Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 5, Kapitel 49


Der Unterschied zwischen Lebensklugheit und Betrug.

01] Sagt Raphael: ”Lieber Freund, ich muß dir offen gestehen, daß mit dir wahrlich etwas schwer zu reden ist; denn du gehst einmal von dem Grundsatze aus, daß ein jedes Mittel nur durch die Absicht und den Zweck geheiligt wird, und ich kann dir dazu unmöglich etwas anderes sagen, als daß du bei allem guten Willen und bei aller deiner Verstandesschärfe auf dem Holzwege bist, und daß du von allem von mir dir Gesagten mit aller deiner noch so reinen Vernunft noch durchaus nahe nichts eingesehen hast!

02] Du siehst nur die irdischen Vorteile und das irdische Glück der Menschen, weil du von den geistigen Verhältnissen eigentlich noch gar keine Ahnung hast.

03] Man kann einen Menschen auf dieser Welt wohl ganz glücklich machen durch allerlei Täuschungen; aber man hat ihm dadurch für seine Seele und seinen Geist gar nichts Gutes, sondern nur zu oft im Ernste etwas sehr Schlechtes erwiesen.

04] Du hast mir ein paar Beispiele aus deinem Leben erzählt, wo ich beim ersten eben nichts einzuwenden habe; denn die Behandlung der Kranken war im Grunde kein Betrug, sondern nur eine Lebensklugheit.

05] Als Betrug gilt vor Gott jede verdeckte Handlung und Verlockung der Menschen, durch die sie notwendig in einen physischen und moralischen Schaden geraten müssen. Wenn du aber eine Rede, eine Anlockung oder eine Handlung nur darum verdeckst, um deinem Bruder, der gar oft mit allerlei Schwächen behaftet ist, und dem man auf einem geraden Wege schwer oder auch gar nicht beikommen kann, auf diese Weise unfehlbar physisch und moralisch zu helfen, da ist das nur eine gute und sehr anempfehlenswerte Lebensklugheit und durchaus kein Betrug.

06] Wenn du immer mit einer Handlung, Rede oder Verlockung eine wahrhaft edle Absicht vereinigst, da hast du nichts denn eine Lebensklugheit ausgeübt, für die dir der Lohn aus den Himmeln nicht unterm Wege verbleiben wird. Und in diese Kategorie gehört dein erstes Beispiel; denn durch solche deine Klugheit hast du durchaus nichts anderes erreichen wollen als das, was du für die Kranke als vollkommen gut und nützlich erkannt hast.

07] Aber dein zweites Beispiel, obwohl es auch einen gleichscheinend gutmütigen Charakter hat, ist von einer ganz andern Art. Damit ist auf lange Zukunftszeiten der Menschheit für die wundertätige Kraft dieses eures Klosters ein falscher Beweis geliefert worden, durch den bei der allgemeinen Blindheit der Menschen sich diese Anstalt alle Goldquellen der ganzen Erde eröffnen und in einer nicht zu langen Zeit zu fabelhaften Reichtümern gelangen muß.

08] Was macht aber der irdische Reichtum, und was erzeugt er stets? Er macht die Menschen hoffärtig und herrschgierig und erzeugt Hartherzigkeit, Lieblosigkeit und stinkendsten Hochmut und dadurch Verachtung, Haß und Verfolgung der Nebenmenschen.

09] Du hast dich doch schon zum Cyrenius gehörig unlöblich über alle die Priesterschaften expektoriert (geäußert) und gezeigt, wie sie als Stellvertreter eines Gottes die arme Menschheit nicht selten auf eine allerunmenschlichste Art plagen, für sich arbeiten lassen, selbst nichts als nur den allerkrassesten Müßiggang pflegen, aber dafür die laie Menschheit mit geistigen und leiblichen Foltern zwingen, für sie zu leben, zu arbeiten und zu sterben! Du hast solche Lebensverhältnisse gehörig beleuchtet und ihre Schändlichkeit ans helle Tageslicht gestellt.

10] Ich aber sage dir ganz unverhohlen, daß alle die jetzt allenthalben noch bestehenden Priesterschaften auf viel reineren Füßen stehen denn euer Kloster; denn ihr Fundament war feste und reine göttliche Wahrheit aus den Himmeln und ward von den Menschen doch so verkehrt, daß du nun nahe nichts anderes mehr erschauen kannst als Lüge und allerlei Betrug. Was kann denn dann erst aus eurem Institute werden, das nun prinzipiell schon auf nichts als auf lauter Lüge und Trug erbaut ist?!

11] Meinst du wohl, daß eure Nachfolger sich stets ganz strikte an eure nunmaligen aufgestellten Normen halten werden? Schon in fünfzig Jahren wird darin alles ein ganz anderes Gesicht erhalten! Die Betrügereien und allerlei Zauberkünste werden noch vermehrt und verfeinert werden. Ihr werdet euch auch an die Wiederbelebung alter Personen wagen, wovon manche mehr, die andern weniger gelingen werden.

12] Ihr werdet auf den Verrat eurer Geheimnisse die grausamsten und unerbittlichsten Strafen setzen; ja, ihr werdet sogar eine Frage, wie ein und das andere eurer Wunderwerke möglich sei, als strafbar erklären! Euer Ausspruch wird sein: "Du, Volk, hast um nichts zu fragen; nur ein ungezweifelter Glaube ist deine Sache! Fehlt dir etwas, so komme, und es wird dir geholfen gegen ein vorschriftsmäßig entrichtetes Opfer! Alles Weitere hat dich ewig nicht zu kümmern!"

13] Dadurch aber werden wißbegierige Gemüter geheim erbittert werden, allerlei Forschungen anstellen und von außen her hinter eure Geheimnisse dringen. Das wird euch mit geheimer Wut erfüllen, und Rache von der fürchterlichsten Art wird den Frevlern an eurem Heiligtume geschworen und womöglich auch ohne Schonung in die vollste Ausführung gebracht.“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 5  |   Werke Lorbers