Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 110


Das Suchen nach Gott.

01] Nach diesen Worten begeben Ich, der Mathael und unsere Jarah, die nicht von Meiner Seite weicht, uns zu der Helena und zu ihrem Vater Ouran hin.

02] Als Helena Mich auf sich zukommen ersieht, bricht sie in einen Strom von Freudentränen aus und sagt nach einer Weile: ”Schon zweifelte ich sehr daran, dass mir diese Gnade zuteil werde, Dich, den Herrn meines Lebens, bei mir zu sehen und zu sprechen! Aber nun ist alles gut! Denn Du, den mein Herz und mein Verstand erst hier gut so endlos wunderbar hat kennengelernt, bist Selbst zu mir gekommen! Oh, nun juble, du mein sonst so armes Herz, laut auf denn Der, dessen Geist dir deine Pulsschläge von der Wiege bis zum Grabe vorgezählt hat, steht vor dir und bringt dir jene heilige Stärkung, in der dir dereinst dein Tod süßer denn Honigseim schmecken wird!“

03] Darauf wird sie wieder still, und Ich sage zu ihr: ”Helena! Herzen, die so lieben wie das deinige, haben ewig keinen Tod zu fürchten und werden solchen nie schmecken, weder süß noch bitter!

04] Denn sieh, Ich Selbst bin ja das Leben und die Auferstehung, und die an Mich glauben und Mich lieben wie du, werden den Tod in Ewigkeit nicht sehen, nicht fühlen und nicht schmecken!

05] Wohl wird dir dereinst der schwere Leib genommen werden; aber dich wird es nicht schmerzlich und wissentlich berühren, sondern in einem Augenblick wirst du verwandelt werden von diesem schweren, unfreien Leben in das hellste Leben deiner Seele durch Meinen Geist der Liebe, der in dir ist und wächst bis zur Vollähnlichkeit mit Meinem ewigen Geiste! - Verstehst du, liebste Helena, solches nun schon?“

06] Helena aber kann vor lauter Ergriffensein kein Wort hervorbringen und weint nun in der lautesten Entzückung ihres Herzens. Es dauert eine geraume Weile, und immer noch ist Helena in ihrem Gemüte so ergriffen über die Freude, dass Ich zu ihr kam, dass sich stets von neuem wieder in Tränen der Freude ihre Zunge lähmt, sooft sie zu Mir weitere Worte des Dankes sprechen möchte.

07] Aber Ich sage darauf abermals zu ihr: ”Meine liebste Tochter, mühe dich nicht zu reden; denn diese Sprache deines Herzens ist Mir lieber um vieles denn eine noch so gewählte deines Mundes!

08] Denn sieh, es gibt nun auf der Erde schon einige, und es wird in der Folge noch mehrere gehen, die zu Mir sagen werden: 'Herr, Herr!' Und Ich werde ihnen erwidern und sagen: 'Was rufet ihr, Fremdlinge?! Ich kenne euch nicht und habe euch noch nie erkannt! Denn ihr seid noch allzeit Kinder des Fürsten der Lüge, des Hochmuts, der Bosheit, der Nacht und aller Finsternis gewesen! Darum weicht von Mir, ihr allzeitigen Täter des Übels!' Und Ich sage es dir, dass dann unter ihnen viel Heulens und Zähneknirschens sein wird!

09] Sie werden ihren Gott suchen in endlosen, nie erreichbaren Fernen und Tiefen und werden Ihn nicht finden, dieweil sie es für sich zu gemein fanden, Mich zu suchen in ihrer nächsten Nähe, nämlich im Herzen!

10] Wahrlich, wer Gott nicht sucht, wie du Ihn gesucht hast, der wird Ihn nicht finden, auch in alle Ewigkeit nicht!

11] Gott ist in Sich die reinste und höchst endlos mächtigste Liebe und kann darum nur durch die Liebe gefunden werden!

12] Dich trieb gleich anfangs die Liebe dazu, obschon du zu sündigen wähntest, so du Mich liebtest; und siehe, du fandest Mich. - Ich kam dir mehr denn auf dem halben Wege entgegen, so wie deinem Vater Ouran. Ebenso aber sollen Mich in der Zukunft auch alle, die Mich finden wollen, suchen, und sie werden Mich finden, wie du Mich gefunden hast.

13] Aber die Mich suchen werden mit ihrem hochmütigen Verstande, die werden Mich nicht finden in Ewigkeit!

14] Denn die Mich suchen mit dem Verstand, gleichen einem Menschen, der ein Haus kaufte, von dem er hörte, dass unter dessen Mauern ein großer Schatz verborgen liege. Als das Haus sein ward, fing er an, im selben zu graben bald hier und bald dort; aber er nahm sich keine rechte Mühe, grub ganz leicht nur und fand darum den Schatz nicht, der tief vergraben war. Da dachte er: 'Aha, ich weiß, was ich tun werde; von außen werde ich ums Haus zu graben anfangen und werde so sicher eher auf des vergrabenen Schatzes Spur kommen!'

15] Und so fing er an, außerhalb des Hauses zu graben, und fand natürlich den Schatz nicht, indem derselbe in der Mitte der Tiefe seines Hauses vergraben war; und je weiter vom Hause er des Schatzes wegen neue Gruben schlug, destoweniger fand er den Schatz, um dessentwillen er doch das ganze Haus gekauft hatte. Denn wer etwas dort sucht, wo es nicht ist und nie sein kann, der kann das Gesuchte auch unmöglich finden.

16] Wer da Fische fangen will, der muß mit dem Netze ins Wasser; denn in der Luft schwimmen keine Fische. Wer Gold graben will, der muß es nicht mit dem Netze im Meere suchen, sondern in der Tiefe der Berge.

17] Mit den Ohren kann man nicht sehen und mit den Augen nicht hören. Jeder Sinn hat seine eigentümliche Einrichtung und ist daher für eine gewisse Verrichtung bestimmt.

18] Ebenso hat das Herz des Menschen, das mit Gott zunächst verwandt ist, allein die Bestimmung, Gott zu suchen und auch zu finden und dann aus dem gefundenen Gott zu nehmen ein neues, unverwüstliches Leben. Wer aber Gott mit einem andern Sinne sucht, der kann Ihn ebensowenig finden, als ein Mensch, der sich die Augen fest verbindet, mit dem Ohre oder mit der Nase oder mit den Augen die Sonne finden und schauen kann.

19] Der rechte und lebendige Sinn des Herzens aber ist die Liebe. Wer demnach diesen innersten Lebenssinn recht erweckt und mit ihm Gott zu suchen beginnt, der muß Gott auch ebenso bestimmt und beschaulich finden, als ein jeder Mensch, so er nicht völlig blind ist, mit seinem Auge die Sonne alsogleich finden muß und schauen ihre Lichtgestalt.

20] Wer aber ein weises Wort hören will, darf sich nicht die Ohren verstopfen und mit dem Auge hören wollen; denn das Auge sieht wohl das Licht und alle die erleuchteten Formen, aber die geistigere Form des Wortes läßt sich nicht beschauen, sondern nur anhören mit dem Ohre. - Verstehst du alles das wohl?“



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