Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 205


Von der Ohnmacht der Menschen.

01] Sage Ich: ”Freund, da sieh hinauf zu den Sternen! Kennst du sie und verstehst du, was und wozu sie sind? Sollen sie darum etwa gar nicht sein, weil sie bis jetzt noch kein Mensch begreifen konnte? Begreifst du etwa, was Sonne und der Mond sind? Sollen sie darum nicht sein, weil du sie nicht begreifst?!

02] Begreifst du den Wind, den Blitz, den Donner, den Regen, den Reif, den Schnee, das Eis? Soll dies alles darum nicht sein, weil du und alle andern Menschen solches alles nicht begreifen?!

03] Begreifst du die tausend Arten der Tiere, ihre Gestalt und ihre Beschaffenheit? Begreifst du die Welt der Pflanzen und ihre Formen? Weißt du etwa, was das Licht und was die Wärme ist?!

04] Soll das alles auch darum nicht sein, weil du und alle andern Menschen das nicht fassen und begreifen können?!

05] Begreifst du etwa dein Leben, und wie du sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen kannst? Soll der Mensch etwa nicht sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen, weil er das alles nimmer begreifen kann?!

06] Da es aber schon in dieser Materiewelt so viele Dinge gibt, die die Menschheit nie in der Fülle begreifen kann, so gehe und denke darüber nur ein wenig nach und gib Mir darauf deine Ansicht kund!“

07] Sagt Schabbi: ”Herr und Meister voll göttlicher Kraft! Ich brauche darüber nicht viel nachzudenken, ich habe schon das Ganze, was du mir hiermit sagen wolltest. Du wolltest mich dahin leiten und mir zeigen, dass es sich beim Forschen in den Sphären der höhern Weisheit genau so verhalte wie in den Sphären der materiellen Schöpfung. Wir Menschen verstehen und begreifen davon eigentlich gar nichts außer das alleräußerste Bild und das, was wir davon mit unseren allergröbst-materiellen Sinnen wahrnehmen und der Form, der Farbe, dem Geruche und dem Geschmacke nach an den geschaffenen Dingen unterscheiden können. Oh, wie wenig und eigentlich gar nichts versteht und weiß der Mensch, und doch dünket er sich groß in der Weisheit zu sein und ist stolz auf sein elendes bißchen Wissen! Und was ist das, was er weiß? Nichts, aber ganz und gar nichts ist es!

08] Oh, wie blind und dumm sind doch alle Menschen! Nicht einmal so weit bringen sie es, dass sie einsähen, dass sie gar nichts sind und gar nicht einsehen und begreifen, dass sie nichts sind und gar nichts einsehen. - Das Gras wächst, und der sehende und fühlende Mensch freut sich dessen; aber was dazu gehört, das Gras zu erschaffen und wachsen zu machen und in derselben Art gleichfort zu erhalten - wer aus allen Sterblichen sieht das ein?!

09] Adam, Henoch, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Moses und Elias waren sicher die weisesten Menschen, die je die Erde getragen; sie hatten viel Licht aus Gott in sich. Aber wie das Gras wird, wächst, Samen bringt, und wie im Samenkorne die Einrichtung getroffen ist, dass aus demselben eine ewig zahllose Menge und Vielheit derselben Art des Grases hervorgehen kann, - davon hatte wohl allen den genannten Großvätern der Weisheit sicher nie etwas geträumt!

10] Wissen wir aber nicht einmal, wie das allerschlichteste Moospflänzchen wächst und sich fortpflanzt, und wie das Würmchen im Staube sich krümmt, was wollen wir von den Elementen reden und was von den fernen Sternen?! Wie wir Menschen aber da nichts wissen, da wissen und verstehen wir noch um so weniger, wer und was die Sterne sind, wozu und woraus sie gemacht sind!

11] Und siehe, großer und erhabener Meister, du wolltest mich, auf mein vollkommenstes Nichtswissen hindeutend, dahin zurechtweisen und sagen: ”Gott, der Allweiseste, stellt vieles vor die Augen des Menschen und vor alle seine äußeren Sinne und durch diese auch gleichzeitig vor die Sinne der Seele, um den Menschen zum Denken zu zwingen.“ Aber die Erklärung muß sich der Mensch selbst suchen; denn gäbe Gott ihm auch diese hinzu, so möchte der Mensch ehest träge und am Ende über alles ganz tatlos und faul werden.

12] Denn was ein Mensch einmal vollkommen innehat und versteht, für das hat seine träge Natur keinen Sinn mehr; dies ist zu sehr durch eine nur zu allseitige Erfahrung bestätigt und erwiesen und bedarf darum keines neuen Beweises mehr. Und so würde sich der Mensch offenbar auch ganz sicher in der rein geistigen Sphäre verhalten, so er alles auf ein Haar klein und sonnenhell verstünde, was die großen Propheten aus Gott in die Bücher der Weisheit niedergezeichnet haben. Er würde sich bald schlafen legen und endlich über gar nichts mehr nachdenken; worüber aber sollte der Mensch denn auch noch irgend etwas nachdenken, so er ohnehin alles verstünde?!

13] Gott weiß darum ganz wohl, wie Er die Menschen zu halten hat, auf dass sie denken, wollen und am Ende recht sehr tätig sein müssen; es ist im einen wie im andern, - nur keinen Müßiggang!

14] Ich sehe nun auch ein, dass die Messiasgeschichte und -sache auf mich bei weitem den tätigen Eindruck nicht gemacht haben würde, wenn ich aus dem Jesajas alle darauf Bezug habenden Texte bis auf ein letztes Minimum verstanden hätte. Die drei Sternenkönige hätte ich höchstens belächelt, so sie mit ihren mystischen Weisheitstiraden (Wortergüssen) zu mir gekommen wären; und einem jeden andern, der in dieser Hinsicht zu mir gekommen wäre, würde es nicht um ein Haar besser ergangen sein!

15] Aber da bei mir das alles in einem gläubigen Halbdunkel geblieben ist bis zur Stunde, so fühle ich nun eine um so größere Seligkeit, weil das, was so schwer und dunkelst nur zu glauben war, sich so hell vor meinen Augen ausgebreitet hat und ich nun Den vor mir sehe, auf den alle Juden samt mir so sehnsüchtig geharrt haben! - Herr und Meister, habe ich dich Verstanden oder nicht?“



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