Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 156


Zweigeschlechtlichkeit der urgeschaffenen Engel.

01] Nach diesen Worten begibt sich der Hauptmann nach Hause; aber der Ebahl bittet ihn, nicht lange auszubleiben, da das Mittagsmahl bald bereitet sein werde. Und der Hauptmann spricht im Gehen: »Ich werde, wenn nichts besonders Wichtiges vorgefallen ist, sogleich wieder hier sein; und ist etwas Wichtiges vorgefallen, so werde ich einen Boten hierhersenden.«

02] Darauf eilt der Hauptmann flugs von dannen und verwundert sich nicht wenig, als er nach Hause kommt und sich von seinen Unterführern alles erzählen läßt, was unter der Zeit vorgefallen ist, wie er seine Order für die obbesagten Gemeinden auf Pergament und mit der Schrift seiner Hand geschrieben auf seinem Arbeitstische liegend findet. Er durchliest sie schnell und findet alles genau also, wie er sich's gedacht hatte. Er sendet nun gleich am einen schnellfüßigen Boten, und sieh, es kommt in römischer Soldatenkleidung eben unser Engel Raphael und bietet dem Hauptmanne seine Dienste an.

03] Der Hauptmann erkennt anfangs den Engel nicht und meint, er sei ein junger Krieger, der etwa von Kapernaum her ihm von Kornelius zugeteilt worden sei. Er fragt ihn daher, ob er sich's wohl getraue, diese ziemlich entlegene Sendung an den Unterkommandanten von Gadarenum zu übernehmen.

04] Sagt der Engel: »Herr deiner Macht, gib sie mir nur, und ich werde sie mit der Schnelligkeit eines abgeschossenen Pfeiles an Ort und Stelle bringen, und in wenigen Augenblicken sollst du die Antwort zurück in deinen Händen haben!«

05] Da erst besah sich der Hauptmann seinen Mann, erkannte in ihm den Engel Raphael und sagte darauf: »Ja, ja, dir ist so etwas wohl möglich; denn nun erst habe ich dich erkannt!«

06] Darauf übergab der Hauptmann dem Raphael die Order, und dieser war in einer kleinen Viertelstunde schon auch mit der Antwort zurück, in der der Kommandant von Gadarenum bestätigte, die Order von einem artigen jungen Krieger richtig erhalten zu haben, und er werde sie auch nach ihrem Geiste sogleich in Vollzug setzen.

07] Der Hauptmann wunderte sich nun über die Schnelligkeit Raphaels nicht mehr, sondern darüber nur, wie Raphael nun dennoch eine Viertelstunde zu dieser Botschaft hatte verwenden können.

08] Sagt Raphael: »Das war die Schreibzeit deines Unterkommandanten in Gadarenum. Es nehme dich darum nicht wunder; denn ich bedurfte keiner Zeit. - Aber nun gehen wir miteinander zu Ebahl; denn das Mittagsmahl ist bereitet, und die Gäste haben Hunger auf die tüchtige Reise vom Berge herab.«

09] Der Hauptmann geht nun sogleich mit dem Engel, der aber vor dem Hause Ebahls wieder in seiner angenommenen Genezarether Kleidung erscheint; und der Hauptmann fragt ihn, wohin er nun so schnell die Kleidung des Soldaten gebracht habe.

10] Der Engel aber lächelte und sagte: »Siehe, wir haben es leichter als ihr; denn wir tragen unsern überaus reichlichst bestellten Kleiderschrank in unserem Willen; was wir antun wollen, mit dem sind wir denn auch vollauf bekleidet. Würdest du mich aber sehen in meinem Lichtgewande, da würdest du erblinden, und dein Fleisch würde sich auflösen vor mir; denn gegen das Leuchten meines Kleides ist das Leuchten der irdischen Sonne die barste Finsternis.«

11] Sagt der Hauptmann: »Freund der Menschen dieser Erde! Die erstere Eigenschaft, sich ohne Stoff, bloß aus seinem Willen heraus, bekleiden zu können, wie man will, gefällt mir sehr, und die armen Menschen könnten sie besonders in der Winterszeit sehr gut gebrauchen; aber das ebenso mögliche überstarke Leuchten deines Lichtgewandes, vor dem keines Menschen Leben bestehen könnte, gefällt mir nicht, wenigstens jetzt auf dieser Welt nicht. Darum wollen wir darüber auch keine weiteren Forschungen anstellen. Aber eines möchte ich von dir noch erfahren; weil wir gerade nun so allein beisammen sind und uns vor niemandem zu genieren brauchen, so könntest du mir solches wohl enthüllen, und dieses eine besteht darin: Gibt es unter euch auch einen geschlechtlichen Unterschied?«

12] Sagt der Engel: »Das ist zwar eine etwas ungeschickte Frage; aber weil sie bei dir rein dem Wissenstriebe entstammt, so will ich dir darauf auch mit Nein antworten! Was wir urgeschaffene Geister sind, so ist bei uns zahllosen allein nur das männlich-positive Wesen als völlig ausnahmslos waltend; aber es ist dennoch in jedem von uns auch das weiblich-negative Prinzip vollkommen gegenwärtig, und so stellt ein jeder Engel in sich die vollkommenste Ehe der Himmel Gottes dar. Es hängt ganz von uns ab, ob wir uns in der männlichen oder in der weiblichen Form zeigen wollen, und das alles in einer und derselben geistigen Haut.

13] Darin aber, daß wir in uns selbst ein Zweiwesen sind, liegt auch der Grund, daß wir nie altern können, weil sich in uns die beiden Pole ewig gleichfort unterstützen; aber bei euch Menschen sind die Pole getrennt in eine geschlechtlich getrennte Persönlichkeit und haben darob, als jeder für sich seiend, keine Unterstützung in sich.

14] So aber die getrennten persönlichen Pole sich äußerlich berühren, da verlieren sie und gleichen einem Weinschlauche, der stets runzliger wird, je mehr man ihn seines geistigen Inhaltes beraubt hat. Könntest du dir aber einen Weinschlauch denken, der in sich gleichfort das erzeugen könnte, was man aus ihm nimmt, so würdest du an seiner Oberfläche nimmer dessen Form alt aussehen machende Falten und Runzeln entdecken. - Verstehst du solches wohl?«

15] Sagt der Hauptmann: »Ganz klar ist mir die Sache noch nicht; aber so ein wenig einen Dunst habe ich nun wohl. Wir werden darüber schon noch mehreres miteinander bei günstiger Gelegenheit reden. Nun aber wollen wir ins Haus gehen; denn man wird uns schon erwarten!«

16] Sagt der Engel: »Ja, ja, das wohl, und ich fühle auch schon in mir das, was ihr Hunger nennet.«

17] Sagt der Hauptmann: »Oho, du bist doch ein reinster Geist!? Wie wirst du materielle Kost genießen können?«

18] Sagt Raphael lächelnd: »Besser denn du! Bei mir wird alles, was ich in mich hineinnehme, völlig verzehrt und ins beschauliche Leben umgestaltet, - bei dir nur das, was deiner isolierten Lebenspolarität entspricht, das Unentsprechende aber wird dann durch den natürlichen Gang von dir hinausgeschafft; und so bin ich ja viel besser daran denn du in Hinsicht des Essens und Trinkens!«

19] Sagt der Hauptmann: »Wird denn auch im Himmel gegessen und getrunken?«

20] Spricht der Engel: »O ja, aber nicht auf die Weise, wie auf der Erde, sondern geistig! Wir haben das Wort Gottes von Ewigkeit auch in uns, wie aus eben dem Worte Himmel und alle Schöpfung bestehen und mit demselben überall erfüllet sind; und dieses Wort ist vorerst unser wesenhaftes Sein und für solches Sein auch das einzige, wahrhaftigste Lebensbrot und der wahrhaftige Lebenswein. In unsern Adern rollt er wie in euren das Blut, und unsere Eingeweide sind voll des Brotes Gottes.«

21] Sagt der Hauptmann »Oh, das ist ungeheuer weise gesprochen; das fasse ich wohl nicht, das muß mir der Herr Selbst näher enthüllen! - Aber nun haben wir etwa wohl die höchste Zeit, ins Haus zu treten und wollen uns darum in keine weiteren Besprechungen mehr einlassen.«


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