Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 6, Kapitel 78


Gespräch zwischen dem Wirt und dem Obersten über Jesus. Jesus im Norden von Galiäa.

01] Am Abend begaben wir uns wieder zurück, und als wir ins Haus traten, da war denn auch ein, reichliches Abendmahl für uns bereitet, und vom Obersten, der die zwei Edelfische zum Geschenke erhielt, wartete ein Bote auf den Wirt, ihm zu überbringen des Obersten Dank und einen Korb voll frischer Eier, von den großen Hühnern des Obersten gelegt.

02] Der Wirt bedankte sich dafür und sagte: ”So ich wieder einen solchen Fisch fangen werde, da werde ich auch wieder des Obersten gedenken.“

03] Da sagte aber der Bote: ”Es wird das dem Obersten sicher eine große Freude machen; aber er erfuhr, daß sich hier der berüchtigte Prophet aus Nazareth zeitweilig aufhalten soll. Der Oberste möchte mit dir darüber selbst reden, und so würdest du ihn auch sehr erfreuen, so du zu ihm kämest und ihm darüber einen rechten Aufschluß gäbest. Wann kannst du zu ihm kommen? Bestimme selbst die Zeit!“

04] Sagte der Wirt: ”Mein lieber Freund, gedulde dich nur ein paar Augenblicke! Ich werde mich zuvor noch mit einem Freunde beraten, weil ich von morgen an etliche Tage hindurch ein Geschäft mit ihm vorhabe, bis wann wir fertig werden, - dann werde ich schon kommen und dem Obersten den rechten Aufschluß geben über den seltenen, wunderbaren Menschen aus Nazareth, den ich wenigstens recht wohl zu kennen glaube.“

05] Hierauf kam der Wirt zu Mir in unser Speisezimmer und fragte Mich, was er da tun solle.

06] Ich aber sagte: ”Gehe hin zu ihm heute noch, obwohl es schon abendlich geworden ist, und sage: Ich sei hier und werde hier verweilen, solange es Mir belieben werde. Wer aber wider Mich etwas hätte, der solle kommen und für sich mit Mir Selbst seine Sache abmachen. Denn Ich gebe für Mich Selbst Rechenschaft und sonst niemand in der ganzen Welt. Gehe hin und sage ihm das, und er wird mit dieser Auskunft ganz zufrieden sein! Sonst aber rede nicht viel von Mir zu ihm!“

07] Mir dem Bescheide ging der Wirt schnell zum Boten hinaus und mit ihm auch schnell zum Obersten, der eben nicht gar weit vom Wirte sein Wohnhaus hatte, freilich wohl innerhalb der Stadtmauer.

08] Als unser Wirt zum Obersten kam, da war dieser froh, weil ihn die Gier schon sehr plagte zu erfahren, was an der Sache mit Mir sei. Nach einer gegenseitigen freundlichen Begrüßung fragte der Oberste sogleich, was da daran sei, daß man sage, der berüchtigte Prophet halte sich bei ihm, dem Wirte nämlich, auf und treibe da sein unheimliches Wesen.

09] Darauf sagte der Wirt, was zu sagen Ich ihm zuvor in den Mund gab.“

10] Darüber aber machte der Oberste eine finstere Miene und sagte: ”Aber wie kannst du als ein bekannter Mann und Wirt einen solchen nun schon allgemein verfolgten Menschen in deinem Hause beherbergen?“

11] Sagte der Wirt: ”Das ist als Gastwirt und Herbergsgeber meine Pflicht; denn ich darf vor niemand meines Hauses Türen schließen, sei er, wer er sei, und komme er, woher er kommen wolle. Ich habe nicht einmal das Recht, einen Dieb und Räuber hinauszuschaffen und ihn zu fragen, was er da wolle, weil eine rechte Herberge auch von ihm respektiert wird. Dazu ist meine Herberge eine ganz freie, in der volle sieben Tage hindurch sogar kein Verbrecher ergriffen und vor ein Gericht gestellt werden darf nach den Gesetzen Roms. Wenn aber das alles sich also verhält, warum sollte ich den berühmtesten Mann, den je die Welt hatte, nicht beherbergen, da er fürs erste nie jemandem etwas schuldig geblieben ist und fürs zweite der allerfreundlichste und beste Mensch ist, der mir je irgendwo und -wann vorgekommen ist?!

12] Er hat aber ja ohnehin am Sabbat in der Schule gepredigt. So du etwas wider ihn hast, so wäre da ja gerade der rechte Ort gewesen, ihn zu ergreifen und zur Rechenschaft zu ziehen! Ich als Wirt habe dazu kein Recht. Er ist aber nun noch bei mir; wenn du wider ihn etwas hast, so steht es dir so wie jedem andern Menschen ganz frei, selbst hinzugehen und dich mit ihm zu verständigen. Denn er sagte es mir ausdrücklich, daß da für ihn niemand in der ganzen Welt Rechenschaft zu geben habe; denn er stehe ganz allein für sich da, und soviel ich aus der Erfahrung weiß, scheut er niemanden und hat vor gar keinem Menschen irgendeine Furcht. Wohl aber dürfen die Menschen alle ihn fürchten, denn die Macht seines Willens geht ins Endloseste. Was er nur will, das geschieht und ist da.

13] Oder hat er nicht im vorigen Jahre deines Vorgängers Jairus Tochter vom Tode wieder zum Leben erweckt, was du sicher wissen wirst?! Und also ist er ein wahrster, wenn an und für sich auch unerforschbarer Wohltäter der Menschen. Was sollte ich da einen solchen Menschen nicht beherbergen, solange er bei mir die Herberge nehmen will?!“

14] Sagte der Oberste: ”Du bist in deinem Rechte, das weiß ich sehr wohl, und niemand kann dir da etwas in den Weg legen. Nur laß du dich etwa nicht berücken, an ihn zu glauben, daß er der verheißene Messias der Juden sei! Denn er streut solche gotteslästerliche Lehre im Volke aus, und ich weiß es nur zu gut, daß nun schon gar viel Volkes an ihn glaubt, weil er seine Lehre mit allerlei Zaubereiwerken bekräftigt, die er zum größten Teile sicher mit Hilfe des Beelzebub bewerkstelligt. Nur das wollte ich dir eigentlich gesagt haben, und es war mir darum sehr angenehm, daß du noch heute zu mir gekommen bist.“

15] Sagte der Wirt: ”Wahrlich, deshalb wäre es nicht nötig gewesen, mich zu dir rufen zu lassen! Denn da bin ich selbst ein in aller Welt zu erfahrener Mensch und besitze so viel Urteilskraft, um etwas Falsches vom Echten zu unterscheiden! Wir alle kennen den wunderbaren Menschen beinahe von seiner Geburt an und kennen seine Eltern, die da Menschen waren, die allzeit streng nach den Gesetzen lebten und handelten und somit wahre Muster des Gehorsams gegen Gott und gegen alle Seine Anstalten waren. Wenn sie aber das waren, wie sollte dann dieser eine, und zwar nach dem Zeugnisse Josephs, des frommen Zimmermanns, frömmste, wohlerzogenste und gehorsamste Sohn mit dem Beelzebub in Verbindung stehen und seine wahrhaft göttlichen Wunderwerke mit dessen nichtigster Hilfe verrichten?!

16] Wer über ihn ein vollgültiges Urteil schöpfen will, muß ihn nach allen seinen Seiten und Verhältnissen zu erkennen sich die Mühe geben; dann erst kann er mit Recht sagen und behaupten: "So und so steht es mit dem Menschen!" Das ist so meine Ansicht. Aber einen Menschen gleich zu verdammen, ohne ihn selbst näher kennengelernt zu haben, finde ich gar keiner richterlichen, und am wenigsten einer priesterlichen Klugheit angemessen. Es wundert mich von dir, gleich den alten, bösen Weibern vom bloßen Hörensagen also zu urteilen über jemanden, den du nie gesehen und nie gesprochen hast. Gehe hin, und rede selbst mit ihm, - dann erst urteile über ihn!“

17] Hierauf wußte der Oberste nichts zu sagen und dachte bei sich nach, was er tun solle.

18] Nach einer Weile erst sagte er (der Oberste): ”Du hast zwar recht, und wäre ich kein Oberster, so würde ich wahrscheinlich ebenso denken wie du; aber ich bin der Oberste von hier und muß tun nach meiner Pflicht. So ich aber jemanden vor mir habe, wie du da einer bist, so denke und handle ich dann auch nicht als ein Oberster, sondern als ein Mensch. Wäre ich aber mehr Templer als ich bin, so hätte ich laut Auftrag des Tempels den Menschen aufgreifen und ihn nach Jerusalem ausliefern müssen. Weil ich aber mehr Mensch als ein Oberster bin, so ließ ich ihn sogar in der Schule predigen und ging selbst nicht dahin, auf daß es den Schein habe, als hätte ich davon keine Kunde. Aber der sonst sehr klug und weise sein sollende Nazaräer habe da eine höchst mystische und für niemand verständliche Rede gehalten und soll am Ende beinahe allein in der Schule gewesen sein. Na, wenn ich abkommen kann, so komme ich morgen oder übermorgen einmal hinaus; denn wenigstens sehen möchte ich ihn denn doch!“

19] Hierauf sagte der Wirt: ”Tue das; ich stehe dafür, daß dich dessen niemals gereuen wird!“

20] Darauf empfahl sich der Wirt und kam bald zu uns und erzählte Mir, wie er mit dem Obersten geredet habe.

21] Ich aber sagte zu ihm: ”Du hast ganz gut geredet, da Ich dir doch Selbst die Worte in den Mund gelegt habe; aber dessenungeachtet bleibt der Oberste dennoch Templer, und so er einen neuen Antrieb, Mich zu verfolgen, von Jerusalem bekäme, so würde er das mit allem Eifer tun. Aber also ohne Antrieb ist er ein zu großer Freund der lieben Bequemlichkeit und läßt uns gehen und tun, was wir gewisserart wollen. Ob er aber Meinetwegen hierher kommen wird, das ist eine Frage, auf die schwerlich eine Antwort erfolgen wird; denn so der Oberste morgen erwachen wird, da wird er sich dessen, was du mit ihm geredet hast, kaum mehr erinnern. - Nun aber lasst uns zur Ruhe gehen; denn der Berg hat des Leibes Glieder müde gemacht!“

22] Darauf erhoben sich alle von ihren Sitzen und begaben sich in die bestimmten Schlafkammern, die bei unserem Wirte ganz gut eingerichtet waren.

23] Von nun an blieb Ich noch zwei volle Tage allda, in welcher Zeit sich aber nichts von irgendeiner Bedeutung ereignete. Nur am dritten Tage morgens ging Ich mit den Jüngern und mit dem Wirte hinaus und gebot dem Meere Ruhe. Und alsbald legten sich die Wogen, und die Fischer eilten bald darauf an ihr Geschäft, da sie ohnehin schon bei fünf Tage lang hatten ruhen müssen, was ihnen eben auch nicht geschadet hatte.



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