Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 192


Die Zehnt- und Tributrechte des Jerusalemer Tempels.

01] Sagt Cyrenius: »Auch da hast du vollkommen recht, und ich erkenne nun in dir einen höchst weisen Biedermann und muß dich zu irgendeinem Vorsteher mit vielen Vollmachten ernennen!«

02] Sagt Ebahl: »Wird schwer halten, da ich noch stets ein Jude bin, dem es vom Tempel aus auf das strengste verboten ist, irgend Ämter und Würden von Rom aus anzunehmen!«

03] Sagt Cyrenius: »Nun, was wird es wohl sein, so ich dich zu einem Bürger Roms mache? Und bist du das, so kannst du jede erdenkliche römische Amtswürde annehmen, und wir würden den Tempel ganz absonderlich zu züchtigen verstehen, so er sich dagegen stemmte! So du demnach willst, mache ich dich zu einem Bürger Roms!«

04] Sagt Ebahl: »Hoher Gebieter, wahrlich nicht des Ansehens und der hohen Würde eines römischen Bürgers willen, sondern der puren Freiheit wegen, die jedem biederen Bürger Roms verliehen ist, nehme ich deinen Antrag an! Ich werde im Herzen wohl für ewig ein echter Jude verbleiben, - denn man kann ja der lebendigsten Überzeugung, daß das echte, alte und wahre Judentum vollwahr aus den Himmeln zu den Menschen kam, und daß darin allein das Heil zu suchen und zu finden ist, in sich nicht entgegen sein; aber der Außenwelt gegenüber will ich also ein Römer sein wie einer, der inmitten Roms von einer tadellosen Römerin geboren worden ist.«

05] Sagt Cyrenius: »Gut, sogleich sollst du aus meinen Händen auf Pergament den zu allen Zeiten gültigen und mit allen Rechten eines Bürgers der Stadt Rom belehnten Brief erhalten! Wenn du dann solchen Brief den Templern vorweisen wirst, so werden sie dich ganz sicher in der vollsten Ruhe lassen, und du wirst dann der Menschheit mehr zu nützen imstande sein, als es bisher geschehen konnte; und darum: ich will es, und so geschehe es!«

06] Hierauf winkte Cyrenius seinem Geheimschreiber, und dieser brachte alsbald den Brief, Cyrenius schrieb seinen Namen darunter und überreichte den Brief sogleich dem Ebahl.

07] Ebahl, ganz gerührt von der Güte des Oberstatthalters, dankte dem Cyrenius aus vollstem Herzen und sprach am Ende seiner Dankrede: »Wahrlich, so eine Ehre habe ich hier in der Nähe der Stadt Cäsarea nie erhofft! Dieser Brief soll meinerseits aber auch von den besten Wirkungen für die Menschheit begleitet werden, und das um so mehr, als mir auch im Briefe das Recht und die kaiserliche Vollmacht zukommt, aus jedem biederen Juden einen römischen Bürger zu machen, dem dann so wie mir selbst alle Rechte und Vorteile eines römischen Bürgers zukommen. Wahrlich, unsere Gegend soll bald eine Menge römischer Bürger zählen, und die Abschiede der Pharisäer aus diesen Gauen sollen sich mehren wie das Gras im Frühjahre! Oh, das wird herrlich sein!«

08] Sagt der nebenstehende alte Markus: »Bruder, du hast zwar recht, daß du dich darüber sehr freust; denn es ist eine große Sache, ein Bürger Roms zu sein! Ich bin es von Geburt aus; aber nichtsdestoweniger muß ich den Tempelpfaffen dennoch gleich den Juden jährlich einen gewissen Tribut bezahlen. Von den Juden nehmen sie nur den Zehnt, von uns Römern aber nach einem gewissen, beim römischen Hofe erschlichenen Rechte den Tribut, - und man muß sich mit ihnen abzufinden verstehen, wenn man aus dem harten Tribute in den alten Zehnt gelangen will. Nur diese Tributpflichtigkeit römischer Bürger an den Tempel sollte von Rom aus den Templern wieder ohne alles Bedenken genommen werden; fürs erste ist die Tributsteuer zu hart, und fürs zweite macht sie den Tempel zu mächtig, - und beides ist schlecht.

09] Bei dem gegenwärtigen Verbrechertransporte nach Sidon befinden sich eben wieder etliche Aufwiegler, die ganz sicher vom Tempel aus für ihr Werk besoldet worden sind. Es ist zwar wahr, daß die Tributpflichtigkeit nur in einigen Fürstentümern Kanaans als eine außerordentliche Last besteht und der Tempel nur dort sein Recht zu vertreten hat, wo es noch als von Rom aufrechterhalten erscheint; aber die Templer begnügen sich damit nicht, machen Übergriffe mittels falscher Urkunden, die sie als neue von Rom ausgehend vorweisen, und zwingen die römischen Bürger, sich zum wenigsten mit ihnen auf den Zehnt abzufinden. Ich habe noch heute morgen ihnen den Fischzehnt entrichten müssen, ansonst sie mir sicher alle erdenklichen Anstände gemacht hätten.

10] Meine Meinung wäre demnach diese: Man sollte dem Tempel so bald als möglich alle Zugeständnisse Roms ohne irgendeine Ausnahme nehmen; denn sonst läuft Rom Gefahr, in Asien bald Aufstände über Aufstände zu bekommen, und bevor vierzig Sommer um sind, wird Rom die sehr verdrießliche Ehre bekommen, Kanaan und das andere Asien zum zweiten Male vom Alpha bis Omega erobern zu müssen! - Das ist meine Meinung, auf die ich nun viel halte, weil ich die Verhältnisse des Tempels sehr genau kenne und sie aber auch tiefst verabscheue.«

11] Sagt Cyrenius: »Auch für dieses verkrüppelte Beil wird sich ein Stiel finden lassen! Aber wenn die Templer sich unterfangen, auch in dieser Gegend den Tribut zu begehren und daraus ihren alten Zehnt zu kreieren, so werden wir wohl unversäumt ein wohlgenährtes Donnerwetter nach dem Tempel abgehen lassen; denn das ist wieder eine Eigenmächtigkeit von seiten der Templer, die mit der Zeit für Rom wahrlich die übelsten Folgen haben könnte.«

12] (Sich zum Hauptmann Julius wendend:) »Du, Julius, wirst noch heute einige Stücke weiße, von mir unterfertigte Rollen bekommen, auf denen du nach deinem guten Sinn für den Tempel einige kurze Sätze verfassen wirst! - Du verstehst mich!?«

13] Sagt Julius: »Wäre alles wohl und recht, wenn das Vierfürstentum Judäa nur nicht dem gefräßigen Herodes verpachtet worden wäre, nahe mit allen Herrscherrechten! Dazu sitzt in Jerusalem noch ein saumseliger Landpfleger, Pontius Pilatus nämlich, der sehr froh ist, wenn ihm die Menschen Frieden und Ruhe gönnen; mit dem ist sonach nicht viel zu machen! Aber es kommt da noch ein fataler Umstand dazu, der sehr wohl zu erwägen ist: Gib da dem Tempel tausend noch so schwere Gesetze, und er wird durch alle gleich einem Proteus sich durchdrängen, - und ich frage, was sich da dann noch Weiteres unternehmen läßt.

14] Mit irgendeiner zu sichtbaren äußeren Gewalt gegen den Tempel ziehen, wäre eine sehr gewagte Sache, denn das Volk hängt daran und hält namentlich in Judäa die Priester für Halbgötter und als Vermittler zwischen ihrem Gott und den Menschen. Täte man sonach dem Tempel irgendeine ersichtliche Gewalt an, so hätte man aber auch sogleich den brennendsten Aufstand in ganz Judäa am Halse; darum ist da sehr viel Vorsicht vonnöten, bevor man mit dem Tempel im vollen Ernste etwas unternehmen will!

15] Ah, dahier in Galiläa und namentlich in Genezareth, das sich im ewigen Ausnahmezustande befindet, und wo das Volk schon sehr aufgeklärt ist, läßt es sich recht wirkungsreich gegen die Schwarzen zu Felde ziehen; aber in Judäa läßt sich das durchaus nicht tun! Daher heißt es: wenn gegen den Tempel etwas zu unternehmen ist, so muß vorher Rat gehalten werden!

16] Der Tempel wußte sich auf allerlei Schleichwegen von Rom aus allerlei Privilegien zu verschaffen, die wir respektieren müssen, solange wir das Glück und die Ehre haben, Römer zu sein. Wenn die Sache sich aber also verhält, so werden mir die Chartae albae (weiß, d.h. unbeschriebenen Urkunden) wenig oder gar nichts nützen! In meiner Gegend aber bin ich selbst ohnehin Charta alba zur Genüge! - Übrigens kann ich immer welche gebrauchen.

17] Für Genezareth und dessen ziemlich weite Umgegend habe ich den Templern das Tribut- und Zehnterpressen derart vertrieben, daß sie sich wohl für alle Zeiten ihre Habgier sicher haben vergehen lassen, und wenn ich recht unterrichtet bin, so hat auch schon unser biederer Oberste Kornelius in Kapernaum schon lange dasselbe getan, - und so ist Galiläa bis auf einige herodianische Bedrückungen so ziemlich frei von den Tempelplackereien; aber im mächtigen Judäa wird das zu erwecken noch lange nicht möglich sein. Das ist so meine Meinung. - Du, hoher Gebieter, aber kannst dennoch anordnen, was du willst, und ich werde stets dein bereitwilligster Diener und Knecht sein!«


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