Jakob Lorber: ''Das große Evangelium Johannes', Band 2, Kapitel 55


Beachtenswertes beim Erlassen und Aufheben von Gesetzen. Wechsel der Templer von Nazareth zu Jesus.

01] Nun fragt Cyrenius Mich, ob es wohl rätlich wäre, diese seiner Ansicht nach total bekehrten Pharisäer, Ältesten, Leviten und Schriftgelehrten von seinem über sie verhängten harten Gesetze freizusprechen.

02] Sage Ich: »Man soll, wenn man das Gesetzgebungsrecht hat, nie zu voreilig ein neues Gesetz geben! Ist aber ein Gesetz gegeben, so soll man noch weniger voreilig sein, das gegebene Gesetz aufzuheben; denn da muß der Rat der Verständigen das Rechte zeigen. Siehe, wenn du ein neues Gesetz gibst, so wirst du dir alle jene zu Feinden machen, denen das Gesetz auferlegt ward; hebst du dann aber das Gesetz auf, so wird dir darum niemand dankbar sein, sondern man wird dich der Schwäche zeihen, wird triumphieren und sagen: "Da sieht man den Tyrannen! Weil er sieht die Überzahl seiner Feinde, so möchte er sich durch die plötzliche Aufhebung des harten Gesetzes beim Volke wieder in Gunst setzen! Aber er wird der Freunde im Volke wenige finden; denn wer einmal ein Tyrann ist, der ist es zum zweiten Male, so er wieder zur Macht kommt, ein zweifacher!"

03] Und es ist daher besser, ein gegebenes Gesetz zu belassen, als dasselbe sobald wieder aufzuheben; aber man kann dafür das Gesetz ganz geheim fallen lassen, und wenn Übertretungen desselben vorkommen, so übe man Nachsicht und sei im Urteil nicht zu streng. Kommt dann ein anderer Regent, so steht es ihm frei, die Gesetze, die sein Vorgänger erlassen hat, ganz aufzuheben und dafür dem Geiste des Volkes gemäß mildere zu geben. Es müßte denn sein, daß sie kämen und dich darum bäten, da wohl kannst du den strengsten Teil des einmal erlassenen Gesetzes wegtun, aber stets mit dem Vorbehalt, das Gesetz sobald wieder mit aller Strenge zu erneuern, wenn sich Spuren zur böswilligen Verfolgung der durch das Gesetz zu bewerkstelligenden guten Sache zeigen sollten!

04] Siehe, das ist die Klugheit, nach der jeder Regent seine ihm untergebenen Völker leiten sollte, so er glücklich regieren will! Ein lauer und nachlässiger Regent aber wird bald zu der stets traurigen Überzeugung gelangen, daß er sich durch zu große Nachgiebigkeit die Völker nicht hätte über den Kopf wachsen lassen sollen!

05] Denn die Völker verhalten sich zu ihren Regenten wie die Kinder zu ihren Eltern. Strenge und dabei weise Eltern werden auch gute, gehorsame und dienstfertige Kinder haben, die ihre Eltern lieben und ehren werden, wogegen den zu nachgiebigen Eltern die Kinder nur zu bald über den Kopf wachsen und sie am Ende aus dem Hause treiben und stoßen werden.

06] Liebe mit Ernst und Weisheit ist ein ewiges Gesetz; wer danach handelt, macht keinen Fehltritt, und die Früchte davon werden gut und köstlich schmecken. Hast du Mich wohl völlig verstanden?«

07] Sagt Cyrenius: »Ja Herr, ganz vollkommen, und es ist das in der Welt immer der gleiche Fall gewesen. Ein zu guter, nachgiebiger Regent ist mit seiner Regierung bald fertig; aber auch ein zu tyrannisch strenger hat selten eine lange Dauer. Ich meine, so in der Mitte zwischen beiden ruhet die Weisheit, das Glück und dessen dauerhafte Festigkeit!?«

08] Sage Ich: »Ja, ja, also ist es: in der Mitte, wie Ich es dir gezeigt habe! Nun aber gehen wir wieder nach Hause; denn es ist schon stark Nachmittag.«

09] Fragt Kornelius: »Aber Herr, bleiben die alten Bürger, nun schon hier schlafend? Diese Menschen könnten ja auch daheim diese löbliche Sabbatfeier verrichten, auf daß sie nicht durch ihr gewaltig starkes Geschnarche die Anwesenden störten! Denn es ist ja zum Davonlaufen, wie diese Leute schnarchen, - eine Erscheinung, die mir im höchsten Grade unangenehm ist! Ich kann viel Ungemach ertragen, aber das Schnarchen eines Schlafenden kann mich zu einer Art Verzweiflung treiben!«

10] Sage Ich: »Nun, nun, laß das nur gut sein! Solange sie schnarchen, begehen sie keine Sünde! Es ist gut, daß sie nun schnarchen; denn wären sie wach gewesen, so hätten sie manches gehört, was sie sehr geärgert hätte, und das wäre nicht gut! Weil sie aber fest geschlafen haben, so haben sie von all dem Vorgefallenen nichts gehört und gesehen und haben sich darum auch nicht geärgert; und siehe, das ist gut! Aber jetzt gehen wir und lassen diese Leute schlafen!«

11] Darauf fingen wir an, uns zur Türe zu bewegen; aber die Pharisäer und Ältesten eilten hin zur Türe, die zur Hälfte geöffnet war, und machten schnell die ganze, große Türe auf und sagten: »Herr, es stehet geschrieben:

    'Machet die Türen hoch und die Tore weit, auf daß der König der Ehren einziehe! Wir aber ist dieser König? Es ist Jehova Zebaoth! Dem von uns allen sei alles Lob, alle Ehre und aller Preis von Ewigkeit zu Ewigkeit!'

12] Und der Cyrenius sagt mit freundlicher Miene: »Ja, also ist es und soll es bleiben ewig! Der Herr sei allzeit mit euch!«

13] Und sie rufen: »Und mit deinem Geiste, auf daß du uns, wie Er, gnädig sein möchtest! Denn deine Gesetze haben uns hart gedrückt bis jetzt, ärger denn der Tod; aber da wir nun selbst vollends Seine Jünger geworden sind und uns deine Gesetze selbst lebendig auferlegen, so sind deine harten Gesetze für uns so gut wie gar nicht mehr da. Aber wir danken dir dennoch für eben diese Gesetze; denn ohne sie hätten wir leicht zu Verrätern dieser allerheiligsten Sache werden können! Wir bitten dich darum nun auch gar nicht mehr um die Aufhebung der gegebenen strengen Gesetze; denn wir selbst, als mit dir gleich Denkende, Glaubende und Handelnde, heben sie eben durch unser höchst eigenes Tun und Lassen bis aufs letzte Häkchen auf, für alle Zeiten der Zeiten!«

14] Sagt Cyrenius: »In der Hinsicht ist das Gesetz euch auch von mir erlassen, und ich bin der sicheren Hoffnung, euch dies harte Gesetz nie mehr erneuern zu brauchen. Lasset euch daher nimmer irreleiten, und befolget strenge, was euch die beiden Engel Gottes geraten haben, so werden wir die besten Freunde in Gott dem Herrn verbleiben, und meine Regierung wird euch nicht drücken! Und sollte es sich unter dem neuen Obersten eurer Schulen zeigen, daß er euch wie immer verfolgen möchte darum, daß ihr Freunde Jesu, des Herrn von Ewigkeit, und zugleich Freunde der euch wohlwollenden Römer seid, so werdet ihr den Weg bis zu mir wohl finden, - und dann werden schon jene Vorkehrungen getroffen werden, durch die eure physischen und ganz besonders geistigen Rechte aufs beste geschützt werden! Und nun abermals sage ich: Der Herr sei mit euch!«

15] Und sie alle rufen wieder: »Und mit deinem Geiste ewig!«

16] Darauf machen sie eine tiefste Verbeugung vor uns, und wir gehen durch die weitgeöffnete Tür und begeben uns nach Hause, allda ein gutes Mahl unser harret, bestehend aus Brot, Wein und allerlei süßen und vollreifen Früchten. Wir setzen uns an die Tische, danken und verzehren nach und nach, was die Tische tragen, - bleiben aber zugleich an den Tischen sitzen bis zum Untergang unter allerlei erbaulichen Reden und Gesprächen.


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