Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 166


Der herrliche Morgen.

01] Auf diesen wirklich heißgefühlten, wie mit aller Wärme ausgesprochenen Dank begab sich Ouran wieder auf seinen Platz zurück, und es fing im selben Augenblick die Sonne an, auf eine früher noch nie gesehene Weise sich dem Aufgange derart zu nahen, dass sich vor lauter Glanz des Horizontes kaum jemand hinzuschauen getraute. Tausend leichte Wölkchen im hellsten Lichte harrten, wie vor tiefster Ehrfurcht bebend, der herrlichen Tagesmutter.

02] Nach einigen Augenblicken fing die große Sonne im hellsten Regenbogenlichte an, über die fernen Berge sich zu erheben. Ihr Durchmesser aber schien diesmal ein zehnfach größerer zu sein denn irgend sonst wann; zugleich bemerkten viele der Anwesenden große Scharen von Vögeln, die sich in Kreisen drehten, mehr oder minder hoch, in der Luft reinsten, lichtfarbenen Wegen, welche auch der aufgegangenen Sonne eine ganz sehenswerteste Randbewegung verliehen.

03] Über der weiten Spiegelfläche des Meeres lag ein leichter Dunst, der der Sonne Regenbogenfarben auf das herrlichste reflektierte. Zugleich flog eine große Menge großer, weißer Seemöwen munter über der weiten, im Brillantlichte stehenden Meeresfläche umher, und ihre Flügel strahlten, als wären sie Diamanten und Rubine.

04] Zugleich wehte ein so angenehm kühlender Morgenduft, dass Cyrenius und viele andere mit ihm laut ausriefen: ”Nein, einen so herrlichen Morgen hat noch nie ein sterbliches Auge geschaut und keines Menschen Sinn je eine so erheiternde Morgenfrische empfunden!“

05] Auch die Jarah, die die ganze Nacht hindurch geschwiegen hatte und mit Schauen und Anhören beschäftigt war, schrie auf einmal vor Entzücken auf: ”Oh, das ist ein Morgen, wie ihn die Engel im Himmel genießen! Ach, ach, welch eine Schönheit, welch eine unbeschreibliche Anmut! Das ist auch ein entsprechender Morgen gleich dem, der uns in dieser Nacht in der allerüberschwenglichsten Fülle aufgegangen ist in unseren Herzen! Nicht wahr, o Herr, Du meine ganz alleinige Liebe, das ist wohl so ein recht bedeutungsvoller Himmelsmorgen?“

06] Sage Ich lächelnd: ”Allerdings, Mein allerliebstes Rosentöchterchen, so im Menschen alles himmlisch geworden ist, da wird auch schon alles himmlisch, was ihn umgibt! Die Morgen werden Himmelsmorgen, die Tage Himmelstage, die Abende wahre Himmelsabende, und die Nacht wird zu einer Ruhe der Himmel, aber nicht mehr finster, sondern voll des herrlichsten Lichtes für des Menschen reine, mit ihrem Geiste vereinte Seele. Genieße nur recht in vollen Zügen die stärkende Herrlichkeit dieses duftigsten Morgens!“

07] Das Mädchen weint Freudentränen und erhebt sich von ihrem Sitze, um den ganzen Leib in diesem Morgendufte so recht schwelgen zu lassen.

08] Soeben kommt auch der Wirt Markus. Da er das Morgenmahl bestellt hatte, so hatte er den Aufgang der Sonne versäumt. Aber da die Sonne im vollen und hellsten Regenbogenfarbenlichte am Himmel prangt, so fragt er Mich ganz erstaunt, was denn das für ein sonderbarer Morgen sei; denn er sei schon so ein alter Mann geworden, habe Europa, Afrika und Asien weit und breit durchwandert, aber die Sonne und die Morgenwölkchen nie in solch einem Lichte gesehen! Ich möchte ihm denn doch sagen, was das zu bedeuten habe.

09] Sage Ich: ”Siehe, so der Kaiser aus Rom hierher käme, so würden die ihm untertänigen Völker alle nur erdenklichen Feste bereiten, teils aus Freude, ihren Kaiser einmal zu sehen, und teils aber auch, um von ihm, so er in einer freudigen Stimmung sich befindet, so manche Gnade und Nachsicht zu erhalten. Siehe, hier in Meiner Person sitzt auch ein Kaiser und ein Alleinherrscher über alle Himmel und Welten!

10] Die Bewohner der Himmel, wie unser Raphael einer ist, wissen, welche großen Eröffnungen des Lebens Ich euch Menschen in dieser Nacht gemacht habe, und dass es gestattet ist, Mich unter euch Menschen, als Vater weilend und euch lehrend, von Angesicht zu Angesicht in dieser Meiner Person zu schauen. Die höchste und seligste Freude, die sie nun empfinden, lassen sie auch durch die Tätigkeit der Naturgeister dieser Erde sehen und fühlen.

11] Aber nicht nur auf dieser Erde, sondern in allen Welten der ganzen, unendlichen Schöpfung wird in dieser Zeit ein entsprechendes Fest gehalten, und zwar die Zeit von sieben Stunden hindurch. In dieser Zeit stirbt in der ganzen Schöpfung keine geschaffene Kreatur und wird auch keine gezeugt. Wenn aber die sieben Stunden werden abgelaufen sein, hat das Fest ein Ende, und alles geht den natürlichen Gang weiter.

12] Nun weißt du den Grund von der Herrlichkeit dieses Morgens! Gehe aber nun und sorge für ein besonders gutes Morgenmahl; denn auch wir wollen heute ein besonderes Fest feiern!“

13] Markus geht eiligst weiter; alle Anwesenden aber stimmen in die Freude der Himmel ein und loben und preisen Mich, am stärksten die Jarah.

14] Nachdem Mich alle bei einer guten Stunde lang über die Maßen gelobt und gepriesen haben, kommt Markus, uns zum bereiteten Morgenmahle zu bitten. Aber viele möchten nun noch länger auf dem Berge verweilen.

15] Da aber sage Ich zu allen: ”Unten bei den im Freien stehenden Tischen weilet derselbe Morgen wie hier oben auf dem Berge; auf dem kurzen Wege hinab genießt ihr ihn, und unten werdet ihr ihn doppelt genießen! Unsere Leiber bedürfen einer Stärkung, und daher gehen wir behende hinab zu den Tischen!“



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