Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 173


Der Stoizismus der Bewohner des Fischerdörfchens.

01] Der Wirt eilt mit Weib und schon erwachsenen Kindern in seine Hütte, kommt aber bald voll Freude und Dank zurück und sagt im freudigsten Tone: ”Wer von euch hat mir denn geheim das getan? Meine Speisekammer ist ja doch so vortrefflichst ausgestattet, daß wir alle ein volles Jahr daran zu zehren haben! Ja, nun mögt ihr euch ein Jahr lang hier aufhalten, und wir werden mit dem großen Vorrate nicht zu Ende kommen! Wo ich und die Meinen aber nur unsere Augen gehabt haben müssen, daß da niemand bemerkt hat, wie ihr meine Kammer mit so viel Speisen angefüllt habt?! Ja, jetzt werden wir keine bloß im ungesalzenen Wasser gesottenen Fische essen, da wir des Salzes in einer großen Menge haben! Aber nun zur guten Arbeit!“

02] Als alles Volk dieses Dörfchens sich des Mittags wegen in die Hütten begab, sagte Ich zu den Zwölfen: ”Was haltet ihr von diesen Menschen hier?“

03] Sagte Petrus: ”Ja, was soll man von ihnen eigentlich halten?! Sie scheinen ganz ehrliche Leute zu sein; daß sie arm sind, nun, dafür können sie nicht. Das Fischerhandwerk und ein steiniger Boden haben noch nie jemanden reich gemacht, was ich aus einer vieljährigen Erfahrung der Wahrheit gemäß vollauf beweisen kann. Und solche Fischer sind auch diese; sie haben vielleicht am ganzen Meere die schlechteste Bucht. Ihre Hütten stehen zwar auf Felsen; aber es wächst auf solchem Boden und Grunde oft nicht ein Grashälmlein. Woher sollte ihnen da ein Reichtum erwachsen?

04] Also müssen sie auch ehrlich verbleiben; denn in dieser Gegend gibt's weder etwas zu stehlen und noch weniger irgend etwas zu rauben. Und so einen Dieb und einen Räuber nur die Gelegenheit zeiht, da müssen diese Menschen dann ja schon für ihr ganzes Leben ehrlich bleiben; denn bei diesen Menschen kann das alte Sprichwort 'Gelegenheit macht Diebe!' niemals in Anwendung kommen. - Das ist so meine Meinung über diese Menschen, die sicher keine Schriftgelehrten sind, und unter denen sicher auch kein Pharisäer ist.“

05] Sage Ich: ”Für diese Welt ist dein Urteil ganz richtig; aber hinter dem diesweltlichen Stande eines Menschen gibt es, wie ihr nun schon vielfach wisst und erfahren habt, einen seelischen und am Ende einen rein geistigen. Wie meinst du, daß diese Menschen da bestellt sind?“

06] Petrus zuckt da mit seinen Achseln und sagt: ”Herr, darüber aus sich selbst ein endgültiges Urteil zu schöpfen, wird etwas schwer hergehen! Doch insoweit sie als höchst einfache und notwendig ganz ehrliche Leute dastehen, da dürften sie zum mindesten ein recht fruchtbarer Boden für eine geistige Aussaat sein! Denn wie es ein leichteres ist, für einen wohlgebauten Leib einen gutpassenden Rock zu machen als für einen verkrüppelten und verhöckerten, so sind auch solche einfachen und naturreinen Seelen sicher schmiegsamer für ein geistiges Gewand als die höchst verkrüppelten und verknöcherten Seelen der Pharisäer und Schriftgelehrten. Ich meine, so man bei guter Gelegenheit diesen Menschen vom Reiche Gottes auf Erden etwas vortrüge, so würden sie auch bald im reinen sein. - Nun, das ist wiederum so meine ganz natürliche Meinung; kommen darin auch keine Glanzworte vor, so dürfte aber damit doch der Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen sein!“

07] Sage Ich: ”Ganz gut geurteilt; daher werden wir ihnen auch nachher auf den Zahn fühlen und sehen, inwieweit sie für etwas Höheres zugänglich sind! Ich aber werde hier nicht als Lehrer auftreten, sondern das werdet ihr tun als Ausgesandte und selbst Jünger des Weisen aus Nazareth. Erst so sie euch angehört und das Wort von der Ankunft des Reiches Gottes auf Erden angenommen haben werden, dann erst mögt ihr auf Mich also hinweisen und sagen, daß Ich eben Derjenige bin, von dem ihr gepredigt habt.

08] Und so werden wir hier auf diesem kleinsten und unansehnlichsten Orte der ganzen Erde ein ganz großes Werk verrichten! Aber für zu leicht müßt ihr die Arbeit zum voraus nicht ansehen; denn so einfach diese Menschen auch zu sein scheinen, so kompliziert und dabei sehr verwirrt sind sie in ihrem Innern!

09] Sie dünken sich für Weltweise und stecken bis über die Ohren im sogenannten Stoizismus, der am schwersten zu bekämpfen ist. Ich habe euch darum eigens hierher geführt, um euch eine Gelegenheit zu verschaffen, auch mit derlei Menschen euch nun zu versuchen, indem ihr beim alten Markus gar sehr vieles in der wahren, innersten Weisheit gewonnen habt.

10] Aber das sage Ich euch zum voraus, daß ihr euch werdet sehr zusammennehmen müssen! Denn niemandem ist schwerer ein Gesetz wirksam zu geben als einem, der vor den sogar größten Unannehmlichkeiten des Lebens, ja sogar vor dem schmerzhaftesten Tode des Leibes, nicht die allergeringste Furcht besitzt und jede noch so große Glückseligkeit des Lebens für gar nichts achtet. Und das sind eben solche Helden, die sich aus allem nichts machen, aber auch auf keine andere Tugend etwas halten als allein auf die, ihre Bedürfnisse so klein zu machen als möglich, und die bloß deshalb leben und etwas tun, weil sie die Natur, die bei ihnen alles in allem ist, einmal ins Leben gerufen hat.

11] Solche, wie diese hier, sind uns noch gar nicht untergekommen! Daher ist hier sich zusammenzunehmen! Wenig Worte, - aber da darf keines ohne einen Kern vor sie gebracht werden! Das Beste an ihnen ist, daß sie bei allem ihrem Stoizismus sehr neugierige Vögel sind und die Wissenschaft eines Menschen allein für etwas halten. - Jetzt aber kommt schon unser Wirt samt seinen Angehörigen und bringt in einem Korbe Fische und Brot. Wir werden sonach das Mittagsmahl hier unter dem Schatten dieses Baumes zu uns nehmen.“

12] Hier kommt der Fischer, sein Weib und seine Kinder und setzen den Speisekorb vor uns nieder.

13] Beim Niedersetzen des Korbes sagt der Fischer: ”Hier, meine unbekannten Freunde, ist das verlangte Mittagsmahl! Tische, Bänke und Stühle, Schüsseln und mehrere zum Essen dienliche Werkzeuge besitzen wir nicht, und unsere Bedürfnisse, die sehr klein sind, können auch ohne derlei ganz gut befriedigt werden. Zugleich aber waren auch unsere Mittel stets derart gering, daß wir derlei immerhin etwas unnötiges Zeug nie hätten anschaffen können. Wir essen nur, wenn es uns sehr hungert, und da sind ein Korb und unsere Hände hinreichend; das andere versteht sich von selbst! Ich wünsche, daß euch dies einfache Mittagsmahl wohl bekomme.“



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