Jakob Lorber: 'Das große Evangelium Johannes', Band 3, Kapitel 58


Raphael als starker Fischesser.

01] Es wird nun allseitig sich an die Tische gemacht, die sich durch den Fleiß des alten Markus und seiner beiden, auch im Zimmern bewanderten Söhne um vier vermehrt hatten; denn Markus hatte einen ziemlichen Brettervorrat von Eichenholz wegen des Baues seiner Fischerboote, und der Raphael vermehrte ihm solchen durch Meine Zulassung in einem unmerkbaren Augenblick um ein bedeutendes, und so war es Markus ein leichtes, gleich eine Menge Speisetische samt Sitzbänken herzustellen in seinem Baumgarten.

02] Raphael setzte sich mitten zwischen Suetal und Ribar. An Meinem Tische aber, an dem wir uns in der Ordnung wie tags zuvor gesetzt hatten, ward auch Mathael mit seinen vier Gefährten hinzugelassen und mußte zwischen Julius und Cyrenius Platz nehmen. Zu Meiner Rechten saß wieder die Jarah, neben ihr Josoe, dann der Ebahl und nach dem Ebahl Meine Jünger, respektive die Apostel.

03] An den andern Tischen befanden sich natürlich die, die im Gefolge des Cyrenius und Julius waren; und die dreißig jungen Pharisäer unter dem Vorsitze ihres Redners Hebram hatten hinter Meinem Rücken einen langen Tisch, also, dass sie sämtlich auf Meinen Tisch und auf den kleinen Tisch der zwölf sehen konnten.

04] Eine gehörige Menge von bestbereiteten Fischen ward überall aufgetragen, und am besten Brote und Weine hatte es keinen Mangel. Wir fingen an zu essen, und die zwölf konnten die Fische nicht genug loben und griffen wacker zu; aber am meisten verzehrte der Raphael. Er verschluckte sozusagen einen Fisch um den andern, was dem Suetal sehr aufzufallen anfing, und er wußte nicht, was er daraus machen sollte.

05] Als Raphael aber den letzten Fisch aus der Schüssel hob und auf sein Speisebrettlein legte, ihn in Stücke zu teilen anfing und darauf ein Stück ums andere mit einer gewissen Hast in seinen Mund zu schieben begann, da ward das dem Suetal und dem Ribar zu bunt, und Suetal sagte zwar ganz artig zum Raphael: ”O du lieber, schönster junger Freund, was für einen ungeheuren Magen mußt du denn doch haben, dass im selben solch eine Menge Fische und so viel Brot Platz haben?! In unserer großen Schüssel befanden sich sicher bei zwanzig Fische; wir haben nur zwölf verzehrt, und die acht größten hast du allein unters Dach gebracht! So ein junger Mensch und so viel essen?! Das kann doch unmöglich gesund sein! Na, mir ist es recht, und Gott der Herr segne es dir! - Gehört denn das nach der Lehre des großen Meisters etwa auch zur Erreichung der Weisheit und Allmacht, dass man so viel essen muß?“

06] Sagt Raphael lächelnd: ”Das wohl nicht! Aber so es mir schmeckt und es ist da, warum sollte ich nicht so viel essen, als es mir schmeckt?! Siehe hin nach dem Tempel zu Jerusalem, wieviel der im Namen Gottes an allerlei Opfern täglich verzehrt! Könnte man da nicht füglicher noch fragen und sagen: Aber Jehova ist doch ein wahrer Nimmersatt; alle Tage verschlingt Er eine Menge Ochsen, Kühe, Kälber, Schafe, Lämmer, Hühner und Tauben und Fische und Ziegen und viele große Laibe Brotes und viele Schläuche Weines und hat nach all solchem gewaltigen Fraße noch eine große Gier auf Gold, Silber, Perlen und allerlei kostbarste Edelsteine!?

07] Hast du je gefragt, ob Gott wirklich solch ein Vielfraß ist?! Nein, das hast du nicht, denn du wußtest, dass da nur die Gottesdiener die Vielfresser sind! Was sind meine acht Fische gegen die hundert Ochsen, Kühe, Kälber und dergleichen?! Wenn die Diener Gottes im Tempel sich das Recht ungestraft nehmen dürfen, gar so ungeheuer vieles auf den Namen Gottes zu verzehren, warum sollte denn ich fasten, der ich doch sicher mehr ein Gottesdiener bin als die Vielfresser im Tempel?!“

08] Suetal sagt: ”Ja, ja, du hast wohl recht; mich hat es nur sehr wundergenommen, wie du, als ein überaus zarter Jüngling, uns alle im Essen bei weitem überboten hast und gar keine Rücksicht nahmst auf uns, ob wir vielleicht auch noch etwas von den guten Fischen gemocht hätten!“

09] Sagt Raphael: ”Hast du schon erlebt, dass die Diener Gottes im Tempel je irgendeine Rücksicht darauf genommen hätten, ob die Opfernden daheim noch etwas zu essen haben? Sie nehmen ihnen ohne alle Rücksicht die Opfer und den Zehent ab, ob die Opfernden auch in der nächsten Stunde Hungers sterben! Und siehe, die wollen Gottes Diener sein und sind es auch in den Augen des blinden Volkes! Du aber hast darum diese Gottesdiener noch nie auch nur ganz geheim bei dir selbst zur Rede gestellt; was sorgst du dich denn nun gar so um meine Gesundheit, da ich dir doch faktisch (in der Tat) bewiesen habe, dass ich ein echter Gottesdiener bin?!“

10] Sagt Ribar: ”Freund Suetal, mit dem scheint nicht gut wortwechseln zu sein! Der Junge riecht stark nach Mathael und könnte uns etwa so mir und dir nichts unsere ganze Lebensbeschreibung ins Gesicht hersagen!“

11] Sagt Raphael: ”Mußt nicht gar so still (leise) reden, sonst verstehe ich dich ja schwer und offenbar noch schwerer der Suetal!“

12] Sagt Ribar: ”Ja, ja, ich habe nur zu laut gesprochen!“

13] Raphael: ”Und wolltest von mir gewisserart doch nicht verstanden sein! Sieh, ich höre und sehe deine Gedanken; wie sollte ich deine Worte etwa nicht hören?! Sieh, das Tier, das ich dir zuvor an die Seite gestellt habe, hat denn doch noch so manche Ähnlichkeit mit dir! Aber ich sage es dir, wenn du zuvor nicht ebenso demütig werden wirst wie das graue Tier, wirst da das enge Pförtlein zur wahren Weisheit nicht finden!“

14] Sagt Ribar: ”Aber sage mir, Freund, warum du mir denn so ganz eigentlich die Schande vor so vielen Menschen angetan hast!?“

15] Sagt Raphael: ”Habe ich dir's doch dort deutlich gesagt, dass ihr noch so blind an eurer Seele seid, dass ihr den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen könnt. Und so blind ihr dort wart, so blind seid ihr auch jetzt noch, trotzdem ihr zuwenig Fische verzehrt habt! Wollt ihr aber noch Fische, da sagt es, und es werden wohl noch welche im Meere vorrätig sein!“



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