchsten und reinsten Liebe vorstellen, weil die Liebe das eigentlich alles zeugende und belebende Element ist; aber unter dem Begriffe eines höchsten Zornes mir einen Gott vorstellen, das wäre für mich etwas rein Unmögliches und Undenkbares! Wir Heiden haben wohl auch Zorngötter, - allein die haben als symbolische Bilder ihren Sitz in der Unterwelt, weil von dorther selten etwas Gutes zum Vorscheine kommt; denn in den unterirdischen Löchern und Höhlen wohnen gewöhnlich Schlangen, Drachen und reißende wilde Bestien, und auch Schwefel, Pech und fürchterliches alles verheerendes und verzehrendes Feuer haben darin ihre Wohnstätten. Weil darin so böse Dinge hausen, so haben wir alle die schlechten und bösen Leidenschaften unter den finsteren Zerrbildern in die Unterwelt gesteckt.

12] Aber unsere Begriffe von den guten Göttern sind alle derart, daß sie sich aus der reinen Liebe ganz gut ableiten lassen. Mächtiger und weiser Ernst, mit Liebe gepaart, ist das, was wir uns als einen gültigen Begriff für einen Gott aufstellen, der irgend in oder über den Sternen wohnt, und für den Begriff des häßlichen Zornes und der verabscheuungswürdigen Rache haben wir die Symbole der Furien. Und so, Freund, haben wir Heiden immer noch die besseren und vor jeder reinen Menschenvernunft billigeren Begriffe von einem wahren Gottwesen! - Was sagst du nun dazu?“



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