Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 4, Kapitel 16


Die gefälschte Vollmacht des Herodes.

01] Sagt Cyrenius: ”Freund, das ist mehr denn eine Mutmaßung; das ist vollkommen reinste Wahrheit! Denn hätte der Kaiser dem Herodes auch im schnellsten Umschwunge die verlangte Vollmacht erteilt, so wäre sie in sechs Wochen unmöglich von Rom zurück nach Jerusalem gekommen, da jede Verordnung, von Rom ausgehend, bis nach Sidon bei bestem Winde schon bei vierzig Tage Zeit braucht. Übers hohe Meer, wo der Weg vielleicht wohl am kürzesten wäre, fährt ja kein Schiff; bis aber einer längs den Küsten entweder des großen Mittelländischen oder Adriatischen Meeres über Griechenland hierherkommt, braucht er wenigstens vierzig Tage, und es kann darum niemand den Weg in derselben Zeit hin und zurück machen.

02] Dazu muß ein jeder Fremde, der nach Rom kommt und vom Kaiser etwas erbitten will, zuvor siebzig Tage in Rom zubringen, vor welcher Zeit außer einem Feldherrn oder sonstigen Großamtswürdenträger wohl kein fremder Gesandter oder Privater vor den Kaiser kommt. Denn es ist einmal in Rom die Einrichtung also getroffen, dass ein jeder Fremde, der in Rom vom Kaiser eine Gnade erreichen will, zuvor der Stadt ein Opfer bringen muß dadurch, dass er in der Stadt zuvor möglichst viel verzehrt und andere Geschenke und Opfer den vielen Einrichtungen und Anstalten gebracht hat, was sozusagen nahe ein jeder Fremde, von fernen Landen kommend, gar wohl tun kann, weil er, ohne sehr reich zu sein, nicht nach Rom kommen kann und auch um keine besondere Gnade zu bitten hat. Denn für die allgemeine, unbemittelte Volksklasse sind die Gesetze und die gerechten Richter gestellt und sanktioniert; wen irgend ein Schuh drückt, der weiß es, wohin er zu gehen hat. Geht er, so wird ihm auch rechtlichst nach dem Gesetze geholfen; denn bei uns Römern gibt es keinen Unterschleif, und es gilt der Grundsatz gleichfort: 'Justitia fundamentum regnorum!' (Gerechtigkeit ist aller Reiche Grundfeste!) und 'Pereat mundus, fiat jus!' (Es gehe die Welt aus den Angeln, so geschehe doch jedem das Recht!) Das sind bei uns Römern nicht nur so leere Redensarten, sondern Sätze, die bis jetzt noch stets allergewissenhaftigst beachtet worden sind.

03] Es ist also demnach denn doch nicht unbillig, so die nach Rom Kommenden zuvor der großen Völkerstadt ein Opfer bringen, bevor sie irgendeiner kaiserlichen Gnade für würdig gehalten werden. Und es geht nun aus dem wieder hervor, dass die fünf vom Tempel Abgesandten vor siebzig nacheinanderfolgenden Tagen nicht vor den Kaiser gekommen sind und daher in sechs Wochen unmöglich eine effektive Reise von hier nach Rom und wieder zurück haben machen können. Haben sie aber das nicht tun können, so ergibt sich von selbst der sichere Rechtsschluß, dass die fünfe des Herodes Ehrenschätze an den Kaiser selbst behalten und dem herrschgierigen Vierfürsten eine nachgeäffte und somit grundgefälschte Vollmacht überbracht und überreicht haben! Herodes bildet sich nun ein, größere Rechte zu besitzen, als welche er ursprünglich mit dem Vierfürstentume von Rom aus erhalten hat. Aber es soll ihm darob ehest klarster Wein kredenzet werden!

04] Ja, nun ist es denn auch begreiflich, warum mir darüber von Rom aus keine wie immer geartete Anzeige gemacht worden ist! Denn mir als dem unbeschränktesten Gewaltträger Roms über ganz Asien und einen angrenzenden Teil Afrikas muß ja doch Kenntnis gegeben werden von allem, was immer da von Rom aus über Asien verfügt wird, ansonst ich eine mir unbekannte Anordnung von Rom aus, wenn sie sich irgend aktiv zu äußern begänne, als eine provinzielle Eigenmächtigkeit, also als einen Aufstand gegen Rom und seine Macht ansehen und sogleich mit allen mir zu Gebote stehenden Gewaltmitteln dagegen einschreiten müßte! Daher werdet ihr nun wohl einsehen, dass des Herodes Vollmacht falsch sein muß! Ist aber die Vollmacht falsch, so werdet ihr auch einsehen, dass ich fürs erste dem Herodes den Betrug entdecken muß und ihm fürs zweite die gefälschte Vollmacht abnehme, sie dem Kaiser einsende, auf dass er selbst wegen der Entheiligung seiner Person die argen Frevler bestrafe!“



Home  |    Inhaltsverzeichnis Band 4  |   Werke Lorbers