Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 176


Johannes enthüllt das Leben des Aziona.

01] Aber Johannes sagte: ”Ich staune über deine Beredsamkeit und über deine Lebensansichten, die teilweise wahrlich gar nicht zu verwerfen sind; aber in der Hinsicht, daß du meinst, dies Leben habe gar keinen Wert und sei bloß nur ein Spiel der großen Natur, - wahrlich, da bist du sehr irre daran! Hast du denn nie etwas von einem Gott gehört, der Himmel und Erde und alles, was da ist, aus Sich heraus erschaffen hat? Man bemerkt ja doch auch mit Leichtigkeit eine gewisse Ordnung in allem, was da ist: Die Zwecklichkeit der Glieder eines Tieres und noch mehr eines Menschen! Wie wohlberechnet das Auge und das Ohr!

02] Kannst du bei nur einigem höheren Denken wohl annehmen, daß das alles allein nur ganz tote und lebensstumme Gesetze getan haben?! Oh, da bist du trotz deiner vermeinten größten Weisheit noch sehr armselig daran, und es ist mir sehr leicht begreiflich, warum du dies Erdenleben gar so verächtlich und wertlos findest! Du hast zwar mit deiner Gesellschaft viele Länder mit manchen beträchtlichen Beschwerden durchwandert, hast viel gesehen und erfahren, - aber um den besten Teil des Lebens hast du dich noch nie bekümmert!

03] Im Anfange hast du dich nur fürs materielle Heil des Lebens geopfert. Es wollte dir aber, wie es schon so manchmal in der Welt sich fügt, die Sache nicht glücken; denn ein gar besonders ausgezeichneter Magier warst du nicht und besaßest dazu auch viel zu wenig derjenigen äußeren Weltklugheit, durch die allein man die Welt vom Aufgange bis zum Niedergange so recht breitschlagen kann. Du konntest dir also dein früher sooft geträumtes Erdenlebensglück mit Hilfe deiner Kunst, die, wie gesagt, nicht zu sehr weit her war, nicht erringen, trotz deiner weiten Reisen. Ich werde dir aber den ganz einfachen Grund auch noch dazu sagen, damit du erfahrest, wie man durch den festen Glauben auch das Innerste und Verborgenste eines Menschen herausbringen kann.

04] Siehe, du warst dir so in deinem Herzen sehr wohl bewußt, daß du in allen deinen Künsten und Wissenschaften nur ein purer Stümper warst und auch nicht hast wagen dürfen, in irgendeiner großen Stadt im Angesichte sehr gebildeter, wohlerfahrener und verständnisvoller Menschen deine nichtssagenden Künste zu produzieren, und doch hättest du nur in den Großstädten dir reichliche irdische Schätze zu sammeln vermocht! Du mußtest dir also stets nur so ein recht dummes Volk aufsuchen, das sich leichter über den Daumen drehen ließ. Ein solches hast du auch zuweilen gefunden; aber da ein dummes Volk auch stets ein armes ist, so konnte da für dich nie ein Gewinn herausschauen.

05] Darauf wurdest du toll, als du nach Illyrien kamst und durchaus schlechte Geschäfte gemacht hattest. Da kam im Dorfe Ragizan ein Grieche zu dir, pries dir Athen an und versprach dir dort goldene Berge. Dieser Grieche war aber ein gewöhnlicher Küstenfahrer mit seinen Booten, und es war ihm nur darum zu tun, Fahrgäste nach Griechenland für seine leeren Boote zu bekommen. Ob du in Athen etwas gewinnen werdest oder nicht, das war ihm ganz einerlei. Kurz, du verdingtest dich mit dem Griechen nach Athen und kamst nach einer langweiligen, dreiwöchigen Fahrt ganz glücklich und wohlbehalten in Athen an, allwo du in der alten, kunstklassischen Stadt gleich bei der ersten Produktion weidlichst ausgepfiffen worden bist.

06] Das ärgerte dich und deine Gesellschaft sehr, und du fingst infolge deiner Erfahrungen an, mit den Griechen als ein Weiser zu verkehren, und fandest bald recht viele Zuhörer, die dich für deine Erzählungen gerne sogar groschenweise zahlten; denn niemand hört so gerne von gemachten Reisen erzählen wie eben die reiselustigen Griechen. Als du also mit den Griechen eine Zeitlang verkehrt hattest, machtest du Bekanntschaft mit einer Art Weisen nach der Lehre eines gewissen Diogenes. Diese gefielen dir, weil sie trotz ihrer ersichtlichen Armut sehr heiter und voll guter Dinge waren. Dir kam das sonderbar vor, daß Menschen, in der tiefsten Armut steckend, weise Reden führend und im Essen und Trinken stets höchst mäßig seiend, so heiter und zufrieden sein können. Du fingst an, dich stets näher und näher um den Grund zu erkundigen, und er wurde dir gezeigt.

07] Als du und deine Gesellschaft in solche Lebenszufriedenheitslehre eingeweiht waret, beschlosset ihr bald, hierher heimzukehren, von wo ihr ausgegangen seid, und irgend in der Nähe der Stadt Cäsarea in einer herrenlosen Gegend euch niederzulassen und da eine zwar arme, aber möglichst glückliche Menschenkolonie zu gründen. Und wie ihr vor ungefähr zehn Jahren hier angekommen seid und euch allhier angesiedelt habt, so seid ihr noch.

08] Ihr habt als geborene Juden die Lehre eurer Väter, die ihr freilich nie ernstlich gehandhabt habt, weil ihr euch an den Handlungen der Pharisäer gestoßen habt, verlassen und habt jene euch weiser dünkende der Heiden angenommen. Auf diese Art seid ihr aber dann vollends gottlos geworden und habt an Gottes Stelle die Macht der großen Natur gesetzt. Mit dem meint ihr den Stein der Weisen gefunden zu haben!? Aber ich sage es dir und kann es mit dem besten Gewissen von der Welt sagen, daß ihr euch dadurch vom selben nur stets weiter und weiter entfernt habt!

09] So du ein wahrhaft Weiser bist, da zähle nun du mir auf, was ich von meiner Jugend an getan habe, was ich gelernt habe, was ich war, und was ich nun so ganz eigentlich bin! Ich aber habe dir ganz kurz, doch offenbar nicht mit einer Silbe unrichtig, dargestellt, wie es dir nahe von deiner Geburt an in der Welt ergangen ist, und so es die Zeit gestatten würde, hätte ich dir auch haarklein dein ganzes Leben beschreiben können! Urteile nun aber selbst, wer von uns beiden der Weisere ist, ich mit meinem ungezweifelten Vollglauben, oder du mit deinem vollen Unglauben!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 5  |   Werke Lorbers