Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 175


Simons Gedanken über die geschlechtliche Beschaffenheit Jesu als Mensch.

01] Sage Ich: ”Nun bist du rein, und es ist nichts mehr in dir, das dich je in deinem Glauben an mich beirren könnte; aber nun will Ich dir und auch euch andern zeigen, welch ein dichtester Zweifelswald aus dir erwachsen wäre, wenn du dich nun dieses Zweifelskörnchens nicht entledigt hättest. Du hättest ganz einfach nach und nach also zu philosophieren angefangen:

02] Was würde daraus, so Ich Mich mit einer Maid verginge und es entstünde daraus eine Frucht im Schoße der Maid? Wenn sie männlich wäre, wäre sie auch ein Gott? Und wäre sie weiblich, was dann? Würde das das Mosaische Gesetz schwächen, so Ich Mich vergangen hätte? Würde das Meinen Gottmenschen nicht zur Behaltung des göttlichen Geistes unfähig machen? Oder wäre Ich eines solchen Aktes für Meine Person wohl fähig oder nicht? Aber wie konnte Ich die Menschen für diesen Akt beleben, so Ich Selbst desselben unfähig wäre?

03] Ist der Akt eine Sünde im Fleische und schwächt Seele und Geist, warum habe Ich dem Menschen zu seiner Fortpflanzung diesen sündigen Akt ins Fleisch und in die Seele gelegt? Hätte Ich nicht auf einem reineren Wege die Fortpflanzung bewerkstelligen können?! Ist aber dieser Akt der Fortpflanzung aus der Ordnung Gottes der allein gerechte und mögliche, so muß ihn Gott so gut begehen können wie der Mensch! Warum ist der Akt für den Menschen eine Sünde und für Gott keine; oder kann Gott unter gewissen Umständen auch gegen Seine Ordnung sündigen? Wie aber kann Gott die reinste Liebe sein, so Er auch einer sündigen Menschenschwäche schuldig wäre?!

04] Gott als Gott kann wider Seine Ordnung unmöglich sündigen! So Er aber des Menschen Natur angenommen hat, ist Sein Fleisch einer Sünde fähig oder nicht fähig? Muß auch Er gegen alle Anfechtungen des Fleisches kämpfen? Hat Er solche, wer läßt sie über Ihn kommen? Gibt es noch irgendeinen höheren und älteren Gott, der diesen jungen, nun erst werdenden mit allerlei schweren Proben festigt und im Geiste wiedergebäret? Wenn dieser junge Gott nun sündigte wie ein Mensch, könnte er auch diesem gleich verworfen werden?

05] Könnten nicht etwa die alten Ägypter recht haben mit ihrer Genealogie der Hauptgötter? Uranus erzeugte mit der Gea den Kronos (Saturn, Zeit), der seine Werke immer wieder zerstört. Der Zeus, als des Kronos Wille, wird gerettet durch die Liebe, wächst im Verborgenen groß und wird übermächtig. Des Zeus Macht versetzt den Uranus und den Kronos in den ewigen Ruhestand, herrscht ganz allein und erschafft die Menschen auf der Erde, wofür er aber nach der Bestimmung des entsetzlichen, unerforschlichen Fatums, als der urältesten Gottheit, auch mit vielem Menschlichen sehr geplagt wird. Das Fatum scheint der unbekannte große Gott zu sein; nun aber, gewisserart der Regierung müde, hat er unsichtbar und ungekannt in eine reine Dirne einen Gottfunken gelegt und hat sich nun verjüngt in diesem einen Sohn einen Regierungsnachfolger bestellt, und der steht vor uns und macht seine ersten Gottregierungsversuche!

06] Ich könnte dir wohl noch eine große Menge solcher Auswüchse mitteilen, aus denen ein solcher Zweifelswald besteht, und in welch anderes Gestrüppe und Unkraut er hinüber degenerieren kann. Aber da nun bei dir der Same vernichtet ist, so bist du rein, und es kann von einem weiteren Aufblühen des Unkrautes keine Rede mehr sein; und da du nun als ganz gereinigt dastehest, so bist du auch ganz geeignet, einer Meiner ersten Jünger zu sein.

07] Übrigens wirst du das nun einsehen, wie und warum dies Mägdlein Mir gar so in aller ihrer Liebe anhängt. Denn so sehr, wie dies Mägdlein Mich liebt, liebt Mich niemand von euch; denn eure Liebe ist mehr eine Verwunderung über Meine Weisheit und über Meine für euch unbegreiflichen Wundertaten. Dies Mägdlein aber liebt Mich ganz rein um Meiner Selbst willen, weil sie einmal weiß, wer hinter Mir daheim ist. Und das ist mehr wert, denn Mich als Gott bewundern, da es doch jedermann klar sein muß, dass bei Gott alle Dinge möglich sind. Es ist wohl das auch gut; aber das andere ist besser.

08] Was wird denn dir lieber sein: ob man dich schon darum liebt, weil du ein Mensch bist, oder nur darum, weil du als Mensch ein Weiser seist und wohl kundig bist in allerlei Künsten? Die erste Liebe geht vom Leben aus und ergreift wieder das Leben; die zweite aber geht nur vom Kunstsinne aus und ergreift nur die Kunst und Wissenschaft desjenigen, der sie besitzt. Sage nun, welche Liebe du höher achten würdest?“

09] Sagt Simon: ”Offenbar die erste! Denn wer mich schon als einen Menschen liebt, der wird mich auch als Weisen und als Künstler dann um so mehr lieben; wer mich aber in der Meinung, dass ich ein Weiser und ein Künstler sei, lieben wird, der wird mit der Liebe bald fertig werden, so er erfährt, dass ich etwa weder ein Weiser noch ein Künstler sei! Darum ist die reinste Liebe dieses Mägdleins zu Dir, o Herr, wirklich eine Musterliebe und übertrifft uns alle in einem hohen Grade!

10] Freilich, wohl liebt ein Mädchen einen Mann seiner selbst willen leichter und natürlicher, denn ein Mann wieder einen Mann; wenn aber ein Mann mit seinem Verstande und Gemüte den Wort eines Menschen, eines Bruders, tiefer betrachtet, dann wird er, seinen eigenen Wert fühlend und einsehend, auch den Nebenmenschen ohne Rücksicht auf dessen Eigenschaften achten und lieben. Und hat er in der Folge gar verborgene, sehr achtbare Eigenschaften an ihm entdeckt, so wird die Liebe zu ihm sicher desto intensiver werden! - O Herr! Jedes Deiner Worte und Lehren ist groß und erhaben und in alle Ewigkeiten der Ewigkeiten Wahrheit!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 4  |   Werke Lorbers