Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 115


Jarah und die Naturgeister.

01] Sagt nun die nebenan ruhende Jarah: ”Aber Herr! Was sind denn das für kleine Männlein? Sie kamen vom Walde her und umlagern uns nun scharenweise in allen Farben! Einige scheinen ein dunstiges Kleid zu haben; Die meisten aber sind ganz nackt und haben aber alle die Größe von kaum zwei Jahre alten Kindern.“

02] Sage Ich: ”Das sind diesirdische, schon konkrete Menschenseelen, die den Weg des Fleisches noch nicht durchgemacht haben. Sie haben auch bis jetzt noch keine besondere Lust dazu, weil sie eine neue Einkerkerung in die Materie zu sehr fürchten. Die Bekleideten haben sogar eine Art Sprache, die freilich nicht gar weit her ist; aber eine gewisse Affenintelligenz besitzen alle!“

03] Sagt die Jarah: ”Würden die Bekleideten mich verstehen, so ich sie anredete?“

04] Sage Ich: ”Versuche es einmal auf gut Glück!“

05] Hierauf nimmt sich die Jarah einen Mutanlauf und fragt einen dunstbekleideten Lichtblauen: ”Wer seid ihr denn, und was wollt ihr hier?“

06] Das lichtblaue Männlein tritt nun ganz knapp zur Jarah hin, glotzt sie recht starr an und sagt darauf: ”Wer gebot dir, du stinkendes Fleisch, uns Reine zu fragen?! Bis auf den einen und bis auf noch einen stinkt ihr alle gar ekelhaft nach der Materie; und das ist der größte Feind unserer Nüstern! Frage du in der Folge uns erst dann, du stinkendes Aas, wenn du vom allmächtigen Geiste aller Geister dazu ein Gebot erhalten haben wirst, - sonst sorge du dich, wie du deines fleischlichen Mottensackes auf eine gute Art ledig wirst!“

07] Frage Ich die Jarah: ”Nun, Mein Töchterchen, wie schmeckt dir diese Antwort?“

08] Sagt die Jarah: ”Herr, Herr, ach, diese Wesen sind ja ganz ungeheuer roh und grob! Bin ich denn wohl gar so ein stinkendes Aas? Ich kann mir nun vor lauter Wehmut nicht helfen; ja ich könnte nun ganz leicht verzweifeln!“

09] Sage Ich: ”Schau, schau, Mein Töchterchen, das Geistlein hat dir ja etwas Gutes getan! Warum grämst du dich nun darob?! Das Geistlein hätte dir das freilich wohl mit zierlicheren Worten sagen können, dass in dir noch ein ganz kleines Schönheitshochmütchen ganz verborgen wohnet; aber das Geistlein ist kein Sprachkünstler, hat nur einen notdürftigen Wortreichtum und spricht so ganz eigentlich mehr aus seiner Empfindung denn aus irgendeinem Verständnisse heraus.

10] Ist dein Gemütsglück zerstört, dass du den Lichtblauen angeredet hast? Hättest du erst so einen Glühroten um etwas Ähnliches wie den Lichtblauen gefragt, der hätte dir erst eine Antwort erteilt, dass du darob vor lauter Grimm in eine Ohnmacht verfallen wärest. Aber nun bedanke dich für die Wohltat, die dir der Lichtblaue erteilt hat, dann wird es mit ihm wohl bessern Wortes zu reden sein!“

11] Jarah nimmt sich das zu Herzen und sagt sogleich zum sie noch immer starr anglotzenden Geistlein: ”Ich danke dir, liebes Männlein, für die Wohltat, die du durch deine aller Schonung baren Wörtlein mir zugefügt hast; sei mir aber darum nur nicht gram! Gelt, liebes Männchen, du wirst mir darum doch nicht gram sein oder bleiben?“

12] Hier macht das Männchen eine helle Lache und sagt, noch lachend: ”Der dir das gesagt hat, der wäre schon recht, - aber du Schneegänschen noch lange nicht; denn auf deinem stinkenden Boden ist weder der Gedanke noch der Wille dazu gewachsen! Aber erträglicher bist du mir nun schon denn zuvor; nur draußen ist dein Schönheitshochmütlein noch lange nicht ganz. Bilde nur du dir gar nichts ein; denn alles, was dein ist, ist schlecht, - das Gute gehört wem andern!“

13] Sagt Jarah: ”Aber sage mir, du liebes Männchen, woher weißt du denn das alles?“

14] Lacht's Männchen wieder und sagt: ”Was man sieht, das braucht man nicht zu wissen! Du siehst nun ja auch mehr, als was du sonst sehen konntest! Ich sehe aber noch mehr als du, weil ich kein stinkendes Fleisch um mich gehängt habe; und so sehe ich genau, wie du und ein jeder andere aus euch beschaffen ist. Ich sage dir's, bilde du dir auf alle deine Vorzüge nichts ein; denn die sind bei dir noch langehin ein fremdes Gut!“

15] Sagt die Jarah: ”Ja, wieso denn? Erkläre mir das doch näher!“

16] Sagt das Männchen: ”Wenn dir einer, der viele Reisen gemacht hat und sich dadurch mit viel Mühe und Beschwerden allerlei Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt hat, das mitteilt, was er gesehen und erfahren hat, so wirst du dann auch das wissen, was er selbst weiß und kennt; kannst du dir darauf etwas einbilden? Denn das, was du nun mehr weißt denn früher, ist ja nur ein doppeltes Verdienst dessen, der sich erstens mit viel Mühe und mit vielen Opfern solche Kenntnisse und Erfahrungen mühsam gesammelt hat, und der zweitens noch so gut war, dir das alles getreust mitzuteilen. Sage mir, ob du dir die Erwerbung solcher Erfahrungen und Kenntnisse zu einem Verdienste anrechnen kannst?

17] Sieh, da stehst du nur als ein mit viel nützlichen und guten Wissenschaften und Erfahrungen beschriebenes Buch und noch lange nicht als ein weiser Schreiber des Buches da! Wem gehört denn da das Verdienst des Guten, was im Buche geschrieben steht, dem Buche oder dem, der das alles in dasselbe geschrieben hat? Siehe, du bist ein recht beschriebenes Buch, aber ein Schreiber noch lange nicht! Darum bilde nur du dir nichts ein!“

18] Hierauf lacht das Männchen wieder und stellt sich auf wie ein Feldherr und sagt zu seinem Heere: ”Wenn ihr euch an der Gesellschaft sattgeglotzt habt, so ziehen wir wieder weiter; denn hier stinkt es mir einmal zu viel!“

19] Auf einmal ziehen sie ab und verschwinden im Walde.



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